Im Kanton Freiburg soll ein Epsilon-Werbeverträger neu nur noch 17.44 Franken Stundenlohn erhalten, wenn er beim früheren CVP-Fraktionschef und heutigen Postpräsidenten Urs Schwaller (68) und dessen Nachbarn Werbezettel in den Briefkasten steckt. Dagegen protestierten die Gewerkschaften am Mittwoch vor dem Posthauptsitz in Bern-Wankdorf.
«Wir sind der Abfallkübel der Post», sagte ein wütender Mitarbeiter von Epsilon, der zusammen mit rund 20 anderen Werbeverträgerinnen und -verträgern der Westschweizer Post-Tochter lautstark eine Entlöhnung forderte, von der man leben kann.
Die Epsilon-Angestellten werfen dem gelben Riesen vor, ein schlechtes Entlöhnungssystem durch ein miserables ersetzen zu wollen. Damit würden laut Gewerkschaft Syndicom aus Niedriglöhnen in den Kantonen Freiburg und Waadt «Hungerlöhne», die teils Monatsgehältern von unter 3000 Franken entsprächen. Zudem will die Post-Tochter Epsilon die Krankentaggeldversicherung kappen.
Epsilon wurde gebüsst
Dabei büsste die Eidgenössische Postkommission (PostCom) Epsilon schon im Februar 2020 mit einer Strafzahlung von 180'000 Franken wegen Lohndumpings. Dies weil Epsilon den Mindestlohn von 18.27 Franken für die subventionierte Zeitungsfrühzustellung unterlaufen hatte. Mindestens diesen Lohn fordern die Gewerkschaften auch für die Werbezusteller.
Für Syndicom-Präsident Daniel Münger und den Präsidenten des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Pierre-Yves Maillard (53), ist es schlicht «inakzeptabel», womit der Staatsbetrieb die Werbeverträger in der Westschweiz abspeisen will. Laut dem Waadtländer SP-Nationalrat Maillard fördert die Post «mit ihrem Gebaren eine weitere Prekarisierung einer schon heute benachteiligten Berufsgruppe».
Von wegen «attraktive» Bedingungen
Das dürfte auch Maillards Genossin Simonetta Sommaruga (61) nicht gefallen. Schliesslich schreibt der Bundesrat der Post vor, eine fortschrittliche und sozialverantwortliche Personalpolitik zu betreiben und «attraktive Anstellungsbedingungen» zu bieten. Diesem Gebot dürfte die Post wohl auch aus Sicht der Postministerin mit 17.44 Franken Stundenlohn nicht Folge leisten.
Die Post sieht dies anders. Weder die sie noch Epsilon missachteten Ziele, die der Bundesrat dem gelben Riesen gegeben hat. Die Missstände bei Epsilon aus der Vergangenheit habe man aufgearbeitet und behoben. «Wir achten darauf, dass alle Konzerngesellschaften alle Vorgaben von Bund und Kantonen erfüllen. Dies tut Epsilon», hält Sprecherin Léa Wertheimer fest.
Die Post betont weiter, dass Epsilon sein Lohnmodell zeitgemäss ausgestaltet habe. Bis anhin seien die Mitarbeitenden in den Kantonen Freiburg und Waadt pro ausgelieferten Werbeflyer bezahlt worden. Neu soll der Stundenlohn gelten – und damit gleiche Bedingungen für alle Mitarbeitenden, die Werbesendungen vertragen.
Nur: In Genf bekommen die Epsilon-Werbeverträger für genau dieselbe Arbeit 23 Franken pro Stunde, weil im Grenzkanton dieser Mindestlohn gilt. Weiter gibt es eine Krankentaggeldversicherung.
Zudem behauptet die Post, etwa 200 von 330 Epsilon-Werbeverträgern bekämen gar ein wenig mehr Geld.
Und die Post wirft Syndicom vor, die Verhandlungen um einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) abgebrochen zu haben. Das Angebot des gelben Riesen war jedoch der Tieflohn von 17.44 Franken pro Stunde. Nur wenn der GAV für die gesamte Branche für allgemeinverbindlich erklärt worden wäre, hätte die Post mit sich über höhere Löhne reden lassen wollen – da dann auch die Konkurrenz gleich viel hätte zahlen müssen.
Monopol oder Konkurrenz?
Die finanzielle Lage bei Epsilon sei angespannt, heisst es. Einen höheren Stundenlohn könne man sich in dieser Branche nicht leisten. Erhöhe man die Löhne, müsse man auch die Preise heraufsetzen. Dann würde rasch ein Konkurrent mit günstigeren Angeboten in die Bresche springen. Womöglich müsste Epsilon dann gar Personal abbauen. Tatsächlich ist es so, dass Konkurrenten in der Zustellbranche teils viel tiefere Löhne als die Post zahlen und darum ihre Zustellungen billiger betreiben können.
Doch erstens bestreiten die Gewerkschaften, dass es überhaupt einen Anbieter gäbe, der statt der Post mit ihren Töchtern die Werbeflyer in die Briefkästen stecken würde. Der gelbe Riese habe hier das Monopol. Und zweitens macht die Post selbst vor, dass ihre Argumentation nicht aufgeht: In der Deutschschweiz ist es nämlich die DMC – auch eine hundertprozentige Post-Tochter –, die die Werbezettel in die Briefkästen steckt. Und das bereits jetzt für 17.44 Franken. Doch trotz des tiefen Stundenlohns für die Verträger bekundet man auch in der Deutschschweiz grosse Mühe in diesem Geschäft.
Verantwortlich für die Erreichung der bundesrätlichen Ziele ist beim Staatsbetrieb der Post-Verwaltungsrat – allen voran Urs Schwaller (68). Er muss sich aber bald nicht mehr mit Kritik an der Post herumschlagen.
Freiburger für Freiburger
Der frühere Freiburger Ständerat räumt seinen Post-Posten bekanntlich per Ende November. Er gibt die Bürotürklinke dem amtierenden Freiburger Ständerat Christian Levrat (50) in die Hand. Dem einstigen SP-Boss mit gewerkschaftlichen Wurzeln dürfte es schwerfallen, die Minilöhne am Briefkasten weiter zu dulden.