Woher soll unser Strom in Zukunft kommen? Von der Sonne? Vom Wind? Oder doch aus einem AKW? Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt viele Gewissheiten der Schweizer Energiepolitik infrage.
Mit der künftigen Energieversorgung beschäftigt sich derzeit das Parlament. Ab Montag debattiert der Nationalrat als Zweitrat über den sogenannten Mantelerlass. Es geht darum, die Stromversorgung der Schweiz mittel- und langfristig zu sichern.
Grosse Zustimmung für Atomkraft
Blick wollte wissen: Was will eigentlich die Bevölkerung? Sollen geschützte Landschaften mit Solarpanels bestückt werden, auch wenn noch viel Platz auf Dächern ist? Oder müssen wir doch wieder über Atomkraft reden – obwohl es immer noch kein Endlager gibt? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, hat das Forschungsinstitut Sotomo im Auftrag von Blick bei gut 9000 Stimmberechtigten aus der deutsch- und französischsprachigen Schweiz eine Umfrage durchgeführt.
Sie zeigt: Die Kernkraft hat einen grossen Rückhalt in der Bevölkerung. 55 Prozent der Befragten finden, dass AKWs eine wichtige Rolle bei der Behebung des Stromengpasses in der Schweiz spielen. Die Kernenergie liegt auf Platz 3 – hinter den Solaranlagen an Gebäuden (77 Prozent) und grossen Wasserkraftanlagen (74 Prozent).
Volksinitiative in Sammelphase
Noch 2017 hiess das Volk die Energiestrategie 2050 und damit auch den Ausstieg aus der Atomkraft gut, mit 58 Prozent Ja-Stimmen. Die Abstimmung war ein Triumph für die damalige Energieministerin Doris Leuthard (59).
Bloss: Bald darauf begannen die grossen Diskussionen um die Förderung der Alternativen. Bei den Solaranlagen waren es die Investitionen, die sich kaum rechneten. Bei der Wasserkraft die tiefen Energiepreise, die einen Ausbau verhinderten. Und bei der Windkraft der zähe Widerstand und Einsprachen, die Projekte jahrelang blockieren.
Heute sieht alles wieder anders aus: Derzeit befindet sich sogar eine Volksinitiative in der Sammelphase, die das AKW-Bauverbot aufheben will. Das Anliegen mit dem Titel «Jederzeit Strom für alle» wurde im Spätsommer 2022 lanciert und will in der Verfassung festschreiben, dass die Stromversorgung jederzeit sichergestellt sein muss – wenn nötig sollen dafür auch neue Atommeiler her.
Und dies, obwohl die Grünen fordern, dass alle bestehenden Atomkraftwerke bis spätestens 2037 vom Netz genommen werden. Nur eben: Das Stimmvolk sieht das anders. Gemäss Umfrage lehnt es die Forderung der Grünen mit 64 Prozent ab. Nur gut ein Drittel ist für oder eher für die Abschaltung der AKWs bis zu diesem Zeitpunkt.
Eher keine Subventionen für AKW-Betreiber
56 Prozent der Befragten sind derweil dafür oder eher dafür, dass die Schweiz rasch oder neue AKWs planen soll, um die Stromversorgung zu sichern.
Nur: Geht es ums Bezahlen, sind sich die Befragten uneins. 49 Prozent finden, dass der Staat AKW-Betreibern unter die Arme greifen sollte, wenn sich der Betrieb nicht mehr rentiert. 51 Prozent sind dagegen.
Interessant ist, dass sich die 18- bis 35-Jährigen am deutlichsten gegen die Abschaltung der vier AKWs stellen. Für 60 Prozent von ihnen kommt nicht infrage, ihnen bis 2037 den Stecker zu ziehen. Ähnlich hoch ist der Widerstand bei den über 55-Jährigen. Die Altersgruppe dazwischen hingegen ist etwas AKW-skeptischer. Das zeigt sich bei den Antworten auf mehrere Fragen.
Solaranlagen an Gebäuden kommen gut an
Gross ist die Zustimmung in der Bevölkerung für eine Solarpanel-Pflicht bei gewerblichen und öffentlich Neubauten. 60 Prozent sprechen sich klar, 17 Prozent eher dafür aus. Nur jede und jeder Fünfte will davon nichts oder eher nichts wissen. Deutlich dafür sind Wählerinnen und Wähler in der französischsprachigen Schweiz: Sie unterstützen das Vorhaben mit 92 Prozent. In der Deutschschweiz liegt die Zustimmung bei 72 Prozent.
Geht es nach dem Stimmvolk, sollen künftig auch bei Wohngebäuden Solaranlagen installiert werden. Hier ist die Zustimmung allerdings weniger deutlich als bei gewerblichen und öffentlichen Neubauten. 69 Prozent sind eher oder klar dafür. Auffällig ist auch hier der Röstigraben: Die Welschen sprechen sich im Vergleich zu den Deutschschweizern mit 87 zu 63 Prozent viel deutlicher dafür aus.
Zwei Drittel der Befragten unterstützen zudem den Ausbau der Wasserkraft in den Alpen durch Grossprojekte. Nur 12 Prozent finden das keine gute Idee. Egal welcher Partei man nahesteht: Die Zustimmung liegt bei allen politischen Lagern bei über 50 Prozent. Eines dieser Projekte sieht die Erhöhung der Staumauer beim Grimselsee um 23 Meter vor. Damit soll die Kapazität fast verdoppelt werden können.