Er war ein Staatsmann, der den Kalten Krieg beendet hat und dem die ganze Welt nachtrauert: Am Dienstag ist in Moskau der ehemalige sowjetische Staatschef Michael Gorbatschow im Alter von 91 Jahren gestorben. Er litt offenbar an einer Nierenkrankheit und lag schon längere Zeit im Zentralklinikum in Moskau.
Der Bauernsohn aus dem Nordkaukasus war von März 1985 bis August 1991 Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei und von März 1990 bis Dezember 1991 Staatspräsident der Sowjetunion. «Gorbi», wie er liebevoll genannt wurde, lüftete mit seiner Politik der Glasnost und Perestroika, der Politik der Offenheit und des Umbaus, den Eisernen Vorhang und ermöglichte so die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten BRD und DDR.
Auf der anderen Seite führte sein politischer Prozess zu massiven Umbrüchen in allen Republiken der Sowjetunion und letztlich zu einem Kollaps des kommunistischen Imperiums. Für seine neue politische Ausrichtung wurde er 1990 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Er wurde zum Putin-Kritiker
In die Geschichte ein ging die Abrüstungskonferenz mit dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan (1911–2004), die 1985 in Genf stattgefunden hat. Die Gespräche bildeten den Auftakt zu einem Abbau der Nuklearwaffen um 80 Prozent.
Anfangs stand Gorbatschow noch hinter dem heutigen russischen Präsidenten Wladimir Putin (69). «Ich habe Putin während seiner ersten Amtszeit als Präsident unterstützt, aber dann haben sich die Beziehungen zwischen uns verschlechtert», sagte er 2013 in einem BBC-Interview.
Er kritisierte ihn öffentlich und forderte ihn auf, «keine Angst vor seinem eigenen Volk zu haben». Auch sagte er über Putin: «Nicht alles läuft gut. Ich denke, er sollte seinen Stil ändern und Anpassungen am Regime vornehmen.»
Wegen seiner Krankheit war es Gorbatschow nicht möglich, zum aktuellen Krieg in der Ukraine öffentlich Stellung zu beziehen. Seine Stiftung, bei der Tochter Irina Michailowna Wirganskaja (65) Vizepräsidentin ist, veröffentlichte aber kurz nach Beginn der Invasion einen Appell an Putin. Inhalt: Stoppt die Feindseligkeiten, verhandelt über Frieden! Auch ein enger Freund Gorbatschows erklärte: «Er (Michael) verurteilt den Krieg Russlands gegen die Ukraine von Beginn weg aufs Schärfste.»
Berner Publizist traf Gorbi
Gorbatschow hat in der ganzen Welt viele Fans. Einer der grössten: der in Köniz BE geborene und heute in New York lebende Editor und Publizist Michael S. Karlen (62). Karlen arbeitete von 2000 bis 2005 als Sekretär der Schweizer Uno-Mission in Genf.
Als Karlen 2014 das Buch über den früheren Vize-Aussenminister «Vladimir Petrovsky: The Master Diplomat» schrieb, verfasste Gorbatschow das Vorwort. Dies führte zu weiteren Kontakten und der Veröffentlichung des Buches «Mikhail Gorbachev – Essential Thoughts».
2015 kam es sogar zu einer stündigen persönlichen Begegnung in Gorbatschows Büro in Moskau sowie weiteren gemeinsamen Veranstaltungen. «Gorbatschow war eine kolossale Weltfigur, die es nur alle tausend Jahre gibt», schwärmt Karlen. Er habe mit seiner positiven Energie die ganze Weltpolitik beeinflusst. Karlen: «Er hat immer das Interesse der Welt über nationales Interesse gestellt.»
Zurzeit arbeitet Karlen an einem Magazin. Thema: Gorbatschow und Thomas Jefferson. Der russische Staatsmann hatte grosses Interesse an der Unabhängigkeitspolitik des dritten US-Präsidenten (1743–1826).
Karlen unternimmt alles, damit er an der Beerdigung in Moskau dabei sein kann. Die Einreise über die Türkei oder Serbien sollte kein Problem sein, da der Schweizer ein Jahresvisum besitzt. Karlen sagt zu Blick: «Ich will unbedingt dabei sein, wenn dieser grosse Mann, der die Welt verändert hat, verabschiedet wird.»