Kommt die nächste Pandemie? Irgendwann wohl schon. In einigen Jahren werden wir darum abstimmen, ob Personen, die sich nicht impfen lassen möchten, dann benachteiligt werden dürfen.
Eine sehr hypothetische Diskussion, wie sich in der Corona-Pandemie gezeigt hat.
Diese Woche ist das Volksbegehren «Stopp Impfpflicht» der Freiheitlichen Bewegung Schweiz (FBS) mit über 120'000 Unterschriften zustande gekommen, wie die Bundeskanzlei mitgeteilt hat.
Im Gegensatz zum Ausland ist die generelle Impfpflicht in der Schweiz aber nicht wirklich ein Thema. Doch wie haben die Initianten dieses Dilemma aufgelöst und dennoch eine Volksabstimmung herbeigeführt? Das ging so:
In unserer Bundesverfassung heisst es in Artikel 10 erstens: «Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten.» Zweitens: «Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.» Drittens: «Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten.» So weit, so klar.
Impfzwang gibt es nicht
Punkt zwei des Verfassungsartikels verunmöglicht hierzulande einen Impfzwang. Denn niemand kann in der Schweiz dazu genötigt werden, gegen seinen Willen den Oberarm hinzuhalten, denn dadurch würde seine «körperliche Unversehrtheit» eingeschränkt.
Nun ist es aber so, dass laut dem vom Volk angenommenen Epidemiengesetz der Bundesrat, wenn es die Situation erfordert, die «besondere Lage» und wenn es ganz schlimm kommt, die «ausserordentliche Lage» erklären kann. Das hatte die Regierung wegen Corona auch getan.
In der «ausserordentlichen Lage» befindet sich die Schweiz nicht mehr. In dieser konnte der Bundesrat weitgehend alleine schalten und walten. Aktuell befinden wir uns wegen Covid in der «besonderen Lage». In dieser muss der Bundesrat jeweils die Kantone konsultieren, bevor er beispielsweise neue Corona-Massnahmen verhängt.
Obligatorium für bestimmte Gruppen
Im Artikel 6 dieses Epidemiengesetzes, in dem die «besondere Lage» genauer geregelt wird, werden die Möglichkeiten aufgeführt, die der Bundesrat nach Anhörung der Kantone hat. Hier ist festgehalten, dass die Landesregierung «Impfungen bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei besonders exponierten Personen und bei Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären» kann.
Nach Rücksprache mit den Kantonen dürfte der Bundesrat also beispielsweise bei Pflegepersonal, das mit Covid-Patienten in Kontakt kommt, ein Impf-Obligatorium verhängen. Weil unsere Verfassung aber verbietet, die «körperliche Unversehrtheit» anzutasten, kann das Pflegepersonal aber nicht zwangsgeimpft werden. Pflegende müssten aber allenfalls mit der Zuweisung von anderen Aufgaben oder einer Busse rechnen. Als schwerste Konsequenz könnte ihnen ein zeitweises Verbot drohen, ihren Beruf auszuüben.
Wort «Impfpflicht» fehlt im Initiatv-Text
Genau dagegen wehren sich die Leute hinter der «Stopp Impfpflicht»-Initiative. Sie haben Unterschriften gesammelt, um folgendes in die Verfassung einzufügen: «Eingriffe in die körperliche und geistige Unversehrtheit bedürfen der Zustimmung der betroffenen Person. Aus der Verweigerung der Zustimmung darf die betroffene Person nicht gebüsst werden und es dürfen ihr keine sozialen oder beruflichen Nachteile erwachsen.» Die Worte «Impfung» oder «Impfpflicht» fehlen explizit im Initiativ-Text.
Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit
2 Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.
2bis Eingriffe in die körperliche und geistige Unversehrtheit bedürfen der Zustimmung der betroffenen Person. Aus der Verweigerung der Zustimmung darf die betroffene Person nicht gebüsst werden und es dürfen ihr keine sozialen oder beruflichen Nachteile erwachsen.
Art. 197 Ziff. 12
12. Übergangsbestimmung zu Art. 10 Abs. 2 und 2bis (Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit)
Die Bundesversammlung erlässt die Ausführungsbestimmungen zu Artikel 10 Absatz 2 und 2bis bis spätestens ein Jahre nach dessen Annahme durch Volk und Stände. Treten die Ausführungsbestimmungen innerhalb dieser Frist nicht in Kraft, so erlässt der Bundesrat sie in Form der Verordnung und setzt sie auf diesen Zeitpunkt hin in Kraft. Diese Verordnung gilt bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes.
SR 101
Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.
Quelle: https://wirbestimmen.ch
Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit
2 Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.
2bis Eingriffe in die körperliche und geistige Unversehrtheit bedürfen der Zustimmung der betroffenen Person. Aus der Verweigerung der Zustimmung darf die betroffene Person nicht gebüsst werden und es dürfen ihr keine sozialen oder beruflichen Nachteile erwachsen.
Art. 197 Ziff. 12
12. Übergangsbestimmung zu Art. 10 Abs. 2 und 2bis (Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit)
Die Bundesversammlung erlässt die Ausführungsbestimmungen zu Artikel 10 Absatz 2 und 2bis bis spätestens ein Jahre nach dessen Annahme durch Volk und Stände. Treten die Ausführungsbestimmungen innerhalb dieser Frist nicht in Kraft, so erlässt der Bundesrat sie in Form der Verordnung und setzt sie auf diesen Zeitpunkt hin in Kraft. Diese Verordnung gilt bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes.
SR 101
Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.
Quelle: https://wirbestimmen.ch
Nachteile ausschliessen
Faktisch handelt es sich somit um eine Volksinitiative, mit der verhindert werden soll, dass einem Impfverweigerer Nachteile aus seiner Verweigerungshaltung entstehen – also es geht im Grunde um ein Verbot, Impfverweigerer schlechter zu behandeln als Geimpfte. Dafür haben die Initianten mehr als 100'000 gültige Unterschriften gesammelt, weshalb die Initiative vors Volk kommt. Wenn die Mehrheit der Stimmenden sowie der Kantone der Vorlage zustimmt, kommt der oben genannte Absatz in die Verfassung und gilt künftig.
Für die Zukunft vorsorgen
Nur: Weil Pflegepersonal in der Schweiz sowieso bereits knapp ist und viele Pflegende wegen der grossen Arbeitsbelastung während der letzten zwei Jahre ihren Beruf an den Nagel gehängt haben, hat die Politik ohnehin von einem Impf-Obligatorium abgesehen. Man konnte es sich schlichtweg nicht leisten, noch mehr Pflegepersonal zu verlieren. Zudem stehen die Zeichen wegen der aktuell positiven Entwicklung auf Öffnung. Ein Obligatorium ist somit schlichtweg kein Thema.
Es ist also gut möglich, dass – wenn die Initiative in einigen Jahren vors Volk kommt – der Umgang der Schweiz mit Corona ein ähnlicher sein wird wie heute mit der Grippe: Ältere Leute und solche, die ein geschwächtes Immunsystem haben, lassen sich gegen Covid impfen. Andere, die beispielsweise ihre hochaltrigen Eltern schützen wollen, vielleicht auch. Nochmals andere, die zwar im fortgeschrittenen Alter sind und unter chronischen Krankheiten leiden, verzichten darauf – so wie sie sich bislang auch nicht gegen Grippe haben impfen lassen.
Die «Stopp Impfpflicht»-Initianten dürften gleichwohl die Ansicht vertreten, dass ihre Vorlage dennoch wichtig sei: Die Volksinitiative soll sicherstellen, dass auch bei der nächsten Pandemie in zehn, 15 oder 50 Jahren niemand Nachteile in Kauf nehmen muss, wenn er auf eine Impfung verzichtet.