«Abschöpfungsrate pro Passagier erhöhen»
SBB planen Spionage-Angriff auf Reisende

Die staatseigenen Bahnen wollen Passanten in den Bahnhöfen ausspionieren. Die SBB wollen wissen, wer wann was tut, was die Passagierin kauft, womit sich der Reisende im Laden eindeckt – alles versteckt.
Publiziert: 15.02.2023 um 10:57 Uhr
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Aktualisiert: 15.02.2023 um 18:35 Uhr
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Auf den Schweizer Bahnhöfen werden die Reisenden künftig von den SBB ausspioniert.
Foto: Keystone
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Pascal TischhauserStv. Politikchef

Big SBB is watching you! Wer in der Bahnhofsapotheke Durchfalltabletten kauft, vor dem Dessous-Geschäft verweilt und sich zwei Dosen Bier kauft, soll registriert werden. Der bundeseigene Bahnbetrieb will an 57 seiner Bahnhöfe versteckte Überwachungskameras mit Gesichtserkennung installieren, wie der «K-Tipp» in seiner aktuellen Ausgabe aufdeckt.

Der Eidgenössische Datenschützer Adrian Lobsiger (63) war im Herbst summarisch von den SBB über deren Pläne informiert worden. Nicht aber über die tatsächlichen Ausmasse der Bespitzelungsaktion. Darüber wurde er erst vor wenigen Tagen von der Konsumentenzeitschrift ins Bild gesetzt. Lobsiger sieht aufgrund der «Vielzahl der erhobenen Daten und des Risikos einer Re-Identifikation von Personen» ein «erhebliches Risiko für die Persönlichkeit der Passanten», wie er dem Magazin zum SBB-Lauschangriff auf die Kunden schreibt. Er verlangt eine Datenschutzfolgen-Abschätzung. Dieser Forderung kämen die SBB selbstverständlich vor Einführung des neuen Systems nach, schreiben die Bundesbahnen.

Gläserne Passagierin

Ab September wollen die SBB die Leute an den Bahnhöfen nicht bloss filmen, wie das heute schon mit 700 Kameras geschieht, sondern eben ihr Kaufverhalten auswerten und dies mit den Daten des Swisspass verknüpfen. Alter, Geschlecht, Grösse, mitgeführtes Gepäck, Kinderwagen oder Velos – alles wird gespeichert. Wie lange sitzen zwei Studentinnen im Bahnhofscafé? Was trinken die 19-jährigen Frauen dort? Wie viel Geld haben sie zuvor am Kiosk ausgegeben? Wohin reisen sie danach mit wem? Die SBB werden es wissen, sofern ihnen die Politik nicht noch Einhalt gebietet.

Das Ziel der Überwachung laut Unterlagen der SBB, die dem K-Tipp vorliegen: Die «Abschöpfungsrate» pro Passagier erhöhen. Denn: Je höher der Umsatz der Geschäfte in den Bahnhöfen, desto höher fällt die Miete aus, die diese den SBB abliefern müssen.

Schaffhausen macht den Anfang

Den Anfang soll der Bahnhof Schaffhausen machen. Vom Norden der Schweiz aus starten die Bahnen damit den grossen Lauschangriff auf die gesamte Schweiz. Geplant ist die Spionage-Aktion bis 2028, mit Option auf Verlängerung bis 2033. Und eben: Die Kameras sollen für die Reisenden unsichtbar angebracht werden.

Zur Verteidigung schreiben die Bundesbahnen unter der Leitung von Vincent Ducrot (60) dem «K-Tipp»: «Die SBB können mit den anonymisierten Zähldaten den Service für die Kunden verbessern», so die Pressestelle des Staatsbetriebs. Es seien keinerlei Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich. Und die Daten von den Ladenkassen würden nur allgemein genutzt. Das Einkaufsverhalten werde nicht mit den Daten der SBB-App und auch nicht mit jenen des Swisspass verknüpft. Und gegenüber Blick beharren die SBB darauf: «Der Datenschutz ist gewährleistet.»

Rösti soll SBB stoppen

Nur: Laut den Unterlagen, in die Blick teilweise Einblick hatte, sieht das anders aus. In den Ausschreibungsunterlagen zum Lauschangriff verlangen die SBB von den Kamerabetreibern explizit eine «eindeutige Identifikation der Person (Person-ID), während des gesamten Aufenthalts im Bahnhof».

Doch so einfach dürften die Bundesbahnen mit der Kunden-«Abschöpfung» nicht durchkommen. Schon fordert der erste Politiker, dass der zuständige Bundesrat Albert Rösti (55) die Bespitzelung verhindert. SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel (57) ruft seinen Parteifreund dazu auf, tätig zu werden: «Wir sind nicht Nordkorea! Es darf nicht sein, dass sich Menschen bei uns ständig verfolgt fühlen müssen. Hier hat Verkehrsminister Albert Rösti eine wichtige Aufgabe vor sich. Es gilt, diesen Überwachungsaktivismus der SBB zu stoppen!»

Auf Anfrage übt sich das Umwelt-, Verkehrs- und Energiedepartement (Uvek) von Albert Rösti aber in Zurückhaltung. Es teilt mit, das Uvek erwarte und gehe davon aus, dass sich die SBB an die geltenden Datenschutzgesetze halte.

Verkehrskommission wird tätig

Dafür wird jedoch das Parlament aktiv: Der Präsident der nationalrätlichen Verkehrskommission, Jon Pult (38, SP), hält fest: «Es ist sicher nicht wünschenswert, dass sich die SBB an ihren Bahnhöfen wie Google oder Facebook verhalten, Bewegungsprofile von uns allen erstellen und unser Konsumverhalten aufzeichnen.» Sollte sich diese Angelegenheit in den nächsten Tagen und Wochen nicht klären, verlange man, dass die SBB in der Kommission Auskunft dazu geben.

«Das ist unhaltbar!», findet der Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (44). Der Datenschützer müsse die SBB-Pläne sofort eingehend prüfen. «Wenn diese tatsächlich so angedacht sind wie berichtet, kann Herr Lobsiger aber eigentlich nur zu einem Schluss kommen: Das geht so nicht! Er wird eine entsprechende Weisung erlassen müssen», so der Nationalrat.

Und die Verkehrspolitikerin Marionna Schlatter (42, Grüne) fordert: «Die SBB müssen nun rasch offenlegen, wie ihre Pläne genau aussehen.» So oder so zeige der Fall aber, dass es griffige Regeln brauche. «Denn dank künstlicher Intelligenz gibt es zahlreiche Möglichkeiten, all die Daten auszuwerten, die täglich anfallen», so die Nationalrätin.

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