Als sein Kind bei der Geburt starb, erlosch Fabian Lämmlers Anspruch auf Vaterschaftsurlaub
«Mich hat es zu Hause gebraucht»

Wenn das Kind bei der Geburt stirbt, erlischt auch der Anspruch auf Vaterschaftsurlaub. Fabian Lämmler hat das erst erfahren, kurz nachdem er seinen Sohn im Spital verloren hat. Der Nationalrat könnte betroffenen Vätern nun mehr Zeit zum Trauern verschaffen.
Publiziert: 06.06.2024 um 00:36 Uhr
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Aktualisiert: 10.06.2024 um 13:39 Uhr
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Kurz nach der Geburt ist Fabian Lämmlers Sohn im Spital verstorben. Der Zwetschgenbaum im Garten soll an ihn erinnern.
Foto: Philippe Rossier

Das Zwetschgenbäumchen trägt bereits kleine Früchte. Zwischen dunkelgrünen Appenzeller Hügeln steht es im Garten von Fabian Lämmler (35), geschützt von einem Holzzaun. Es ist ein Andenken an Lämmlers Sohn. Aus dem Spital mit nach Hause nehmen konnte er den kleinen Noah nach der Geburt nämlich nicht.

Noah, der eigentlich anders hiess, kam am 6. Januar 2023 mittels Notoperation zur Welt. Ein paar Wochen zu früh. Er hat dennoch selbst geatmet, alles sah gut aus. Eigentlich. Es bestand Verdacht auf eine bakterielle Infektion. Kurze Zeit später verursachten die Bakterien eine Sepsis. Noahs Lage verschlechterte sich schnell, er wurde mit drei verschiedenen Antibiotika behandelt.

Heute weiss Lämmler: Wäre die Reihenfolge der Medikamente eine andere gewesen, würde der Zwetschgenbaum heute vielleicht nicht im Garten stehen. Und Noah würde noch leben. «Das erste Medikament hat nicht gewirkt. Die anderen hätten vielleicht rechtzeitig angeschlagen. Aber das ist Lotterie.»

Heute sagt Lämmler: Es war einfach Pech. Aber damals verstand er die Welt nicht mehr.

Kindstod beendet Vaterschaftsurlaub

Mit dem Tod seines Sohns verlosch auch Lämmlers Anspruch auf Vaterschaftsurlaub. «Ich bin aus allen Wolken gefallen.» Auch die Ärzte des Kantonsspitals waren sich erst nicht sicher, was gelte. Aber gesetzlich stand fest: Lämmler müsse nach den gegebenen drei Freitagen bei Tod eines Angehörigen wieder zurück zur Arbeit.

Eine Lücke im Gesetz, findet Lämmler. «Mich hat es zu Hause gebraucht», sagt er. Seine Frau habe nach der Operation im Spital bleiben müssen, er selbst musste sich um die Tochter kümmern. Und einen Totenschein beschaffen, eine Beerdigung organisieren, die Leistungen der Krankenkassen abklären. «Dabei kommt man immer wieder in altes Fahrwasser. Man hadert.»

Parlament wird aktiv

Grünen-Nationalrätin Greta Gysin (40) möchte mehr Trauerzeit für Fabian Lämmler. Er und andere Betroffene sollen Anspruch auf zehn Tage Vaterschaftsurlaub haben, wenn das Kind kurz vor oder bei der Geburt stirbt. Für Mütter sei diese Voraussetzung schon gegeben. Sie erhalten Mutterschaftsurlaub, wenn das Kind ab der 23. Schwangerschaftswoche stirbt.

Lämmler ist nicht allein: Im Jahr 2022 sind 607 Kinder tot geboren oder kurz nach der Geburt gestorben. Entsprechend wichtig findet die Fachstelle kindsverlust.ch Gysins Anliegen. «Nach dem Verlust des eigenen Kindes sofort wieder im Berufsalltag funktionieren zu müssen, kann enormen Druck auslösen», sagt Anne Siegenthaler, Verantwortliche des Beratungsdienstes. Unbezahlten Urlaub könne sich nicht jeder leisten und auf eine Krankschreibung des Arztes zu hoffen, könne keine Lösung sein.

Bundesrat lehnt ab

Laut Bericht der zuständigen Kommission des Ständerats würden für einen Anspruch auf Vaterschaftsurlaub beim Tod eines Kindes zusätzliche Kosten in Höhe von 1,3 Millionen Franken erwartet. Völlig vertretbar, findet Travailsuisse, der Dachverband der Arbeitnehmenden. Geld genug gebe es, es sei eine Frage der Prioritäten. Väter und Mütter müssten das gleiche Recht haben, ihre Trauer zu verarbeiten.

Der Bundesrat sieht das anders. Der Vaterschaftsurlaub diene dazu, dass sich der Vater in die veränderte Familiensituation einbringen könne. Das erübrige sich nach dem Tod eines Kindes. Die Mutter müsse sich hingegen auch physisch erholen.

Der Ständerat stimmte Gysins Anliegen im März trotzdem zu. Und verlieh ihm sogar Nachdruck: Der Vaterschaftsurlaub soll auch noch gewährleistet werden, wenn das Kind bis zwei Wochen nach der Geburt verstirbt. Nun kommt es auf den Nationalrat an. Er stimmt am kommenden Mittwoch darüber ab. Sagt er Ja, muss der Bundesrat wider Willen handeln.

Das ganze Dorf war traurig

Fabian Lämmler hatte Glück, ein Arzt schrieb ihn eine Woche lang krank. Seine Frau und er konnten sich auf ihr Umfeld verlassen. «Wir hatten das Gefühl, das ganze Dorf hat mit uns getrauert.»

Um die Trauer zu verarbeiten, erteilte sich der Schreiner gleich in der ersten darauffolgenden Arbeitswoche selbst einen Auftrag. Er drechselte die Urne für Noah. Das letzte Zuhause seines Sohns wollte er selbst machen.

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