Franziska S.* (53) aus Sissach BL ist schwer krank. Vor rund 25 Jahren haben Ärzte bei ihr eine systemische Sklerose festgestellt – eine unheilbare Autoimmunkrankheit. Die Folgen: Ihr Bindegewebe verdickt fortschreitend, Blutgefässe verändern sich. Es kommt zu Durchblutungsstörungen. S. wurden bereits zwei Zehen und ein Finger amputiert. Auch Sehnen und Bänder mussten operativ entfernt werden.
Heute kann sie nur noch wenige Meter selbständig gehen, auch die Hände kaum mehr bewegen. Sie sind verkrümmt, die Handgelenke steif. Alleine wohnen kann die Baselbieterin nicht mehr – sie ist auf die Invalidenversicherung (IV) angewiesen. Diese zahlt dann nebst einer IV-Rente zusätzlich eine Hilflosenentschädigung sowie einen Assistenzbeitrag. Damit sich eine Patientin wie S. eine Haushaltshilfe leisten kann und nicht mit 53 Jahren in ein viel teureres Alters- oder Pflegeheim eingewiesen werden muss.
Doch ausgerechnet dieser Zuschuss fehlt der Schwerkranken nun. Nach einer Neuprüfung hat die zuständige IV-Stelle des Kantons Basel-Landschaft die Leistungen gekürzt. Auf Kosten von Franziska S. – und auf Kosten ihrer Töchter.
Die Töchter helfen, so gut es eben geht
Zwei der drei Töchter wohnen noch zu Hause. Ihre jüngste Tochter Noelle (17) hilft, wo es geht: «Wir unterstützen unsere Mutter finanziell und in der Betreuung.» Noelle ist angehende Medizinpraxisassistentin im ersten Lehrjahr. Ihren ganzen Lohn gibt sie der Mutter, damit das Finanzloch der Familie nicht noch grösser wird. Auch von ihrer Freizeit bleibt nichts übrig. «Kochen, Essen verabreichen, Kleider anziehen, Wäsche waschen – das ist unser Alltag», sagt die Teenagerin.
Auch Tochter Davina (31), die selber eine Familie hat, ist am Limit. «Wir machen alles, was wir können, um unsere Mutter zu stützen. Warum wir von der IV aber in einem so offensichtlichen Fall so behandelt werden, kann ich nicht verstehen», sagt sie. Schliesslich habe die Familie der IV-Stelle mehrfach ihre prekäre Situation dargelegt.
Alles begann mit einem Umzug
Der ganze Ärger begann mit einem Umzug. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn, wo S. bis 2014 wohnte, hatte ihr die «mittlere Hilflosenentschädigung» 15 Jahre lang zusammen mit dem daran gekoppelten Assistenzbeitrag ausbezahlt. Als S. aber mit zwei Töchtern nach Sissach zog, war plötzlich Schluss.
Die IV-Stelle des Kantons Basel-Landschaft hat bei der Neuprüfung der schwer kranken Frau einfach die Leistungen gekürzt. Seither bekommt diese nur noch die «leichte Hilflosenentschädigung». Angeordnet hat dies 2016 der Abklärungsdienst der IV. Nach Hausbesuchen wird in einem Bericht behauptet, dass S. durchaus mehr als fünf Stunden am Stück ohne fremde Hilfe gehen könne. Auch das WC könne die Frau selber nutzen – und selbständig und ohne Hilfe essen. Diesem Bericht widersprechen jedoch Gutachten von zwei Ärzten.
Für die Familie hat der Entscheid der IV massive Folgen. «Ich und meine Töchter kämpfen jeden Monat ums finanzielle Überleben», sagt Franziska S. Ihr fehlen nun zusammen mit dem geringeren Assistenzbeitrag monatlich über 1100 Franken.
Gericht gibt IV-Bezügerin recht
S. wehrte sich darum gerichtlich. Das Kantonsgericht Basel-Landschaft gab ihr recht: Der Abklärungsbericht sei unvollständig, ihm fehle daher die Beweiskraft. Auch sind «die Ausführungen im Abklärungsbericht zu den alltäglichen Lebensverrichtungen nicht nachvollziehbar und teilweise widersprüchlich», so das Gericht.
So werde einerseits geschrieben, dass Franziska S. beim An- und Auskleiden Hilfe benötige, da sie in der Handgelenksbewegung eingeschränkt sei. Andererseits, so das Gericht, «wird aber – dieser Beurteilung widersprechend – bezüglich des Verrichtens der Notdurft vermerkt, dass die Beschwerdeführerin ihre Kleidung selbständig richte sowie einfache, locker sitzende Kleidung selbständig zuknöpfe».
Das Gericht hat die Verfügung darum im August 2018 aufgehoben und die IV-Stelle aufgefordert, eine neue auszustellen. Doch der gerichtliche Rüffel vom vergangenen Jahr hat nichts genützt. Die IV-Stelle hat die kranke Frau im März bislang einzig für neue medizinische Abklärungen zu drei weiteren Ärzten geschickt. Und diese haben –obwohl schon acht Monate vergangen sind – noch immer keine Gutachten geschrieben. Folge: ohne Gutachten keine Verfügung, und ohne Verfügung gibt es auch weiterhin nur die «kleine Hilflosenentschädigung».
IV-Stelle verteidigt Vorgehen
Isabelle Schaffner, Sprecherin der SVA Basel-Landschaft, verteidigt die Arbeit der IV-Stelle. Etwa dass sie die Mutter zu weiteren Ärzten schickt: «Das Gericht hat festgestellt, dass die vorliegenden Berichte für den Entscheid nicht ausreichten. Die IV-Stelle setzt darum den Auftrag des Gerichts um, ein weiteres Gutachten einzuholen.»
Dass diese Gutachten seit März hängig sind, bedauert auch Schaffner. «Die lange Verfahrensfrist ist leider kein Einzelfall. Wir haben im Juli und im Oktober 2019 dann auch erfolglos nach dem Stand des Gutachtens gefragt», sagt sie zu BLICK.
Die lange Verfahrensdauer habe aber Gründe: «Sie ist bedingt durch die Komplexität der Fälle und der Verfahrensregeln, aber auch durch die Sorgfalt, um jedem Fall gerecht zu werden.»
* Name bekannt
Wer aufgrund einer Krankheit beim Ankleiden, Aufstehen, Absitzen, Essen oder der Körperpflege die Hilfe anderer Menschen benötigt, ist im Sinne der Invalidenversicherung «hilflos» und kann eine Hilflosenentschädigung erhalten. Dabei gibt es drei Stufen: die leichte (475 Franken pro Monat), mittlere (1185 Franken pro Monat) und schwere Hilflosigkeit (1896 Franken pro Monat). Die Hilflosenentschädigung wird zusätzlich zu einer IV-Rente gezahlt und soll Auslagen decken, die aufgrund der Hilflosigkeit entstehen. Daran gekoppelt ist der Assistenzbeitrag, der unterschiedlich hoch sein kann, je nachdem in welchem Bereich eine Person die Hilfe benötigt.
Wer aufgrund einer Krankheit beim Ankleiden, Aufstehen, Absitzen, Essen oder der Körperpflege die Hilfe anderer Menschen benötigt, ist im Sinne der Invalidenversicherung «hilflos» und kann eine Hilflosenentschädigung erhalten. Dabei gibt es drei Stufen: die leichte (475 Franken pro Monat), mittlere (1185 Franken pro Monat) und schwere Hilflosigkeit (1896 Franken pro Monat). Die Hilflosenentschädigung wird zusätzlich zu einer IV-Rente gezahlt und soll Auslagen decken, die aufgrund der Hilflosigkeit entstehen. Daran gekoppelt ist der Assistenzbeitrag, der unterschiedlich hoch sein kann, je nachdem in welchem Bereich eine Person die Hilfe benötigt.