Die Richter haben mit falschen Zahlen gespielt! Seit 2019 gibt es eine neue Berufungskammer am Bundesstrafgericht in Bellinzona. Urteile, welche die erstinstanzliche Strafkammer ganz oder teilweise abgeschlossen hat, können bei dieser Berufungskammer seitdem angefochten werden.
Absichtlich zu niedrig
Doch nun legt ein Kontrollbericht des Parlaments offen, dass die obersten Richter bei der Planung der Berufungskammer schummelten: Daniel Kipfer, Präsident des Bundesstrafgerichts, gab dem Parlament an, mit jährlich elf Fällen zu rechnen. Laut dem Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) des National- und Ständerats habe Kipfer mit Absicht eine viel zu niedrige Zahl angegeben. Aus Angst, dass bei einer höheren Zahl das Projekt ganz zum Scheitern kommen würde.
Intern seien frühzeitig Bedenken geäussert worden, ob das veranschlagte Personal ausreichen würde. Diese Einwände seien allerdings unterbunden worden. Vor einer Weitergabe der Informationen nach Bern sei gewarnt worden. Laut GPK habe Kipfer die Organe des Bundesstrafgerichts umgangen. «Dies ist umso störender, als die Meinungen innerhalb des Gerichts zur Organisation der Berufungskammer nicht einhellig waren», so der Bericht. «Die tief gestapelten Prognosen hatten System und entsprachen einem politischen Kalkül.»
Dreimal mehr Fälle
Das Kalkül ging auf, die Schaffung der Berufungskammer wurde angenommen. Laut dem «Tages-Anzeiger» wurde je eine deutsch- und eine italienischsprachige Richterin im Teilzeitpensum eingestellt. Statt elf Fälle trafen im ersten Jahr 35 ein. Die Kammer war sofort überlastet, was zu jahrelangen Verzögerungen führte. Eilig musste das Parlament weitere Gelder für die Kammer sprechen, doch das Ressourcenproblem bleibt nach wie vor ungelöst.
Dasselbe Bundesstrafgericht im Tessin war bereits wegen Mobbingvorwürfen gegen eine Richterin in den Schlagzeilen. (lui)