Verdacht auf politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Nachrichtendienst für einen fremden Staat oder eine fremde Organisation: Es ist selten, dass Schweizer Behörden ein Verfahren wegen möglicher Spionage führen. Doch einen in Genf wohnhaften Kanadier verdächtigt die Bundesanwaltschaft derzeit, gleich gegen alle drei Strafnormen verstossen zu haben.
Der Mann sitzt seit diesem Frühling in der Schweiz im Gefängnis, wie Recherchen des «Tages-Anzeigers», des deutschen «Spiegel» und dem auf Nordkorea spezialisierten Newsportal «NK News» ergeben haben.
Die Agentin steckte ihm ein Couvert zu
Auf die Schliche sollen die Behörden dem Kanadier in einem Genfer Restaurant gekommen sein – bei einem Treffen mit einer chinesischen Geheimagentin. Weitere konspirative Tête-à-têtes folgten, bei denen die Agentin dem Mann unter anderem ein Couvert zugesteckt haben soll. Der Verdacht liegt nahe, dass darin Geld war. Die beiden hätten die Lokale jeweils nacheinander verlassen, offensichtlich wollten sie nicht zusammen gesehen werden.
China könnte den Mann angeworben haben, um Informationen über Nordkorea zu erhalten. Denn der Verdächtige ist laut Medienbericht Nordkorea-Experte und verfügt über gute Kontakte zu Diplomaten aus dem abgeschotteten Land. Diese soll er geknüpft haben, als er für eine Uno-Organisation arbeitete, die Entwicklungsländer unterstützt. Er sei die Ansprechperson für die Aktivitäten der Organisation in Nordkorea gewesen sein. Bis zu seiner Verhaftung soll der Mann als selbstständiger Umweltberater in der Westschweiz tätig gewesen sein, jedoch nicht sonderlich viel Geld damit verdient haben.
Strafverfahren wurde 2023 eröffnet
Die chinesische Diplomatin, die undercover als Agentin tätig war, ist gemäss der Recherchen unbehelligt geblieben und hat das Land inzwischen verlassen. Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) hatte sie beschattet und war dabei auf den Kanadier gestossen. Die Bundesanwaltschaft liess auch ihn daraufhin überwachen. Ob sie dabei auf weitere belastende Indizien stiess, ist laut Recherchen unklar. Im März 2023 sei jedenfalls ein Strafverfahren eröffnet worden.
Der NDB äussert sich nicht zum Fall. Das kanadische Aussenministerium bestätigte auf Anfrage von «NK News» die Festnahme eines Kanadiers in der Schweiz. Auch die Anwältin des Verdächtigen und seine Familie wollen sich nicht zum Fall äussern.