Für einmal fand ein BLICK-Live-Talk nicht im Studio des Newsrooms statt. Ueli Maurer (68) hatte wegen der vollen Agenda eines Bundespräsidenten keine Zeit für einen Abstecher nach Zürich. Dafür stellte er kurzerhand sein Büro für das Gespräch über den AHV-Steuer-Deal zur Verfügung. Ein Beleg mehr, wie wichtig dem Finanzminister ein Ja am 19. Mai ist.
BLICK: Herr Maurer, die neuste Umfrage sagt für die AHV-Steuerreform-Abstimmung einen Ja-Anteil von 59 Prozent voraus. Lehnen Sie sich jetzt entspannt zurück?
Ueli Maurer: Nein. Der Trend geht in die richtige Richtung, aber es kann immer noch etwas passieren. Vor dem 19. Mai ist gar nichts gewonnen.
Es ist ja eine spezielle Vorlage, weil sie zwei Dinge miteinander verknüpft, die nichts miteinander zu tun haben: eine Steuerreform und eine AHV-Zusatzfinanzierung. Ist ein solcher Kuhhandel legitim?
Diese Verknüpfung kam nicht vom Bundesrat, sondern aus dem Parlament. Aber es ist eine clevere Lösung, denn sie bringt uns bei zwei grossen Problemen weiter: Wir brauchen ein neues Steuersystem, um Arbeitsplätze zu sichern, und wir müssen die AHV finanzieren. Wenn wir Lösungen wollen, geht es nur mit Kompromissen. Das leuchtet den Stimmbürgern offenbar ein.
Was ist Ihr bestes Argument für ein Ja?
Diese Vorlage bringt Sicherheit: sichere Jobs und sichere Renten.
Was passiert bei einem Nein?
Das wäre eine Katastrophe. Eine Schweiz, die zweimal Nein zur Steuerreform sagt, sendet ein fatales Signal aus: dass man sich auf uns nicht verlassen kann.
BLICK-Leserin Lisa: Die SVP kämpft immer gegen die Einmischung aus dem Ausland. Die Steuern müssen wir aber wegen ausländischem Druck anpassen. Warum machen Sie keine SVP-Politik mehr?
Das ist absolut SVP-Politik! Wir wollen Firmen in der Schweiz behalten und neue Firmen anziehen. Da geht es um Arbeitsplätze, nicht ums Ausland. Für Arbeitsplätze hat sich die SVP immer eingesetzt.
Aber ohne den Druck von EU und OECD würden wir die Steuerprivilegien für ausländische Firmen doch so lassen, wie sie sind.
Nicht auf Dauer. Die Schweiz kann in diesem Bereich nicht so tun, als sei sie eine Insel. Ausserdem wuchs auch der Druck aus dem Inland: Schweizer Unternehmen finden es ungerecht, dass sie mehr Steuern zahlen müssen als ausländische Firmen.
Leser Marco: Mehr Firmen, Firmen, Firmen – das bedeutet doch immer mehr Einwanderer! Das geht doch nicht auf!
Das sehe ich anders. Wir brauchen gute Arbeitsplätze für unsere jungen Leute. Dafür brauchen wir Firmen, die diese Arbeitsplätze schaffen. Was die Zuwanderung betrifft: Wir haben heute das Problem, dass schlecht qualifizierte Leute kommen. Gut ausgebildete Leute hat die Schweiz immer begrüsst.
Auch die AHV soll von der Reform profitieren. Sie soll jährlich zwei Milliarden Franken zusätzlich erhalten. Damit hat man die Linken ins Boot geholt.
Es macht auch inhaltlich Sinn. Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer kommen jetzt ins Pensionsalter – da brauchen wir mehr Geld, um die Renten zu zahlen. Derzeit geben wir für die AHV 180 Millionen Franken mehr aus, als wir einnehmen. Und zwar jeden Monat!
Da sind zwei Milliarden pro Jahr nur ein Tropfen auf den heissen Stein.
Ein bisschen mehr ist es schon. Aber die zwei Milliarden lösen tatsächlich nur ein Drittel des Problems. Das heisst: Wir brauchen sehr schnell eine AHV-Reform. Der Bundesrat wird die Botschaft noch vor der Sommerpause oder direkt in der ersten Sitzung danach verabschieden.
Leser Philipp: Ich bin für die zwei Milliarden für die AHV. Dann ist die Erhöhung des Rentenalters vom Tisch, oder?
Das ist leider nicht so einfach. Ohne die zwei Milliarden ist die AHV 2030 pleite. Mit dem Geld 2035. Wir gewinnen ein paar Jahre, aber das reicht nicht.
Dass Rentner plötzlich keine AHV mehr bekommen, ist nicht vorstellbar. Da findet sich immer eine Lösung.
Ja, was wollen Sie denn machen, wenn kein Geld mehr da ist? Das Problem der AHV wird unglaublich unterschätzt! Also, mir ist es nicht wohl dabei! Nicht wegen mir – ich könnte schon leben. Aber wegen all der Leute, die ein ganzes Leben gearbeitet haben und nun auf die AHV angewiesen sind. Denen müssen wir die Renten sichern! Und reinen Wein einschenken: Wir werden länger arbeiten müssen. Und wir werden mehr zahlen müssen.
Lässt sich wirklich eine Mehrheit für eine Erhöhung des Rentenalters finden?
Das ist eine heikle Frage – das wissen wir alle. Aber es ist auch nicht so, als würden alle gern mit 65 pensioniert werden. In meinem Departement ist etwa ein Drittel bereit, länger zu arbeiten. Ich bin jetzt 68 und könnte mir vorstellen, noch zehn Jahre weiterzuarbeiten!
Als Bundesrat können Sie das gut sagen. Für andere braucht es Unternehmen, die 68-Jährige einstellen.
Das würde sich einpendeln, da bin ich überzeugt. Vielleicht muss man auch darüber reden, dass man nicht über eine ganze Karriere hinweg immer mehr verdient, sondern ab 60 auch eine Lohnstagnation oder eine kleine Reduktion in Kauf nehmen muss.
Leser Niklaus Stieger: Was soll mit den Leuten vom Bau passieren, die harte körperliche Arbeit leisten? Das geht nicht bis 67!
Es braucht flexible Lösungen. Vielleicht ist das Lebensarbeitszeit-Modell ein Ansatz: Jemand, der mit 19 schon voll im Beruf steht, könnte schon früher in Pension gehen als jemand, der erst nach dem Studium mit 25 beginnt zu arbeiten. Das sind alles unangenehme, schwierige Fragen. Aber wir müssen uns diesen stellen – denn es brennt in der AHV!
Gibt es keine anderen Möglichkeiten, die AHV zu finanzieren? Mit einer Erbschaftssteuer oder aber – wie Ihre Partei das vorschlägt – indem man etwas von der Entwicklungshilfe abzwackt?
Auch wenn wir die Entwicklungshilfe komplett einstellen – das würde nicht reichen. Selbst die Abschaffung der Armee – die nicht in Frage kommt – wäre nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Man unterschätzt, was uns die Rente in Zukunft kosten wird.
Sie arbeiten gern, haben Sie eben gesagt: Gibt es am 19. Mai ein Ja zur AHV-Steuerreform – wäre das kein guter Moment, die Bürde des Amtes abzulegen?
Ich empfinde das Amt nicht als Bürde, sondern als das Spannendste, was ich mir vorstellen kann. Ich gehe jeden Tag gern ins Büro.
Also treten Sie im Dezember zur Wiederwahl an?
Wenn ich nicht unters Tram komme oder sonst etwas passiert, kann – oder muss – man mit mir rechnen.
Die Schweiz stimmt im Mai über zwei Vorlagen ab. BLICK erklärt, um was es genau geht.
- Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung
Die Grundlagen und kniffligsten Fragen verständlich erklärt
- Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Richtlinie zur Änderung der EU-Waffenrichtlinie
Das veränderte Waffenrecht in 12 Punkten erklärt.
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Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.
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