Auf einen Blick
- Zwei PMEDA-Ärzte wegen Betrug angeklagt. Millionengeschäft mit IV-Gutachten
- Heimliche Tonbandaufnahme soll Beweise für schludrige Arbeit liefern
- Trotz Kritik dauerte es Jahre, bis Massnahmen griffen
Oft waren sie matchentscheidend, wenn es darum ging, ob ein Richter eine IV-Rente sprach oder nicht. Die medizinischen Gutachten der Zürcher Firma PMEDA spielten in unzähligen Gerichtsfällen eine gewichtige Rolle. Und für die Gutachter war es ein Millionengeschäft: PMEDA bekam zwischen 2013 und 2023 Gutachtenaufträge in der Höhe von über 26 Millionen Franken.
Jetzt aber müssen zwei PMEDA-Ärzte selbst vor Gericht antraben, darunter PMEDA-Gründer H. M.* Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat gegen die beiden Männer Anklage wegen Betrugs erhoben. Zwei respektive drei Jahre Freiheitsstrafe fordert sie. Dies steht in der Anklageschrift, die Blick vorliegt. Zuerst hatte Radio SRF darüber berichtet.
Die Vorwürfe sind happig: Die Ärzte sollen sich bereichert haben, indem sie Geld für ein Gutachten erhielten und den Mann als arbeitsfähig beurteilt haben. Wichtige Angaben, die der Mann zu seinem Gesundheitszustand gemacht hatte, sollen sie ausgelassen haben. Beweisbar sein soll dies dank einer heimlichen Tonbandaufnahme, die der Betroffene angefertigt hatte.
Es ist ein aufsehenerregender Fall: Denn erstmals werden Gutachter für mutmasslich schludrige Arbeit in grösserem Ausmass vor Gericht gestellt. Nicht nur, aber insbesondere bei der PMEDA stand immer wieder der Vorwurf im Raum, die Firma schreibe Betroffene im Interesse der IV und anderer Versicherungen gesund – und erhalte deshalb besonders viele Aufträge. Das war ein Millionengeschäft.
«Bund und Gerichte hatten kein Musikgehör»
Die Anklage stellt auch die Arbeit der Aufsichtsbehörde infrage. Denn jahrelang kämpften Verbände und Sozialversicherungsanwälte, bis es bei den IV-Gutachten zu gewissen Verbesserungen kam. Trotz Warnungen und Kritik wurden Verbesserungen nur schleppend eingeführt.
Luzius Hafen gehört zu den renommiertesten Sozialversicherungsanwälten der Schweiz. Er blickt resigniert zurück: «Wir haben mehr als zehn Jahre lang auf problematische Gutachten aufmerksam gemacht. Weder der Bund noch Gerichte hatten ein Musikgehör für die Kritik.» Einige Gutachter hätten quasi freie Hand gehabt, «zu schreiben, was sie wollen». Das Problem: Kritik wurde oft weggewischt. Es hiess, die Gerichte hätten die Gutachten abgesegnet.
Inzwischen stellt Hafen eine Verbesserung fest. Die unverfrorensten Gutachter könnten nicht mehr machen, was sie wollten. So können Gutachten auf Tonband aufgenommen werden. Und auch die neu geschaffene Kommission für Qualität in der medizinischen Begutachtung schaut genauer hin.
«Nur kassieren und verwalten, nichts liefern»
Nach wie vor aber hätten die Gutachter grosses Ermessen, sagt Hafen. Er sieht die regionalen ärztlichen Dienste in der Pflicht, genauer hinzuschauen und sich mit begründeten Einwänden gegen Gutachten genauer auseinanderzusetzen. Der dafür notwendige Kulturwandel sei erst in Ansätzen erkennbar. Dabei spielt das Bundesamt für Sozialversicherungen aus Sicht Hafens eine fragwürdige Rolle. Das Amt reagiere jeweils erst, wenn es nicht mehr anders geht. Ganz nach dem Motto «Nur eine nicht gesprochene Rente ist eine gute Rente.»
SVP-Nationalrat Rémy Wyssmann, der selbst als Anwalt viele IV-Fälle führt, sagt: «Die Idee wäre, dass die IV eine Eingliederungsversicherung ist, sodass die Leute wieder arbeiten. Ich stelle aber nach wie vor fest, dass die Gutachterei verwendet wird, damit sich die IV für unzuständig erklären kann: Nur kassieren und verwalten, nichts liefern.» Zu oft würden Leute so in die Sozialhilfe abgeschoben. Dann zahlt es der Steuerzahler.
Einige Ärzte arbeiten weiter
2363 Gutachten haben verschiedene Ärzte für die Firma PMEDA zwischen 2014 und 2023 geschrieben. Für viele Betroffene lautet die Frage: Wie weiter? Laut Bundesgericht können Betroffene in hängigen Verfahren zweifelhafte Gutachten überprüfen lassen. Im Parlament wird darüber debattiert, wie zweifelhafte Gutachten künftig einfacher überprüft werden können, auch wenn sie schon rechtskräftig sind.
Bis zu einem Urteil gilt für die beiden Angeklagten die Unschuldsvermutung. Sie hätten nie bewusst falsche Angaben gemacht oder etwas verschwiegen, hielten die Gutachter gegenüber SRF fest. Ihre Gutachten seien von Gerichten anerkannt worden.
Ende 2023 ging PMEDA in Liquidation. Der Grund dafür: Der Bund beendete die Zusammenarbeit, nachdem die Eidgenössische Kommission für Qualitätssicherung in der medizinischen Begutachtung grobe Mängel in den Gutachten festgestellt hatte. Während PMEDA nicht mehr aktiv ist, erhalten ehemalige PMEDA-Ärzte nach wie vor Aufträge.
*Name bekannt