Vor etwa 18 Monaten hat der Bundesrat die Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU abgebrochen. Der Entscheid erhitzte die Gemüter – und spaltet die Schweiz bis heute.
Auch alt Bundesräte sind sich uneinig darüber, ob das nun gut oder schlecht war. Pikant: Ehemalige Regierungsmitglieder äussern sich eigentlich nicht zu den Geschäften ihrer Nachfolgerinnen und Nachfolger. Jetzt haben es einige von ihnen gegenüber Radio SRF im Rahmen der Sendung «Rendez-vous» doch getan.
Moritz Leuenberger regte sich «masslos auf»
Als «grosse Enttäuschung» bezeichnete etwa der ehemalige CVP-Bundesrat Arnold Koller (89) den Entscheid des Bundesrats. Für ihn ist es unverständlich, dass man sieben Jahre lang verhandelt und danach «einfach so den Bettel hingeworfen» habe.
Auch Moritz Leuenberger (76, SP) regte sich wegen des Abbruchs der Verhandlungen «masslos auf», wie er gegenüber Radio SRF sagt. «In gewissen Fragen muss der Bundesrat Risiken eingehen und das Volk überzeugen.»
Vertrag hätte vors Volk gemusst
So sieht das auch Adolf Ogi (80): «Man hätte mit dem Rahmenvertrag vors Parlament und vors Volk gehen müssen», findet der ehemalige SVP-Bundesrat. Es sei doch genau seine Partei, die immer sage, «das Volk solle das letzte Wort haben».
Selbst wenn das Volk Nein gesagt hätte, wäre der Entscheid wenigstens «demokratisch legitimiert» gewesen, meint auch Koller. Mit einem Parlaments- oder Volksentscheid im Rücken hätte der Bundesrat gegenüber Brüssel eine viel klarere Verhandlungsposition einnehmen können.
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So aber habe sich der Bundesrat selbst geschwächt. Nun muss er die Suppe auch selbst auslöffeln – dieser Meinung ist zumindest Ogi. Er fordert, dass der Bundesrat höchstpersönlich einen neuen Vertrag aushandeln müsse. Anstatt Staatssekretärinnen und -sekretäre nach Brüssel zu schicken, müsse die Landesregierung jetzt «selber in die Hosen».
Blocher zeigt Verständnis
Nicht alle alt Bundesräte schliessen sich der Kritik an. Für Christoph Blocher (81, SVP) etwa war der Vertrag «ohnehin verloren», weil er die verpflichtende Übernahme von EU-Recht sowie die Anerkennung des EU-Gerichtshofs als oberstes Gericht beinhaltet hätte.
Auch Micheline Calmy-Rey (77, SP) äusserte sich wohlwollend über den Bundesrat. Das Abkommen hätte die Schweiz «tief gespalten», sagt sie im Radio. «Ich verstehe deshalb, dass der Bundesrat die Übung abbrach.»
Der Bundesrat selber begründete im Mai 2021 den Abbruch der Verhandlungen hauptsächlich mit der drohenden Aufweichung des Lohnschutzes sowie dem Risiko, dass durch die Unionsbürgerrichtlinie die Sozialhilfekosten steigen könnten. (SDA/bgs)