Bankenpräsident Herbert Scheidt (69) verspricht im Interview
«Keine Gewinne auf Covid-19-Kredite»

Die Banken haben trotz – oder wegen – Corona ein recht erfolgreiches Jahr hinter sich. Verbandspräsident Herbert Scheidt sieht für die Zukunft aber vor allem Herausforderungen. Nicht nur für die Banken, sondern auch für die Schweiz.
Publiziert: 18.03.2021 um 06:36 Uhr
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Herbert Scheidt, Präsident der Bankiervereinigung, sagt im BLICK-Interview, dass die Banken an ihrem Versprechen festhalten, keine Gewinne mit Corona-Krediten zu machen.
Foto: Anja Wurm
Interview: Sermîn Faki und Christian Kolbe

Herbert Scheidt (69) sitzt im grossen Konferenzraum des Investmenthauses Vontobel, dem er noch bis Frühling 2022 als Verwaltungsratspräsident vorsteht. Der Blick auf Zürichsee und Alpen ist atemberaubend, doch wie alle kämpfen auch die Interview-Teilnehmer im virtuell geführten Gespräch mit den Tücken der Technik. Der persönliche Kontakt fehlt nicht nur Bankenpräsident Scheidt. Er lädt BLICK im Sommer deshalb auf die Terrasse der Bank ein – wenn das wieder möglich ist.

BLICK: Herr Scheidt, wie schneidet die Schweiz im Umgang mit Corona ab?
Herbert Scheidt: Ich erkenne viel Reaktion und wenig Aktion. Wir testen zu wenig. Wir wissen nicht, wo sich die Leute anstecken. Und wir haben als eines der reichsten Länder der Welt keine oder viel zu wenig Impfstoffe. Diese Massnahmen kosten nur einen Bruchteil von dem, was wir jetzt mit den Hilfsprogrammen zahlen müssen. Wenn wir die Situation retten wollen, dann gibt nur eines: Testen, Tracen und Impfen.

Corona hat dem Ansehen der Banken genützt. Damit liegen wir nicht ganz falsch, oder?
Als wir Banken vor einem Jahr am KMU-Kreditprogramm mitarbeiteten, ging es nicht um Image, sondern um effektive Hilfe für die Schweizer Unternehmerinnen und Unternehmer. Die Banken haben in der Corona-Krise bewiesen, dass sie eine wichtige Stütze der Wirtschaft sind. Indem sie zum Beispiel schnell zusammen mit Bund und Nationalbank das Covid-19-Kreditprogramm auf die Beine gestellt haben. Gleichzeitig haben wir für die Bankbranche einen gemeinsamen Leitfaden zum Umgang der Banken mit Insolvenzrisiken von Unternehmen erstellt.

Befürchten Sie, dass viele Kredite gar nie zurückgezahlt werden?
Im Moment haben wir keine Anzeichen für grosse Probleme bei der Rückzahlung. Aber sollte es doch dazu kommen, müssen wir vorbereitet sein, um negative Effekte für den Arbeitsmarkt zu entschärfen.

Wann wissen wir genauer, ob es zu vielen Insolvenzen kommen wird?
Wahrscheinlich, wenn die Kreditprogramme und die Not- und Härtefallprogramme auslaufen. Das hängt allerdings nicht nur von der Entwicklung in der Schweiz ab. Wenn im Ausland, insbesondere in Europa, viele Kunden von Schweizer Firmen in Konkurs gehen, dann droht ein Schneeballeffekt. In etwa einem Jahr dürften wir diesbezüglich mehr wissen.

Ist es denkbar, dass die Banken ein Auge zudrücken bei der Rückzahlung der Kredite?
Die Banken sind sich ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung bewusst und werden Kredite so lange wie möglich aufrechterhalten und mit den Kunden Wege aus der Krise suchen, bevor der Kredit fällig wird. Dazu dient eben auch der Insolvenz-Leitfaden. Die Banken werden auch ihr Versprechen «Keine Gewinne auf Covid-19-Kredite» einhalten, auch wenn sich bereits jetzt abzeichnet, dass es kaum grosse Gewinne geben dürfte.

Wie lange werden wir noch mit Negativzinsen leben müssen?
Kurz- bis mittelfristig sehe ich da keine Veränderung. An der lockeren Geldpolitik der Notenbanken wird sich so schnell nichts ändern. Das Ziel ist, Wirtschaft und Börse zu unterstützen. In der Schweiz belasten die Negativzinsen die Banken mit rund einer Milliarde Franken pro Jahr – das kostet Geld, das in die Weiterentwicklung der Banken investiert werden könnte!

Gibt es eine Schmerzgrenze, bei der auch die Bankiervereinigung sagt, Vermögen unter 100’000 Franken zum Beispiel werden nicht mit Negativzinsen belastet?
Die Banken haben lange die Kosten für die Negativzinsen übernommen. In der Krise sind die Barbestände bei den Banken sogar gestiegen. Je länger die Negativzinsen anhalten, desto eher sind die Banken gezwungen, diese Kosten ihren Kunden zu belasten. Meine Beobachtung ist: Bei 100’000 Franken liegt eine Schwelle, die die allermeisten Banken nicht unterschreiten.

Bargeld hat während Corona an Bedeutung verloren – und die Schweizer Bezahllösung Twint an Bedeutung gewonnen. Bleibt das so?
Die Menschen mögen Bargeld und vor allem auch den sicheren Schweizer Franken. Bargeld wird uns auf lange Zeit erhalten bleiben. Doch Twint ist ein Zahlungsmittel der Zukunft und wird auch weiter an Bedeutung gewinnen. Twint ist auch bestrebt, das Einsatzgebiet ins europäische Ausland zu erweitern.

Die Digitalisierung schreitet also voran, im Bankenwesen findet ein Strukturwandel statt.
Ja, und dafür gibt es kein einfaches Rezept. Jedes Institut muss für sich selbst herausfinden, welche Tools die richtigen sind, um die digitalen Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Klar ist schon heute: Es werden alte Erträge wegbrechen, und es gilt, neue Ertragsmöglichkeiten zu entwickeln.

Zwischen 2008 und 2019 sind bereits 20’000 Jobs in der Branche weggefallen. Muss man wieder einen solchen Aderlass befürchten?
Es wird nicht zu einem Abbau kommen, aber zu einem Umbau. Es wird Änderungen in den Anforderungsprofilen geben. Schon heute ersetzen Leute im Technologiebereich und in der Cyber Security immer mehr Mitarbeiter, die traditionelle Arbeiten am Schalter gemacht haben. Die Corona-Krise hat uns in der Nutzung digitaler Tools nach vorn katapultiert. Wir alle, nicht nur die Banken, haben in wenigen Monaten einen Sprung von drei Jahren gemacht. Das heisst aber auch, dass Behörden und Wirtschaft den Prozess nun endlich ernst nehmen und investieren müssen.

Geht es ein bisschen konkreter?
Die staatlich anerkannte E-ID wäre eine wichtige Voraussetzung gewesen – und ich gebe ehrlich zu, dass der Abstimmungsausgang mich enttäuscht. Wir leben im 21. Jahrhundert und verlassen uns bei der Identifizierung im Netz auf Facebook und Google.

Nun, vom Tisch ist die E-ID nicht, das Projekt soll ja schnell neu aufgegleist werden – als staatliche Lösung. Die Privatisierung ist eben nicht angekommen in der Bevölkerung.
Wir alle klicken schnell auf «OK», wenn wir im Internet nicht weiterkommen, und geben da wirklich viel preis. Und bei der E-ID finden wir, das darf maximal der Staat machen. Institutionen, denen wir sonst vertrauen – wie etwa den Banken –, vertrauen wir da nicht? Der Volksentscheid ist zu respektieren. Es muss nun aber jedem klar sein, dass er uns in Sachen Digitalisierung zurückwirft. Ich stelle ohnehin ein Zaudern und Zögern in der Schweiz fest. Wir sollten offener sein für neue Wege und Lösungen – nicht nur bei der E-ID.

Wo denn noch?
Nehmen Sie das CO2-Gesetz – das ist absolut notwendig, damit unsere Enkel in einer Welt leben, die nicht völlig kaputt ist. Auch hier wurde das Referendum ergriffen. Oder nehmen Sie das Rahmenabkommen. Wir brauchen ein gutes Rahmenabkommen, aber das wird seit zehn Jahren hin- und hergeschoben. Anstatt zu fragen: Wie gelingt es uns, die Erfolgsgeschichte der Bilateralen fortzuführen?

Am Nutzen für die Schweiz zweifeln eben viele.
Am Nutzen der Bilateralen zweifeln die wenigsten. Wir sollten also nach vorne schauen, wie es uns gelingen kann, die Vorteile der Bilateralen weiter zu nutzen, sie langfristig zu sichern und womöglich – und aus unserer Sicht notwendig – weiter auszubauen.

Sie werden 2022 an der Spitze von Vontobel zurücktreten. Was heisst das für die Bankiervereinigung? Steht da auch ein Spitzenwechsel an?
Ich werde dieses Jahr 70 Jahre alt – da ist es nur vernünftig, dass ich meine Aufgaben bei Vontobel an jemanden übergebe, der das super machen wird. Davon bin ich fest überzeugt. Und ich kann mir nur schwer vorstellen, 2022 nochmals für das Präsidium der Bankiervereinigung zu kandidieren. Ich habe meiner Frau vor fünf Jahren versprochen, dass irgendwann Schluss ist.

Und wie geht es dann mit der Bankiervereinigung weiter? Nun ist nach der Raiffeisen auch die Bank WIR ausgetreten. Was läuft da falsch im Verband?
In der über hundertjährigen Geschichte der Bankiervereinigung kam es und kommt es immer wieder zu Ein- und Austritten. Wir sind mit rund 250 Mitgliedsbanken die Interessenvertretung der Schweizer Banken im In- und Ausland. Im letzten Jahr haben wir einen intensiven und guten Dialog mit unseren Mitgliedern über den Nutzen der Bankiervereinigung als Interessenvertreterin geführt, und das hat uns nach innen deutlich gestärkt.

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