«Verwässert», «ein Papiertiger», ein «zahnloses Büseli»: Das neue Gleichstellungsgesetz, das am 1. Juli in Kraft tritt, kommt vor allem bei Gewerkschaften und Linken gar nicht gut an. Neu müssen Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitenden zwar eine Lohnanalyse durchführen. Doch Kontrollen sind nicht vorgesehen, Sanktionen erst recht nicht. Wenn es denn «unerklärte Unterschiede» punkto Lohn gibt, muss die Übung wiederholt werden – sonst war es das schon.
Ursprünglich wollte der Bundesrat strenger sein, doch das Parlament hat eine Version verabschiedet, die nur auf die Eigenverantwortung der Unternehmen setzt. Immerhin: Laut dem Gleichstellungsbüro des Bundes kann die Lohnanalyse durchaus Wirkung haben: Jedes zweite Unternehmen habe die Löhne nach einer Analyse durch das Gratistool Logib angepasst.
Bessere Chancen beim Klagen
Das Büsi mag punkto Sanktionen zwar zahnlos sein, Krallen könnte es aber doch zeigen: Nämlich dann, wenn es um Klagen von Betroffenen geht, die sich gegen eine Lohndiskriminierung wehren. «Zeigt die wissenschaftliche Analyse unerklärbare Lohndifferenzen auf, hat eine Klägerin bei der Beweisführung bessere Chancen», sagt Elisabeth Freivogel, Gleichstellungsexpertin und pensionierte Juristin.
Einen Sieg vor dem Kadi bedeutet das allerdings noch lange nicht. Denn auch eine negative Lohnanalyse ist noch kein Beweis für die Diskriminierung im Einzelfall, betont Freivogel. Denn diese muss im individuellen Fall glaubhaft gemacht werden, während die Lohnanalyse das Unternehmen als Ganzes untersucht. Aber: Zumindest sei letztere «ein zusätzliches Indiz, das ein Gericht dazu bringen wird, eine Klage genauer anzuschauen», so Freivogel.
Eine Prozesswelle werde das neue Gleichstellungsgesetz sicher nicht auslösen, ist sich Freivogel sicher. «Aber es ist möglich, dass vereinzelt Frauen eher den Mut fassen, sich zu wehren.»
Schwarze Liste für die Faulen
Trotz aller Kritik: Freivogel geht davon aus, dass Lohnbemessungsfehler gerade bei Firmen, die Wert auf einen guten Namen legen, dereinst beseitigt werden. Skeptischer ist dagegen Travail Suisse. Der Gewerkschaftsdachverband hat am Dienstag eine eigene Plattform online gestellt, bei der sich Firmen nach einer Analyse als «Vorreiter» eintragen können, auch wenn sie weniger als 100 Angestellte haben.
Langfristig kommt zur weissen Liste dann auch eine schwarze hinzu. Wenn ein Unternehmen dankend auf eine Analyse verzichtet, gibt es im Gesetz nämlich keine Sanktionsmöglichkeit. Hier will Travailsuisse dereinst Druck machen und die Namen der Säumigen veröffentlichen. Dauern wird das allerdings noch: Von der Analyse über die Kontrolle durch eine externe Stelle bis zur Information von Aktionären und Angstellen hat eine Firma alles in allem Zeit bis im Sommer 2022.