Eine «Flut von Informationen» sei in den ersten Stunden und Tagen über ihr Team hereingebrochen, erinnert sich Maria Pia Pollizzi. «Es war wie ein Tsunami, der uns überrollte.» Aus den sich ständig ändernden Fakten das Wichtigste herauszufiltern und dann in konkrete Massnahmen umzusetzen, sei die grösste Herausforderung jener Tage gewesen. Auch die Unsicherheit in Bezug auf die Schutzmassnahmen habe sie belastet: «Wir fragten uns jeden Tag, ob die FFP2-Masken wohl ausreichend seien.»
Die ersten 20 Tage der Pandemie habe sie durchgearbeitet, erzählt die 52-Jährige mit dem wachen Blick. Eigentlich koordiniert Pollizzi die Eingriffe auf der Intensivstation und trägt die Verantwortung für diverse heikle Bereiche, zumindest ein Teil ihrer Arbeit findet im Büro statt. Nicht so in der Zeit nach dem 25. Februar 2020: «Während der Pandemie habe ich alles Mögliche gemacht, ich war die meiste Zeit auf der Intensivstation und habe Patienten betreut», sagt sie.
Von 7 auf 40 Intensiv-Plätze aufgestockt
Innert kürzester Zeit hätten sie die Station «radikal umgebaut», aus den ursprünglich sieben Plätzen auf der Intensivstation wurden 40. Auch die Notfallaufnahme wurde neu organisiert. Es gab nun zwei Eingänge: Einen für potentielle Covid-Kranke und einen für alle anderen Notfälle.
Während der ersten Tage habe ihr Team mit einem mulmigen Gefühl gearbeitet, sagt Pollizzi. Im nahen Italien waren die Grenzen geschlossen worden, und in der Klinik fürchtete man, das teilweise italienischstämmige Personal nicht halten zu können. Deshalb habe die Spitalleitung zwei Hotels als Unterkunft für die italienischen Mitarbeiter organisiert, erzählt Pollizzi.
Viele Abläufe seien in diesen ersten Tagen noch nicht optimal gewesen, es wurde improvisiert und nach Lösungen gesucht, das Adrenalin habe sie aber stets vorwärts getrieben, erinnert sie sich.
Selbsthilfegruppen, Ruheraum und starkes Vertrauen
Auf das Testergebnis des ersten bestätigten Corona-Patienten der Schweiz mussten sie 72 Stunden warten, denn ausschliesslich ein Labor in Genf konnte Corona-Tests auswerten. Die Tests wurden in einem Spezialtaxi in die Romandie befördert, ab Lugano dauert die Fahrt mindestens viereinhalb Stunden.
Allen Widrigkeiten zum Trotz sei der «spirito» ihres Teams während der ersten Corona-Welle gut gewesen, erzählt Pollizzi. Um die Mitarbeitenden zu stützen, wurden Selbsthilfegruppen gegründet, ein Ruheraum bot Erschöpften eine kurze Zeit der Erholung. Zwischen der Klinikleitung und den Angestellten sei in dieser Zeit ein starkes Vertrauen gewachsen. Bis heute sei dies so geblieben, sagt die Leiterin des Pflegedienstes.
Und neben all den belastenden Situationen gab es auch hoffnungsvolle Momente. Ein junger Mann, der einen schwierigen Verlauf hatte und zwei Wochen auf der Intensivstation lag, schenkte dem Team nach seiner Genesung einen Apfelbaum. Dieser steht heute im Spitalgarten.
Pollizzi: Mehr Bildung im Bereich Gesundheit
Was müsste man in einer neuen Pandemie besser machen? Es sei schwierig, im luftleeren Raum Strategien zu definieren, sagt Pollizzi. Die meisten Abläufe müssten im Moment und an Ort und Stelle verbessert werden. Sicher dürfe es keinen Material-Engpass mehr wie damals mit den Masken geben.
Handlungsbedarf sieht die Pflegeexpertin in der Schule: «Wir brauchen eine bessere Bildung im Bereich Gesundheit.» Es sei wichtig, dass junge Menschen verstünden, was «Grippe» genau bedeute und dass man mit dem Tragen einer Maske Mitmenschen schützen könne – auch ausserhalb einer Pandemie.