SVP-Aeschi fällt Bundesrat in den Rücken
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Politiker zur Lockdown-Drohung:«Wirtschaftliche Massnahmen müssen ergriffen werden»

Aufstand gegen Bersets Lockdown-Drohung
Eine «Kollektivstrafe» für die Romandie

Der Bundesrat will durchgreifen. Doch die verschärften neuen Massnahmen kommen vor allem dort schlecht an, wo sie längst gelten: in der Romandie.
Publiziert: 09.12.2020 um 08:53 Uhr
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Aktualisiert: 09.12.2020 um 16:05 Uhr
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Letzte Warnung! An einer am Dienstagabend einberufenen Medienkonferenz stellen die Bundesräte Alain Berset (48) und Simonetta Sommaruga (60) ein hartes Massnahmenpaket vor.
Foto: keystone-sda.ch

Das Ultimatum des Bundesrates, dass die Kantone ihre Corona-Massnahmen verschärfen müssen, hat zwar gewirkt. Doch der Kantönligeist hat erneut für einen bunten Strauss an unterschiedlichen Regeln gesorgt. Zum Beispiel die Sperrstunde: In Bern und Solothurn hätten die Restaurants um 21 Uhr schliessen müssen. In Zürich um 22 Uhr, im Aargau um 23 Uhr. Und in Basel-Stadt gabs gar keine, weil die Gastronomie ohnehin ganz geschlossen ist.

Jetzt hat der Bundesrat ein Machtwort gesprochen. Kurzfristig schickt er ein neues Massnahmenpaket in die Konsultation mit den Kantonen: Ab 19 Uhr soll alles schliessen, private Treffen gibt es nur noch zu fünft, und wenn das nicht wirkt, kommt der Lockdown. Viel konsultieren können die Kantone da nicht: Bereits am Freitag kommt der definitive Entscheid.

Aufstand der Romandie

Am heftigsten kommt der Protest nun aber nicht aus den Deutschschweizer Trödel-Kantonen, die erst auf Druck des Bundesrates reagiert haben – sondern aus der Romandie. Die welschen Kantone haben mit harten Massnahmen ihre Zahlen bereits heruntergebracht, und hatten sich darauf gefreut, endlich wieder etwas entspannter zu leben. Dem macht nun der Bundesrat einen Strich durch die Rechnung.

«Respektlos», nennt das der Genfer Staatsrat Mauro Poggia (61) gegenüber diversen Medien. Auch die Walliser sind sauer. So flucht der Walliser Staatsrat Roberto Schmid (58): «Eine Frechheit!» Die Kantone, die bereits harte Massnahmen ergriffen hätten, würden nun für das Versäumnis von anderen bestraft.

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Und die Walliser CVP-Ständerätin Marianne Maret (62) doppelt ebenfalls auf Twitter nach: «Das ist eine Kollektivstrafe» – und das, nachdem Berset noch vergangene Woche betont hatte, dass er auch regional unterschiedliche Massnahmen ergreifen würde. Auch Staatsratspräsident Christoph Darbellay stösst gegenüber «Le Nouvelliste» ins gleiche Horn. Insbesondere die Schliessungen um 19 Uhr würden keinen Sinn ergeben.

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Gemeinsame Antwort in Vorbereitung

Nun bereiten die Westschweizer Kantone gemeinsam ein Positionspapier vor, wie der jurassische Gesundheits- und Wirtschaftsminister Jacques Gerber. Man werde auf die Vorschläge des Bundesrates mit Nachdruck reagieren. «Es ist das erste Mal seit Beginn dieser Krise, dass uns der Bundesrat vor vollendete Tatsachen stellt. Er geht vor der Konsultation der Kantone an die Presse», so Gerber.

Die Ankündigungen seien eine Überraschung gewesen – und irritierend für die Westschweizer Kantonsregierungen. «Wir waren fast die ganze Nacht in Kontakt, um eine Strategie festzulegen.»

Bürgerliche kritisieren

Im Bundeshaus kommt die Kritik vor allem von rechts. «Absolut unverständlich», betitelt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (41) die angedrohten neuen Massnahmen gegenüber Blick TV. «Das ist eine unglaubliche Überregulierung.» Der Bundesrat übertreibe.

Auch die FDP greift den Bundesrat an. Dieser spiele mit der Glaubwürdigkeit aller Institutionen, heisst es in einer Mitteilung der Partei vom Dienstagabend. Der Bundesrat agiere «völlig inkohärent». Für die FDP sei klar, dass die Kantone ihre Verantwortung wahrnehmen und regional koordinierte Lösungen präsentieren müssten.

«Jetzt ist es wichtig, dass man den Kantonen die Zeit gibt, die Wirksamkeit ihrer Massnahmen zu evaluieren», schreibt die FDP. Sei das nicht der Fall, müsse der Bundesrat die Möglichkeit haben, strengere Massnahmen zu ergreifen.

Unterstützung von links bis Mitte

Unterstützung erhält der Bundesrat hingegen von SP, CVP und Grünen. Die SP bedauere, dass dieser Schritt des Bundesrates nötig geworden sei, heisst es etwa von der SP Schweiz. Der Schritt des Bundesrates sei aber die logische Folge der viel zu zögerlichen Haltung vieler Kantone in den vergangenen Wochen. Wichtig sei jetzt, die Verantwortung auch zu behalten – und parallel zu den Massnahmen die Wirtschaftshilfen aufzustocken und zu verlängern.

«Schluss mit Zögern und Zaudern», forderte auch die Bundeshaus-Fraktion der Grünen am Dienstag in einer Medienmitteilung. Sie forderte in einem am Dienstag verabschiedeten 12-seitigen Positionspapier zu Covid-19 eine klare Eindämmungsstrategie zum Schutz der Schwächsten.

Grünen-Präsident Balthasar Glättli (48) stellte in einem Tweet vom Dienstagabend die Frage, warum der Bundesrat weiter so zögerlich sei und nicht schneller vorwärtsmache.

Die CVP teilte in einem Tweet mit, dass man es begrüsse, dass der Bundesrat erneut schweizweite Regeln erlassen wolle. Auch wenn dies für alle grosse Einschränkungen bedeute. «Es braucht jetzt wieder Solidarität und Verantwortung, um die Ansteckungszahlen zu senken und auch Hilfe für die betroffenen Branchen», so die CVP. (gbl)


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