BAG-Chefin Anne Lévy zur stillen Pandemie
«Gegen gewisse Erreger gibt es keine wirksamen Antibiotika mehr»

Eine stille Pandemie geht um die Welt: Bakterien, die gegen Antibiotika resistent sind. Jährlich sterben eine Million Menschen daran. Was macht die Schweiz gegen die grösste biologische Bedrohung der Welt? BAG-Chefin Anne Lévy nimmt Stellung im Blick.
Publiziert: 12.08.2023 um 18:22 Uhr
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BAG-Chefin Anne Lévy kämpft gegen die grösste biologische Bedrohung der Welt.
Foto: keystone-sda.ch
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Robin BäniRedaktor

Wenn Antibiotika nicht mehr wirken, kann eine Lungenentzündung tödlich enden. Jährlich sterben 1,3 Millionen Menschen, weil Antibiotika nicht anschlagen. Die Weltgesundheitsorganisation erwartet, dass die Zahl bis 2050 auf 10 Millionen steigt. In der Fachwelt spricht man von einer «stillen Pandemie». Für den britischen Starchirurg Ara Darzi (63) ist diese beängstigender als Corona.

Wie kämpft die Schweiz gegen die grösste biologische Bedrohung der Welt? Anne Lévy (52), die Direktorin des Bundesamts für Gesundheit (BAG), nimmt Stellung.

Frau Lévy, sind Sie besorgt wegen der Antibiotikasituation?
Anne Lévy: Wir erachten Antibiotikaresistenzen als problematisch. Gegen gewisse Erreger gibt es schon heute keine wirksamen Antibiotika mehr. Das BAG engagiert sich deshalb mit aller Kraft dafür, Resistenzen genau zu verfolgen und zu bekämpfen, Forschung und Bildung zu stärken und die Bevölkerung zu sensibilisieren.

Ist unsere Gesundheit bedroht?
Nein, momentan nicht, obwohl es auch in der Schweiz hochresistente Keime gibt. Doch wir müssen wachsam bleiben.

In Asien sind Multiresistenzen weit verbreitet. Weshalb soll das bei uns anders sein?
Bereits 2016 hat der Bund eine Strategie verabschiedet, um gegen Antibiotikaresistenzen vorzugehen. Weil Mensch, Tier, Landwirtschaft und Umwelt davon betroffen sind, umfasst sie alle Bereiche nach dem Prinzip «One Health». So haben wir in den letzten Jahren Fortschritte erzielt und den Antibiotika-Einsatz gesenkt. Dadurch konnten wir bei gewissen Bakterien die zunehmenden Resistenzraten bremsen und stabilisieren – bei einigen sogar reduzieren.

Ist die Gefahr für die Schweiz also gebannt?
Nein, die wachsenden Antibiotikaresistenzen bereiten uns Sorgen, da es ein globales Problem ist. Und weil es die ganze Welt betrifft, müssen alle mithelfen, dies zu bekämpfen. Damit sich auch unsere Kinder und Enkel auf wirksame Antibiotika verlassen können.

Aber dafür bräuchte es das Engagement aller Staaten.
Die Schweiz setzt sich auf internationaler Ebene für Verbesserungen ein. So zum Beispiel beim G20-Gesundheitstreffen von nächster Woche in Indien, an dem ich teilnehmen werde. Da geht es darum, die weltweite Zusammenarbeit zu stärken, damit wir auf Pandemien besser vorbereitet sind und multiresistente Erreger besser überwachen und bekämpfen können.

Trotz der Zusammenarbeit entwickelt sich die Herstellung neuer Antibiotika schleppend, weil sich damit kaum Umsätze erzielen lassen. Die Schweizer Pharma-Giganten haben sich grösstenteils aus der Antibiotika-Forschung verabschiedet. Um das zu ändern, könnte der Bund die Herstellung subventionieren.
Firmen direkt zu subventionieren, ist in der Schweiz nicht üblich. Entscheidend ist, dafür zu sorgen, dass neue Antibiotika entwickelt werden, auch wenn sie nur für einen ganz gezielten Einsatz vorgesehen sind. Darum unterstützt der Bund bereits seit langem die Forschung.

Der Bund könnte mehr Geld in die Forschung stecken.
Es gibt bereits mehrere Programme, die der Bund unterstützt. 20 Millionen Franken fliessen zum Beispiel in Projekte zu Antibiotikaresistenzen, 17 Millionen in ein nationales Kompetenzzentrum zur innovativen Antibiotikaforschung.

Was unternimmt der Bund sonst noch gegen Antibiotikaresistenzen?
Wir entwickeln die Massnahmen zur Früherkennung, Überwachung, Prävention, Resistenzbekämpfung, Forschung und Entwicklung weiter. Aber das Wichtigste bleibt, den Antibiotika-Einsatz weiter zu reduzieren – auch in der Schweiz: «So viel wie nötig, so wenig wie möglich».

*Das Interview mit Anne Lévy wurde schriftlich geführt.

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