Letzte Klappe, fertig, aus. Am Mittwoch, als Beat Jans zum 122. Bundesrat der Eidgenossenschaft gewählt wurde, stand Claude Longchamp (67) noch einmal vor der TV-Kamera von Blick und analysierte die Bundesratswahlen.
Doch jetzt ist Schluss. «Das waren meine letzten Wahlen als TV-Kommentator», sagt Longchamp. Auch Lehraufträge und andere Verpflichtungen als Kolumnist hat er abgegeben. «Ab 1. Januar bin ich einfach AHV-Rentner. Mein Turbo-Leben hat ein Ende, jetzt kommt die Zeit fürs Bänkli am Fluss, mit dem Artikel über Pensionäre immer illustriert werden», sagt er und lacht.
Seit 1992 stand Longchamp an fast allen Abstimmungssonntagen vor der Kamera, zuerst beim SRF, ab 2020 dann beim Blick. Nur während eines Jahres war er nicht zu sehen, als er auf Weltreise war. Abstimmungen und Wahlen ohne Longchamp? Undenkbar.
Einer weiss immer Bescheid
Warum wurde eine Initiative abgelehnt? Weshalb legte jene Partei zu und diese nicht? Longchamp wusste stets Bescheid. Doch dann war da der 29. November 2009: Die Schweizerinnen und Schweizer nahmen die SVP-Initiative für ein Minarett-Verbot mit 57,2 Prozent Ja-Stimmen deutlich an.
Longchamps damaliges Meinungsforschungsinstitut GFS Bern war von einer Niederlage für die SVP ausgegangen. Darauf geriet Longchamp in einen regelrechten Shitstorm – auch wenn der Ausdruck damals hierzulande kaum gebräuchlich war. Er zog sich monatelang zurück und verzichtete auch auf den nächsten Abstimmungsauftritt beim SRF.
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Die Fehlprognose nagt noch heute an ihm. «Ja, wir lagen falsch.» Aber «angeschissen» habe ihn vor allem, dass alle sofort gewusst haben wollten, was ihrer Meinung nach schiefgelaufen war. Und dass alle seine anderen Umfragen, die sich als zutreffend herausgestellt hatten, plötzlich nichts mehr wert waren. «Ich war der Schweizer Pionier der Umfragen – einmal danebenzuliegen, das muss doch drin sein!»
Ein Pionier ist Longchamp tatsächlich gewesen, er war die Ikone der politischen Umfrageforschung im Land. 31 Jahre flimmerte er an Wahl- und Abstimmungssonntagen in die Deutschschweizer Stuben. Ist die Rede vom Mann mit der Fliege (die er seit seinem Abschied vom SRF eigentlich nicht mehr trägt), so ist für viele klar: Das ist der mit den Umfragen und Hochrechnungen. Der, der Abstimmungen und Wahlen ausrechnet und im TV erklärt.
Der Experte war den Umfragen voraus
Dabei stimmt das so nicht ganz. Longchamp war ab 1991 TV-Experte und dann erst machte er Meinungsumfragen. Bei den Wahlen 1992 erstellte er erstmals Hochrechnungen fürs SRF, Umfragen vor Abstimmungen kamen 1995 hinzu. Diesen Stab hat er längst weitergegeben. Seit 2016 leiten Lukas Golder und Urs Bieri GFS Bern. Golder hat Longchamp auch als Abstimmungsexperte im Schweizer Fernsehen ersetzt, wo er mit markanter Brille statt Fliege auffällt.
Still geworden ist es um Longchamp trotzdem nicht. Ungebrochen ist das Interesse der Medien an seinem Expertenwissen. «Wobei Journalisten häufig einfach ein Statement wollen, das ihre These stützt.»
Doch diese Zeit soll bald hinter ihm liegen. Künftig will er sich aussuchen, ob er Medienanfragen beantwortet oder nicht. Er möchte stattdessen mehr Zeit für sein zweites Standbein haben: Seit einigen Jahren bietet Longchamp als «Stadtwanderer» thematische Führungen in Bern, Freiburg und Murten FR an.
Winter hinter «schwedischen Gardinen»
Vor allem aber erfüllt sich Longchamp einen Traum: einmal einen Winter in seinem Haus in Schweden erleben, wo er seit Jahren seine Sommer verbringt. «Ich vertrage die Sommertemperaturen dort besser als die mittlerweile heisse Schweiz», erklärt er. «Nun will ich mal sehen, wie ich mit der Dunkelheit des Nordens klarkomme.»
Sicher aber mag er eines nicht mehr: Sich sein Leben von Abstimmungsterminen bestimmen lassen. Ob er es ganz lassen kann? Da traut sich Longchamp selbst nicht so recht über den Weg. «Wahl-Sendungen live sind halt schon das heisseste, das es gibt», gibt er verschmitzt lächelnd zu.