Philippe Luchsinger hat in seiner Praxis in Affoltern am Albis ZH bisher 200 Patienten vollständig gegen das Coronavirus geimpft – hauptsächlich ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen. Pro Stich in den Oberarm erhält der Hausarzt von der Krankenkasse 24.50 Franken.
Das decke seine Kosten bei weitem nicht, sagt Luchsinger, der auch Präsident der Schweizer Haus- und Kinderärzte ist. Die Priorisierung der Patienten, deren Impfung und Überwachung seien sehr aufwändig. «Mit dem aktuellen Tarif bezahlen wir sogar noch drauf!»
Acht Franken weniger
Bald erhalten Luchsinger und seine Kollegen noch weniger pro Impfung. Ab dem 1. Juli zahlen die Kassen nur noch 16.50 Franken pro Piks. Apotheken erhalten pro Impfung hingegen weiterhin 24.50 Franken. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Fehlanzeige.
Der Grund für die Ungleichbehandlung liegt darin, dass der Bundesrat den Betrag für die Apotheken in der Epidemienverordnung festgelegt hat, während der Tarif für die Hausärzte von den Krankenkassen und den kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK) ausgehandelt wurde. Der Ärzteverband FMH wurde bei den Verhandlungen lediglich angehört.
«Tarif darf nicht sinken»
GDK-Präsident Lukas Engelberger (46) kann den Unmut der Ärztinnen verstehen. «Es gibt keinen Grund, die Ärzte anders zu vergüten als die Apotheker», sagt er. Und hält fest: «Der Tarif für die Ärzte darf nicht gesenkt werden.» Die Gesundheitsdirektoren haben deshalb vergangene Woche das Gespräch mit den Krankenkassen wieder aufgenommen.
Doch dort stossen sie mit ihrer Forderung auf taube Ohren. «Wir halten die 16.50 Franken grundsätzlich für einen fairen Tarif», sagt Matthias Müller, Kommunikationschef des Branchenverbandes Santésuisse. Zudem sei der Arzttarif bereits im Frühjahr nach oben angepasst worden.
In der Tat hatten sich die GDK und die Kassen unter dem Druck der Hausärzte im Februar darauf geeinigt, den Impftarif von ursprünglich 14.50 Franken auf 24.50 Franken zu erhöhen. Festgelegt wurde damals auch, dass der Tarif Ende Juni auf 16.50 Franken sinkt, sobald die Risikopersonen geimpft sind.
Fertig verhandelt?
Gibt es also gar keinen Spielraum mehr? Doch, meint GDK-Präsident Engelberger. Der Bundesrat habe festgelegt, dass Tarifänderungen möglich seien, sofern sich die Rahmenbedingungen ändern. «Da sich ab Sommer voraussichtlich auch Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren impfen lassen können, verändern sich aus unserer Sicht die Rahmenbedingungen.» Auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) geht davon aus, dass es eine Tarif-Nachverhandlung brauche, wie es auf Anfrage von Blick schreibt.
Doch die Verhandlungen dürften zäh werden. Den aktuellen Arzttarif beizubehalten, kommt für die Kassen nicht infrage. Stattdessen haben sie dem Vernehmen nach vorgeschlagen, den Apothekentarif ebenfalls auf 16.50 Franken zu senken.
GDK-Präsident Engelberger ärgert sich über die Krankenkassen: «Es geht nicht, dass sie stur nur auf ihre Finanzen schauen.» Bislang würden Bund und Kantone den Grossteil der Pandemiekosten übernehmen. «Ich erwarte, dass sich jetzt auch die Kassen bewegen.»
Kantone mit Impfzentren erfolgreicher
Beim Streit zwischen den Kassen und den Gesundheitsdirektoren geht es auch um die Frage, wo geimpft werden soll. Aus Sicht der Krankenversicherer müssen so viele Menschen wie möglich in den Impfzentren geimpft werden. «Die Impfzahlen zeigen, dass Kantone, die stark auf Hausärzte setzen, deutlich langsamer und ineffizienter sind als Kantone, die viel in Impfzentren impfen lassen», sagt Müller von Santésuisse.
In der Tat ist etwa der Kanton Bern, der auf Impfzentren fokussiert, deutlich weiter in der Impfkampagne als Zürich, wo man stark auf Hausärzte setzt. Doch hinter dem Argument der Kassen dürften auch Kostenüberlegungen stehen: Denn die Versicherer zahlen für Impfungen in den Impfzentren nur eine Pauschale von 14.50 Franken – alles, was darüber liegt, berappen die Kantone.
Angst um Ärzte
Die Kantone ihrerseits betonen hingegen die Wichtigkeit der Arztpraxen. «Bald geht es nicht mehr primär um das Tempo», sagt GDK-Präsident Engelberger. «Vielmehr müssen wir misstrauische Menschen erreichen, solche die vielleicht keine Landessprache sprechen oder digital nicht so affin sind.» Dafür sei man zwingend auf die Hausärzte angewiesen. «Bei einem Tarif von 16.50 Franken laufen wir Gefahr, dass sich viele von ihnen aus der Impfkampagne verabschieden.»
Verhandlungen 2022 ungewiss
Die Fronten zwischen Kantonen, Kassen und Ärzten sind verhärtet. Und es dürfte nicht der letzte Streit zwischen ihnen bleiben. Schliesslich könnten bereits Ende Jahr sogenannte Auffrischungsimpfungen nötig werden. Und künftig müssen sich die Menschen vielleicht alle ein, zwei Jahre gegen Corona impfen lassen.
Auch dann wird die Vergütung von Ärztinnen wieder Thema werden. Die Lust auf neuerliche Tarifverhandlungen hält sich bei GDK-Präsident Engelberger allerdings in Grenzen: «Bleiben die Kassen weiterhin stur, müssen wir uns überlegen, ob wir als GDK für die Impftarife 2022 überhaupt noch in Verhandlungen steigen wollen.» Wahrscheinlich müssten dann kantonale Lösungen gefunden werden.