Auch Lokführer Simon B. (30) wurde zum Gewaltopfer
ÖV-Personal fordert vom Bundesrat mehr Schutz

Nach einem Angriff in Zürich muss Lokführer Simon B. ins Krankenhaus. Solche Vorfälle sind in der Schweiz häufig, doch der Bundesrat sieht keine Notwendigkeit für mehr Transportpolizei. Transfair kritisiert die Untätigkeit und fordert bessere Schutzmassnahmen.
Publiziert: 16.10.2024 um 00:10 Uhr
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Aktualisiert: 16.10.2024 um 07:33 Uhr
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Übergriffe auf ÖV-Personal nehmen zu, sagt der Personalverband Transfair.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

  • Simon B. erleidet schwere Verletzungen nach Angriff im Zürcher Hauptbahnhof
  • Transfair kritisiert Bundesrat für mangelnde Unterstützung des ÖV-Personals
  • SBB fehlt es an Ressourcen für mehr Transportpolizei
  • Jährlich Tausende Fälle von Angriffen auf Zugpersonal in der Schweiz
  • Bundesrat weist Verantwortung für ÖV-Sicherheit den Transportunternehmen zu
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Kurz vor Killwangen AG merkt Simon B* (30), dass er nicht mehr richtig atmen kann. Die Schmerzen in der linken Schulter werden immer stärker. Er merkt: So gehts nicht mehr weiter. B. veranlasst, dass in Olten SO ein Kollege seinen Zug nach Bern übernimmt.

B. ist seit neun Jahren Lokführer bei den SBB. Als er an diesem frühen Samstagmorgen im Spätwinter 2022 mit einem Berufskollegen den Pausenraum am Zürcher Hauptbahnhof verlässt, ist seine Schulter noch in Ordnung.

Wegen Rempler im Spital

Doch auf dem Weg durch die Bahnhofshalle passiert es: Den beiden ÖV-Angestellten kommen drei Männer entgegen. «Plötzlich löste sich einer der drei von der Gruppe und rempelte mich an», schildert B. heute. «Er hat den Zusammenprall provoziert und gesucht.» Erst später, im Kantonsspital Olten, erfährt B. die Konsequenzen des Aufeinandertreffens: gequetschte Nerven in der Schulter und eine leicht gequetschte Lunge.

Fälle wie den von Simon B. gibt es in der Schweiz jährlich zu Tausenden, sagt der Schweizer Personalverband für den Service public, Transfair. Zugbegleiter und Lokführer würden beleidigt, bedroht oder sogar angegriffen. Etwa bei der Billettkontrolle, auf dem Perron oder auf dem Weg dahin. Transfair gibt dem Bundesrat eine Mitschuld für die hohen Fallzahlen: Er schiebe die Verantwortung ab und lasse so das ÖV-Personal im Stich.

Bundesrat sieht keinen Handlungsbedarf

Als Beweismittel nimmt der Verband die Antwort des Bundesrates auf eine Interpellation von Grünen-Nationalrätin und Transfair-Präsidentin Greta Gysin (41). Sie erkundigte sich im Sommer, wie der Bundesrat plane, die Sicherheit im öffentlichen Verkehr zu verbessern. Denn ginge es nach Gysin, soll die Transportpolizei präsenter werden – insbesondere auf Strecken, auf denen es häufig zu Vorfällen kommt.

Den SBB fehlen dafür die nötigen Ressourcen, findet Transfair. Doch neues Personal sei angesichts des Fachkräftemangels schwierig zu finden. «Die SBB müssen also auch in Massnahmen investieren, um den Beruf als Transportpolizistin oder Transportpolizist attraktiver zu machen», sagt Bruno Zeller, Branchenleiter öffentlicher Verkehr bei Transfair. Dazu gehöre, die Löhne, Arbeits- sowie Erholungszeiten verbessern.

Doch der Bundesrat als SBB-Eigentümer gab Gysin einen Korb. Für die ÖV-Sicherheit seien die Transportunternehmen selbst zuständig. Für Transfair unverständlich: «Der Bundesrat hat es nicht einmal für nötig gehalten, sich ein genaues Bild über die Lage zu verschaffen», kritisiert Zeller. «Geschweige denn hat er konkrete Vorschläge unterbreitet, wie die SBB den Ausbau der Transportpolizei finanzieren könnten.»

Trotz zwei Zeugenaussagen: Täter kommt ungestraft davon

Auch Simon B. beanspruchte nach dem heftigen Schulterrempler die Dienste der Transportpolizei. Da es statt im Zug am Zürcher Hauptbahnhof passierte, sei dies einfach gewesen. «Sie holten den Täter und nahmen seine Personalien auf», sagt er. «Mir war da schon klar, dass ich ihn anzeigen werde.»

Nach der Anzeige kommt der nächste Schock: Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren ein – der Täter kommt ungestraft davon. Und dies, trotz Zeugenaussage des Berufskollegen von Simon B. «Es kann doch nicht sein, dass die Behörden zwei Lokführern weniger glauben als einem Jugendlichen, der aus dem Ausgang zurückkehrt», sagt B.

Auch dort sieht sich der Bundesrat nicht zuständig: Für die Verfolgung von Straftaten gegen ÖV-Personal seien die Kantone zuständig. Zudem habe er keine Informationen über allfällige rechtliche Lücken.

Anders als Transfair ist sich Simon B. nicht sicher, ob mehr Polizei tatsächlich das Problem löst. Die vermehrten Aggressionen seien ein gesellschaftlicher Trend, der sich aktuell entwickle «Man spürt es am Umgangston», sagt er. Nichtsdestotrotz: Auch er fordert, dass der Bund beim Schutz des ÖV-Personals endlich das Heft in die Hand nehmen soll.

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