Die Angst geht um im Berner Oberland. Die Angst vor dem Wolf. Bei einem Riss im Diemtigtal kamen am Mittwoch vergangener Woche mehrere Schafe um, nur einen Tag später tötete ein Raubtier in den Hügeln oberhalb von Wimmis eine Ziege.
Erich von Siebenthal (64), Berner SVP-Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verbandes, warnt vor einem «unglaublichen Sommer»: «Die Situation ist für die Älpler fast nicht mehr stemmbar!»
Wolfspopulation steigt an
Der Grund für die Besorgnis des Bergbauern: Es gibt immer mehr Wölfe. Die Anzahl der Rudel stieg in den letzten Jahren stark an, etwa 240 Tiere streifen derzeit durchs Land. Dadurch kommt es vermehrt zu Nutztier-Rissen, viele auf ungeschützten Alpen. «Der Wolf gefährdet die Alpwirtschaft», sagt von Siebenthal.
Herdenschutzhunde wären eine naheliegende Schutzmassnahme. In einer Studie kam die nationale Landwirtschaftszentrale Agridea im letzten Juli zum Schluss, der Herdenschutz mit Hunden funktioniere «prinzipiell gut». Komme es zu Rissen, liege es oft nur daran, dass der Hund versage – oder an einer in unwegsamem Gelände zu weitläufig verteilten Herde.
Zu wenig Schutzhunde
Von Siebenthal nennt einen weiteren Grund: In der Schweiz gibt es schlicht zu wenige geeignete Hunde.
Die Hoheit über das Schutzhundewesen liegt derzeit beim Bund. Die Fachstelle Herdenschutzhunde prüft die vierbeinigen Aufpasser auf ihre Einsatzbereitschaft und registriert sie als «offizielle Herdenschutzhunde». Anerkannt sind lediglich zwei Rassen: Montagne des Pyrénées und Pastore abruzzese.
Subventionen nur bei anerkannten Rassen
Diese Einschränkung wollte die SP-Nationalrätin und Pro-Natura-Präsidentin Ursula Schneider Schüttel (61) bereits vor drei Jahren lockern. In einem Postulat forderte sie den Bundesrat auf, die Liste der anerkannten und geförderten Herdenschutzhunderassen zu erweitern. Die Regierung aber hatte dafür kein Gehör. Aktuell gebe es keine Bezugsengpässe bei offiziell anerkannten Herdenschutzhunden, hiess es in ihrer Stellungnahme.
Graubünden schert seither aus. Auf den Alpweiden des Kantons schauen auch Anatolische Hirtenhunde zum Rechten – Geld vom Bund gibt es dafür aber nicht. Auch das Wallis will nun handeln. Vergangene Woche stellte die kantonale Regierung ein eigenes Prüfungs- und Legitimierungsprogramm vor, «um den Mangel an offiziell vom Bund anerkannten Hunden zu beheben». 43 Hunde, darunter Bernhardiner, Kangal- oder Transmontano-Hirtenhunde, hätten die Tests bestanden und würden die Herden in diesem Sommer auf die Alpen begleiten.
Lange Wartezeiten
Wer heute einen offiziellen Bundeshund für den Herdenschutz möchte, braucht Geduld: Die zentral gesteuerten Prozesse sind schwerfällig, die Abklärungen dauern, die Wartezeiten sind lang, die Zucht gestaltet sich komplex, denn Hunde zur Auffrischung des Gen-Pools sind rar.
Viele Bauern stören sich daran. Sie verzichten auf Subventionen und importieren Hunde aus dem Ausland, die sich allerdings oft als ungeeignet erweisen – eine unbefriedigende Situation.
Dem Bundesamt für Umwelt liegen verschiedne Anträge vor
Dem Vernehmen nach kommt nun auch auf Bundesebene Bewegung in die Sache. Dass man künftig weitere Rassen als offizielle Herdenschutzhunde ins Programm aufnimmt, mag beim zuständigen Bundesamt für Umwelt (Bafu) zwar niemand bestätigen.
Zu SonntagsBlick sagt Sprecherin Rebekka Reichlin: «Beim Bafu sind verschiedene Anfragen oder Anträge von Kantonen betreffend Anerkennung anderer Herdenschutzhunderassen eingegangen. Diese Anträge können geprüft werden, im Zusammenhang mit der Anpassung der Jagdverordnung, die aufgrund des vom Parlament revidierten Jagdgesetzes revidiert wird.»
Deutlicher sagt es von Siebenthal: «Es geht klar in diese Richtung.» Er rechne damit, dass die Lockerung Teil des neuen Jagdgesetzes wird.
«Wir brauchen auf den Alpen mehr Schutzhunde», so der Bauer und Nationalrat. «Das schleckt keine Geiss weg.»