Auf einen Blick
- Die Botschafterin weist Kritik an der israelischen Regierung zurück
- Ihr Vorwurf lautet: Die Hamas verhindert einen Geiseldeal – trotz israelischer Bemühungen
- Israel hat wenig Interesse an der Nahost-Konferenz in der Schweiz
Frau Botschafterin, mit welchen Gefühlen sind Sie am Mittwochabend in das neue jüdische Jahr gestartet?
Ifat Reshef: Wir haben ein schreckliches Jahr hinter uns, und es geht schrecklich weiter. Wir bluten buchstäblich. Soldaten sind gefallen, die für die Verteidigung unseres Landes kämpfen. Wir trauern um die Geiseln, die nicht zurückgekehrt sind. Wir denken an die Familien, die um sie fürchten, und wir wissen nicht, wie wir mit der Ungewissheit umgehen sollen. Es gibt so viel Leid und Schmerz in Israel.
Vor einem Jahr sprachen Sie von einer «heiligen Mission», die israelischen Geiseln zu befreien. Warum hat der israelische Premier Netanyahu keinem Geiseldeal zugestimmt?
Die Hamas und ihr Anführer Jahia Sinwar sind für diese Situation verantwortlich und verhindern einen Deal. Wir haben es mit einem sadistischen Erzterroristen zu tun. Obwohl die Mehrheit der israelischen Bevölkerung einen Geiselaustausch befürwortet, glaubt kein Israeli wirklich, dass die Hamas diesen durchziehen und alle Geiseln freilassen würde.
Warum haben Sie es nicht versucht? Sie würden in den Augen der Welt besser dastehen.
Ich versichere Ihnen: Die Mission, unsere Geiseln zurückzubringen, bleibt heilig und wird von Israel sehr ernst genommen. Aber keine andere Regierung der Welt steht täglich und stündlich vor dem gleichen Dilemma zwischen Leben und Tod wie Israel: Unser Feind ist ein Feind, der nicht die gleichen Werte oder den gleichen Respekt vor dem menschlichen Leben und dem Völkerrecht hat.
Befürchten Sie nicht, dass die Strategie der Hamas aufgehen könnte? Nach dem 7. Oktober gab es weltweit Solidarität mit Israel. Jetzt steht Israel auf der Weltbühne isoliert da.
Wir leiden in der Tat unter einer zunehmend feindseligen und kritischen öffentlichen Meinung, obwohl ich glaube, dass es eine lautstarke Minderheit ist, die den Ton angibt. In vielen Ländern sind professionelle Israel-Hasser am Werk. Schauen Sie sich die Reden der Hamas und der Hisbollah an: Sie wollen Israel zerstören, und es ist erschreckend, Proteste in Grossstädten auf der ganzen Welt zu sehen, die das öffentlich bejubeln. Man besiegt Terroristen nicht, indem man sie beschwichtigt oder ein künstliches Gleichgewicht zwischen Angreifer und Opfer schafft. Israel ist ein Uno-Mitglied, das sich an das Völkerrecht hält.
Auch Israel verstösst gegen das Völkerrecht. Das ist die offizielle Position der Schweiz.
Israel respektiert und hält sich an das Völkerrecht. Bevor die israelische Armee zuschlägt, warnen wir die Zivilbevölkerung. Welche Armee auf der Welt tut das? In Gaza haben wir gesagt, welche Strassen die Menschen verlassen sollten, und im Libanon haben wir sogar die Gebäude genannt, die wir attackieren. Wir arbeiten proaktiv daran, immer mehr Hilfe nach Gaza zu bringen.
Die Juristin Ifat Reshef (56) ist seit 2021 Botschafterin Israels in Bern. Zuvor war sie in Jerusalem, Washington, Rom und Kairo tätig.
Die Juristin Ifat Reshef (56) ist seit 2021 Botschafterin Israels in Bern. Zuvor war sie in Jerusalem, Washington, Rom und Kairo tätig.
Gewalt sät Gewalt und ist selten eine Lösung.
Israel steht nicht für Gewalt. Wir verteidigen uns. Am 8. Oktober, dem Tag nach dem Massaker der Hamas, hat die Hisbollah aus Solidarität mit der Hamas und dem Iran das Feuer auf uns eröffnet. Welches andere Land hätte stillschweigend hingenommen, dass es mit Tausenden von Raketen und Hunderten von Sprengstoff-Drohnen angegriffen wird und Zehntausende seiner Bewohner aufgrund dieser ständigen Schiesserei über mehr als elf Monate vertrieben werden?
Die Schweiz ruft alle Parteien zur Deeskalation auf. Ist die Schweiz naiv?
Ich kann den Wunsch nach Deeskalation verstehen. Ich schätze die guten Absichten und die Freundschaft der Schweiz. Aber ein Waffenstillstand ist zum jetzigen Zeitpunkt keine Lösung und nur dann eine Option, wenn der Feind besiegt oder ausreichend abgeschreckt ist, damit er uns nicht in ein paar Monaten erneut angreifen kann.
Die Schweiz wurde von den Vereinten Nationen beauftragt, im Frühjahr eine Nahost-Konferenz auszurichten.
Diese Uno-Resolution ist eine schreckliche Resolution, die darauf abzielt, das Opfer zu bestrafen. Es ist ein weiterer Versuch, internationale Foren und Mechanismen zu politisieren und sie zu nutzen, um Israel zu verunglimpfen. Ich weiss noch nicht, was wir tun werden. Wir sind derzeit damit beschäftigt, uns vor den Angriffen des Irans und seiner verschiedenen Stellvertreter zu schützen. Aber ich kann Ihnen versichern, dass diese Konferenz sicherlich keine Konferenz für den Frieden im Nahen Osten ist.
Laut US-Medien hat Washington die Schweiz letzten Dezember davor gewarnt, eine Nahost-Konferenz auszurichten. Haben Sie auch bei Bundesrat Cassis interveniert?
Wir haben im Moment dringendere Angelegenheiten zu erledigen als eine Alibikonferenz, die nur darauf abzielt, Israel zu delegitimieren. Sie dient nicht dem wahren Zweck der Genfer Konventionen, die wir respektieren.
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Das Uno-Hilfswerk UNRWA steht seit einiger Zeit in der Kritik. Wofür machen Sie den Schweizer UNRWA-Chef Philippe Lazzarini persönlich verantwortlich?
Wir haben Herrn Lazzarini immer wieder gewarnt – vor Tunneln unter UNRWA-Schulen und darüber, dass leitende und andere UNRWA-Mitarbeiter mit der Hamas in Verbindung stehen – und Herr Lazzarini hat nichts unternommen. Wir haben das Vertrauen in Herrn Lazzarini völlig verloren. Wir fordern, dass der Uno-Generalsekretär einen neuen Ausschuss einberuft, der unsere Anschuldigungen untersucht: Hunderte von UNRWA-Mitarbeitern sind aktive Mitglieder der Hamas. Bis dahin erwarten wir von den Geberländern, dass sie die wichtige humanitäre Hilfe für Gaza über andere Uno- und Hilfsorganisationen und nicht über die UNRWA bereitstellen.