«Im Nachhinein war es die beste Entscheidung meines Lebens», sagt Peter Buri (35) über den Umzug in die eigene Wohnung. Zuvor hatte er fünf Jahre in einem Heim gelebt, sich dort aber nie richtig wohlgefühlt. «Es war vorgegeben, wann ich Zmorge, Zmittag und Znacht esse, wann ich aufstehe und ins Bett gehe. Irgendwann ist mir die Decke auf den Kopf gefallen.»
Buri hat den Schritt ins Ungewisse gewagt und mit einem Freund aus dem Heim eine Wohngemeinschaft in Ostermundigen BE gegründet. Den Alltag in der WG kann er aber nur mit viel Unterstützung bewältigen. Buri hat eine progressive Muskelerkrankung und sitzt im Rollstuhl. «Ich bin im kompletten Alltag auf Hilfe angewiesen, von der Grundpflege bis zum Haushalt.» Mit dem Assistenzbeitrag der IV bezahlt er unter anderem seine Betreuungspersonen. «Die Wohnung gibt mir ein Stück Normalität. Hier gibt es keine fremden Strukturen mehr, die mich in ein Korsett zwingen.»
Anreize sind falsch gesetzt
Für viele Menschen mit Behinderung bliebt die eigene Wohnung ein Traum. Es gibt nicht nur bauliche Hindernisse, sondern auch bürokratische. Das aktuelle Bundesgesetz, das die Eingliederung von invaliden Personen regelt, ist nämlich auf ein Leben in stationären Einrichtung wie Heimen ausgerichtet: Finanziert werden in den Kantonen also nicht die betroffenen Personen, sondern direkt Wohnheime, Werkstätten und Tagesstätten.
«Das Bundesgesetz stammt aus einer Zeit, als es noch kein Assistenzmodell gab», so Buri. Es sei auf Heime ausgelegt.
«Die Anreize sind falsch gesetzt», bestätigt Matthias Kuert Killer, Leiter Politik von Inclusion Handicap. Laut Kuert Killer ist der Assistenzbeitrag, der 2012 eingeführt wurde, als Abhilfe ungenügend. Teilweise decke er nicht alle notwendigen Leistungen ab, und viele Menschen mit Behinderung hätten keinen Zugang.
Das will die zuständige Kommission des Nationalrats jetzt ändern. Eine deutliche Mehrheit verlangt, dass die Leistungen der Kantone nicht mehr nur in Heime gesteckt, sondern direkt auf die Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmt werden. Mit der Reform soll auch die Niederlassungsfreiheit garantiert werden. Denn heute können Menschen wie Peter Buri nicht einfach den Kanton wechseln. Am Donnerstag entscheidet der Nationalrat über den Vorstoss.
«Es war eine Entlastung»
Einige Kantone sind schon weiter. Sie zahlen Betreuungsgelder direkt an Betroffene. St. Gallen testet das derzeit in einem Pilotprojekt. Mit dabei ist Seraina Wiedmer (26). Sie hat eine Autismus-Diagnose und wohnt seit September in einer Wohnung mit einem individuellen Unterstützungsplan.
Das Pilotprojekt habe ihr aus der Patsche geholfen, erzählt sie: «Ich bin immer zwischen Stühle und Bänke gefallen.» Die Unterstützung der Hilflosenentschädigung hätte für sie nicht gereicht, aber mit fremden Menschen im Heim zu wohnen sei für sie mit Autismus nur schwer vorstellbar.
Darum hat sie vorher fast ohne externe Hilfe gewohnt. Aber: «Ohne Morgenbegleitung bin ich oft zu spät zur Arbeit gekommen. Sachen wie Wäsche waschen sind auf der Strecke geblieben. Das musste meine Mutter übernehmen.» Mit der individuellen Unterstützung liege jetzt wieder mehr drin. «Putzen, aufräumen, oder einfach nur reden. Es ist eine Entlastung», erzählt Wiedmer.
Inklusionsinitiative
Peter Buri liegt das selbstbestimmte Wohnen am Herzen. «Menschen mit Behinderung müssen die gleiche Wahlfreiheit haben, wie auch Herr und Frau Schweizer ohne Behinderung», findet er.
Dieses Anliegen will er auch an die Urne bringen. Er ist darum im Komitee der Inklusionsinitiative, für die zurzeit Unterschriften gesammelt werden. Nebst freier Wahl von Wohnort und Wohnform fordert die Initiative unter anderem auch mehr barrierefreie Wohnungen. Diese sind gemäss Inclusion Handicap rar. Laut Gesetz müssen nur Gebäude mit mehr als acht Wohnungen barrierefrei gebaut werden. Und barrierefrei renoviert würden bestehende Wohnungen nur dann, wenn sie sich sowieso im Umbau befinden.
Das zeigt: Selbst wenn sich das Parlament für mehr selbstbestimmtes Wohnen ausspricht, bleiben für Menschen mit Behinderung noch viele Hürden bestehen.