Für die gut 3000 Afghaninnen, die die Schweiz vorläufig aufgenommen hat, ist der Entscheid von grosser Bedeutung: Im Juli hatte das Staatssekretariat für Migration (SEM) beschlossen, dass Frauen und Mädchen aus Afghanistan neu in aller Regel als Flüchtlinge anerkannt werden.
Die Praxisänderung hatte hohe Wellen geworfen. SVP und FDP wollen, dass der Bundesrat die neue Praxis wieder rückgängig macht. Das Parlament wird in der Wintersession, die nächste Woche beginnt, darüber diskutieren.
«Wir hätten aktiv kommunizieren müssen»
Für Kritik hat insbesondere gesorgt, dass der Bund über die Änderung nicht von sich aus informiert hatte. Das sei ein Fehler gewesen, räumte das SEM am Donnerstag ein. «Wir haben unterschätzt, wie politisch brisant der Entscheid ist», so Sprecher Daniel Bach. «Wir hätten das aktiv kommunizieren müssen.» Gleichzeitig stellt das SEM aber auch klar: Es liegt in seiner Kompetenz, selbst solche Praxisänderungen zu beschliessen. Das Parlament hat dabei nichts zu sagen.
Neue Asylpraxis für Afghaninnen
An einer Medienveranstaltung legte das SEM nun Zahlen und Fakten zur Praxisänderung auf den Tisch – und erklärte sich. Die Situation der Frauen im Afghanistan habe sich seit der Machtübernahme der Taliban im August kontinuierlich verschlechtert. Frauen und Mädchen würden aufgrund ihres Geschlechts «systematisch menschenunwürdig behandelt», sagte Kathrin Buchmann, zuständig für die Asylverfahren beim SEM. Faktisch ist die Gefahr für die Frauen massiv grösser geworden. Ihre fundamentalen Menschenrechte sind nicht mehr gewährleistet. Deshalb hat sich das SEM zur Praxisänderung entschieden.
Die Zahl der neu eingereichten Asylgesuche von Afghaninnen und Afghanen ist seither gestiegen. Der Grund dafür sei aber nicht die neue Regelung, sondern saisonale Schwankungen, stellte der stellvertretende SEM-Chef Claudio Martinelli klar.
Flüchtling statt vorläufig aufgenommen
Zugenommen haben aber auch – und das eindeutig wegen der Praxisänderung – Wiedererwägungsgesuche von Afghaninnen und Afghanen, die schon in der Schweiz leben. Sie können jetzt beantragen, nachträglich als Flüchtling anerkannt zu werden und damit Asyl zu erhalten. Damit haben sie in der Schweiz mehr Rechte, als wenn sie nur vorläufig aufgenommen sind. So dürfen sie im Rahmen des Familiennachzugs zum Beispiel Ehepartner und minderjährige Kinder zu sich in die Schweiz holen.
Vergangenen September haben 700 Afghaninnen und Afghanen ein solches Wiedererwägungsgesuch gestellt – rund 410 Gesuche betrafen Frauen und Mädchen. Im Oktober gingen beim SEM noch 300 Anträge ein.
Änderung kommt Bund teuer zu stehen
Das SEM betonte, dass nun nicht sämtliche Afghaninnen automatisch Asyl erhielten. Man prüfe weiterhin jeden Fall einzeln, so Buchmann. Alle Personen werden einer Sicherheitsprüfung unterzogen und es wird geprüft, ob allenfalls ein anderer Staat fürs Asylverfahren zuständig ist.
Die Praxisänderung wird den Bund einiges kosten. Denn für jeden anerkannten Flüchtling zahlt der Bund den Kantonen eine Pauschale von rund 17'500 Franken pro Jahr. Und das die ersten fünf Jahre. Würden alle gut 3000 vorläufig aufgenommenen Afghaninnen nun die Flüchtlingseigenschaft erhalten, könnte das Kosten von bis zu 275 Millionen Franken zur Folge haben, wie der Bundesrat auf Anfrage von SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (44) vorrechnet.
Hinzu kämen die Kosten für Ehemänner und Kinder, die von Gesetzes wegen ebenfalls von der neuen Regelung profitieren. Allerdings ist die Zahl laut SEM rein theoretisch. Unter anderem sei überhaupt nicht absehbar, wie viele vorläufig aufgenommenen Afghaninnen tatsächlich ein Gesuch stellen werden.