Und die Schweiz bewegt sich doch
Das hat sich seit dem ersten Frauenstreik 1991 verbessert

Frauen gehen heute auf die Strasse, um für mehr Gleichberechtigung zu demonstrieren. So wie schon 1991. Und immerhin: Seitdem hat sich einiges zum Besseren verändert.
Publiziert: 13.06.2019 um 23:16 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:08 Uhr
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In der Rentenfrage hat sich für die Frauen viel verbessert.
Foto: Keystone
Lea Hartmann, Cinzia Venafro, Claudia Gnehm, Ruedi Studer

Zentrale Forderungen der Gleichstellung zwischen Mann und Frau sind bis heute unerfüllt. Dennoch bewegt sich etwas in der Schweiz. BLICK zeigt, in welchen Bereichen seit dem ersten Frauenstreik am 14. Juni 1991 Fortschritte erzielt wurden.

1. Altersvorsorge

Die letzte grosse AHV-Revision trat 1997 in Kraft – und brachte für die Frauen wichtige Verbesserungen. Die frühere Ehepaar-Altersrente wurde durch zwei individuelle Altersrenten ersetzt, und es wurden das Ehegatten-Splitting sowie Erziehungs- und Betreuungsgutschriften eingeführt. Ebenso eine Witwenrente. Im Gegenzug wurde das Frauenrentenalter 62 auf 64 Jahre erhöht – auch ein Schritt Richtung Gleichstellung. Im Jahr 2000 trat zudem ein neues Scheidungsrecht in Kraft, welches im Scheidungsfall die Teilung der Pensionskassengelder vorsieht.

2. Namensrecht

Müller, Meier, Müller Meier, Meier-Müller – oder was? Bis 1984 war das Namensrecht einfach: Mit der Heirat übernahm die Frau den Namen des Mannes. Später folgten zwei Ausnahmeregeln: Der Doppelname (ohne Bindestrich) für die Frau, bei welchem sie ihren Namen jenem des Mannes voranstellen konnte. Neu konnte auch der Frauenname zum gemeinsamen Namen erklärt werden. Seit 2013 gilt: Beide Ehegatten behalten grundsätzlich ihren Namen und entscheiden, welchen der beiden Ledignamen ihre Kinder tragen. Möglich ist auch ein gemeinsamer Familienname für alle.

3. Lohnungleichheit nimmt ab

Der grösste Fortschritt bei der Lohnungleichheit zeigt sich bei der Datenlage. Für das Jahr des letzten Frauenstreiks, 1991, wurden noch gar keine Zahlen über die Lohndifferenzen zwischen Männern und Frauen erhoben.

Erstmals offiziell erfasst wurde der Lohnunterschied 1998. In der Privatwirtschaft betrug er 24,8 Prozent. Heute liegt er bei 19,6 Prozent – er ist klar gesunken.

Dennoch gibt es keinen Grund zum Jubeln, denn man muss zwischen Lohnungleichheit und Lohndiskriminierung unterscheiden. Lohnungleichheit lässt sich erklären, etwa durch die Ausbildung oder die Anzahl Dienstjahre. Doch es gibt auch Unterschiede, die sich nicht erklären lassen – das ist Diskriminierung. Der Diskriminierungsanteil an der Lohnungleichheit ist seit 2006 stetig gestiegen.

4. Mehr Plätze für Kinderbetreuung

Jeder neue Kita-Platz wird während zweier Jahre mit 5000 Franken unterstützt. Tagesstrukturen werden mit 3000 Franken während dreier Jahre subventioniert: Diese sogenannte Anschubfinanzierung läuft schon seit 15 Jahren – und wurde vom Parlament vergangenen Herbst wieder erneuert. Als die Frauen 1991 streikten, war es selbst in grösseren Städten schwierig, einen Platz für das Kind zu finden. Seither wurden mehr als 50'000 neue Plätze geschaffen. Gestern nun entschied der Ständerat nach dem Nationalrat, dass künftig bis zu 25'000 Franken für die externe Kinderbetreuung von den Bundessteuern abgezogen werden können – aktuell sind es 10'100 Franken.

5. Mehr Frauen in der Politik

Ende 2018 betrug der Frauenanteil im Nationalrat 33 Prozent (66 Frauen und 134 Männer) und im Ständerat 15,2 Prozent (7 Frauen und 39 Männer). Zum Vergleich: 1991 sassen vier Frauen im Stöckli und im Nationalrat 35 – gerade einmal 17 Prozent. Schaut man in die Kantonsparlamente, folgt die Ernüchterung: Seit 20 Jahren ist der Frauenanteil dort nicht mehr signifikant gestiegen.

6. In der Armee dürfen Frauen jetzt alles

Erst seit 1995 dürfen Frauen gemeinsam mit den Männern Dienst leisten. Einen Kampfauftrag erhielten sie gar erst mit dem 2003 vom Volk angenommenen Reformprojekt Armee XXI – seit 2004 können Frauen auch in der Infanterie oder in der Panzertruppe die RS machen. Und mit Viola Amherd (57) steht dem VBS erstmals eine Frau vor. Die CVP-Magistratin hat sich die Frauenförderung im Militär auf die Fahne geschrieben.

7. Handarbeit und Werken für Jungen und Mädchen

Werken für die Buben, Handarbeit für die Mädchen: Damit ist schon lange Schluss. Schon Anfang der 80er-Jahre hatten die Erziehungsdirektoren der Kantone das Ziel formuliert, dass beim Unterricht kein Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht wird. Allerdings gab es zehn Jahre später in über der Hälfte der Kantone noch immer Fächer-Unterschiede. Erst in den 90ern setzte sich das Prinzip der sogenannten Koedukation im ganzen Land durch und ist heute selbstverständlich.

8. Die Mutterschaftsversicherung

Seit 2005 haben erwerbstätige Mütter Anspruch auf eine Mutterschaftsentschädigung. Sie erhalten nach der Geburt während 14 Wochen 80 Prozent ihres Lohns – maximal aber 196 Franken pro Tag. Die Mutterschaftsversicherung hatte eine lange Leidenszeit hinter sich – denn der Grundsatz stand schon seit 1945 in der Bundesverfassung.

9. Die Fristenregelung

Unter dem Motto «Mein Bauch gehört mir» wurde seit den 1970er-Jahren eine intensive Debatte um den straflosen Schwangerschaftsabbruch geführt. Ein Abbruch war damals nur aus medizinischen Gründen erlaubt. Das Stimmvolk wollte lange weder von einer Verschärfung noch von einer Lockerung etwas wissen. 2002 sagte es dann deutlich Ja zur Fristenregelung. In den ersten zwölf Schwangerschaftswochen ist ein Abbruch grundsätzlich erlaubt. Danach nur aus medizinischen Gründen.

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