Beratungsstellen schlagen Alarm
Immer mehr Schweizer geraten in die Schuldenfalle

Allein im vergangenen Jahr haben mehr als 6000 überschuldete Haushalte erstmals bei Fachstellen Hilfe gesucht. Viele können ihre Schulden ihr Leben lang nicht abbezahlen. Darauf sitzen bleibt meist der Staat. Das hat nun auch die Politik erkannt.
Publiziert: 02.08.2024 um 17:09 Uhr
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Aktualisiert: 02.08.2024 um 18:32 Uhr
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In der Schweiz geraten immer mehr Menschen in die Schuldenfalle.
Foto: Siggi Bucher
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Daniel BallmerRedaktor Politik

Am Anfang steht oft ein Schicksalsschlag: eine Krankheit oder ein Unfall, ein Jobverlust oder eine Trennung. Betroffen sind aber auch Working Poor, ehemalige Selbstständige oder Spielsüchtige. In der Schweiz geraten immer mehr Menschen in die Schuldenfalle. Hatten die Fachstellen 2022 noch 5216 Haushalte erstmals beraten, waren es im 2023 bereits 6169.

«Wir stellen eine zunehmende Entwicklung fest», sagt Pascal Pfister, Geschäftsführer der Schuldenberatung Schweiz (SBS). «Manche Fachstellen registrieren einen ziemlichen Ansturm.» Ein Grund sei sicher die mittlerweile wieder abgeflaute Inflation, die gerade Menschen mit tiefem Einkommen betroffen habe. Das Problem: Wer einmal in die Schuldenfalle geraten ist, kommt kaum mehr raus. «Insofern ist die Situation besorgniserregend», so Pfister.

Mittelwert liegt bei 61'459 Franken Schulden

Und: Je länger die Verschuldung anhält, desto tiefer geraten die Betroffenen in die Schulden. Im Gegensatz zu anderen Ländern bleiben die Schulden in der Schweiz bis ans Lebensende bestehen. Anders als nach einer Straftat wie Körperverletzung oder einem Wirtschaftsdelikt gibt es keine Verjährungsfrist. Verurteilte sollen sich resozialisieren können. Für Verschuldete dagegen gibt es oft keine zweite Chance.

Der Mittelwert bei den Schulden liegt bei 61'459 Franken. Die Hälfte der Menschen, die bei der Schuldenberatung Rat gesucht haben, sind mit zwischen 12'577 und 70'963 Franken verschuldet. Die Werte der vergangenen Jahre lagen in vergleichbarer Höhe. Fast drei Viertel der Betroffenen haben Steuerschulden. Drei Fünftel haben Schulden bei der Krankenkasse. Weit verbreitet sind auch nicht bezahlte Gesundheitskosten. Kredit- und Kreditkartenschulden liegen bei je rund 22 Prozent.

Gerade langfristige Schulden bleiben letztlich oft am Staat hängen. Wenn sich eine Person so stark verschuldet, dass sie gepfändet wird, darf sie nur das Geld fürs Nötigste behalten. Etwa für Miete oder Krankenkasse – das sogenannte Existenzminimum. Die Steuern gehören bisher nicht dazu. Die Folge: Gepfändete können die laufenden Steuern nicht bezahlen und machen so zwangsläufig neue Schulden beim Steueramt. Ohne, dass sie irgendeinen Fehler begehen. Mittlerweile ist bei rund 55 Prozent aller Schulden der Staat der Gläubiger.

Bundesrat und Parlament haben Handlungsbedarf erkannt

Die Situation kann dem Staat also alles andere als egal sein. Das haben auch National- und Ständerat erkannt: Schuldner sollen wegen Steuern nicht neue Schulden anhäufen müssen. Bei der Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums von Schuldnern sollen daher künftig auch deren Steuern berücksichtigt werden, findet das Parlament. Für Verschuldete ist das eine grosse Erleichterung.

«Das ist für Verschuldete ein wichtiger Schritt», findet auch SBS-Geschäftsführer Pfister. Das Parlament habe das Problem erkannt, doch es seien weitere Massnahmen nötig. Eine Möglichkeit wäre, Sanierungsverfahren mit einer Restschuldbefreiung einzuführen. Der Bundesrat hat hier Handlungsbedarf erkannt, bis Ende Jahr wird eine Vorlage ans Parlament erwartet. Gleichzeitig würde sich die Schuldenberatung eine effektivere Prävention wünschen.

«All das würde die Situation von Verschuldeten in der Schweiz deutlich verbessern», ist Pfister überzeugt. «Wir sollten den Menschen eine zweite Chance geben.»

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