Amtliche Dokumente nötig
Turbo-Visa für Erdbebenopfer ausgebremst

Die neue Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider will Erdbebenopfer unbürokratisch aufnehmen. Das ist aber gar nicht so einfach.
Publiziert: 16.02.2023 um 17:03 Uhr
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Nach Elisabeth Baume-Schneider soll, wer Verwandte in der Schweiz hat, unkompliziert aus dem türkischen Erdbebengebiet zu uns kommen können.
Foto: Keystone

Der Druck auf die neue SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (59) ist gross – gerade aus dem eigenen Lager. Auch die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats (APK-N) fordert, dass die Regierung alles unternimmt, um türkischen und syrischen Erdbebenopfern zu helfen.

Die Schweiz solle unbürokratisch Hilfe leisten und Menschen aus dem Erdbebengebiet zu hiesigen Familienangehörigen reisen lassen, wird Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan (42) von SRF zitiert – auch wenn deren Pässe irgendwo in den Erdbebentrümmern liegen.

Baume-Schneider hofft auf Turbo-Visa

Das scheint ganz im Sinne von Baume-Schneider zu sein. Die Justizministerin hatte schon vergangene Woche signalisiert, dass sie handeln will – rasch und unbürokratisch. Bürgerliche Politiker zeigten sich bereits alarmiert: Befürchtet wurde, dass Migranten unkontrolliert ins Land gelassen werden könnten, was die innere Sicherheit gefährde. Gar von einer «Schnapsidee» sprach FDP-Ständerat Damian Müller (38).

Baume-Schneider ist mit ihrer offenen Haltung allerdings nicht alleine. Auch FDP-Aussenminister Ignazio Cassis (61) sieht die Schweiz grundsätzlich bereit, türkische Erdbebenopfer ohne reguläre Reisedokumente aufzunehmen. Er erwähnte die Familienzusammenführung und die Verbesserung der Visa-Situation.

Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Das stellt das Staatssekretariat für Migration (SEM) auch gegenüber der APK-N klar. Bisher habe die Schweiz Visagesuche aus dem Erdbebengebiet zwar beschleunigt, aber nicht erleichtert behandelt. Man habe kein neues Visaverfahren installiert, erklärt SEM-Sprecher Daniel Bach gegenüber SRF.

Keine erleichterten Gesuche

«Wir versuchen einfach, mit diesen Formularen diese Personen prioritär zu behandeln. Es ist klar: Wenn jemand in Not ist, dann muss man relativ schnell entscheiden können.» Bis jetzt seien 1200 Anträge für solch beschleunigte Verfahren gestellt worden.

Und vor allem: Auf einen Pass oder ein anderes amtliches Dokument, wie von der APK-N verlangt, wollen die Bundesbehörden bei der Visavergabe auch weiterhin nicht verzichten. «Wir halten uns an das geltende Recht. Und das schreibt uns vor, dass wir diese Personen identifizieren müssen. Hier geht es insbesondere auch um die Frage der Sicherheit», so Bach.

Türkei verlangt ohnehin Dokumente

Die Rolle der SP-Bundesrätin wird dabei im Parlament ganz unterschiedlich interpretiert – je nach politischen Interessen. So habe Baume-Schneider offensichtlich zurückbuchstabieren müssen, heisst es auf bürgerlicher Seite. Sie sei von ihren eigenen Beamten ausgebremst worden. Die Schweiz liege mitten im Schengenraum. Jeder, der einreist, müsse per Dokument identifizierbar sein. «Wenn die Schweiz das nicht beachtet, verstösst sie gegen Schengen-Bestimmungen.»

Ganz anders ist die Lesart auf linker Seite. Es sei immer klar gewesen, dass es eine Lösung zur Identifikation der Betroffenen brauche. Schliesslich sei schon in einer Medienmitteilung des Justizdepartements vom Freitag von Notfallpässen die Rede gewesen.

Das Departement hatte bekanntgegeben, Visumsgesuche von Erdbebenopfern mit engen Verwandten in der Schweiz prioritär behandeln zu wollen. Die Schweiz schicke zusätzliche Mitarbeitende nach Istanbul, zur Unterstützung des Generalkonsulats.

Klar ist: Ohne Bürokratie ist Hilfe für Erdbebenopfer ohnehin nicht möglich. Denn bereits die türkischen Behörden verlangen bei der Ausreise aus dem Land einen gültigen Pass. Nun werde geprüft, wie für Betroffene rasch Notpässe ausgestellt werden können.

Am Montag vor einer Woche hatten schwere Beben die türkisch-syrische Grenzregion erschüttert. Die Zahl der bestätigten Toten lag bis Donnerstagmittag bei mehr als 42'000. Weitere Zehntausende Menschen wurden verletzt. Tausende werden weiterhin vermisst. (dba)


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