Lange kannte man das Phänomen im westlichen Kulturkreis hauptsächlich aus englischsprachigen Ländern: Dass Menschen einen, zwei, manchmal drei Jobs haben, sich aber trotzdem keine Wohnung leisten können. Lehrer, die abends Hamburger wenden, um danach im Auto zu übernachten. Krankenschwestern, die in Trailer Parks leben. Busfahrer, die irgendwo unter einer Brücke schlafen müssen. Amerikanischer Turbokapitalismus halt, dachte man respektive ich.
Wichtiges Thema mit unnötigem Sex
So weit entfernt von uns ist das aber gar nicht, wie der heutige Berliner «Tatort» zeigt. Dort nützt ein Mitinhaber einer Immobilienfirma herz- und rücksichtslos die Notlagen von Menschen aus, die wegen seiner Firma verzweifelt sind – was durchaus einen realen Hintergrund hat: Berlin ist langsam durch-kern-luxussaniert, billiger Wohnraum ist kaum mehr zu finden, Menschen mit normalen Jobs wie Busfahrer können sich keine neue Wohnung mehr leisten, wenn sie aus ihrer alten wegen Sanierungen rausgeschmissen werden. Nun liegt dieser Mitinhaber ermordet auf der Strasse. Karow (Mark Waschke) und Rubin (Meret Becker) ermitteln unter den Mietern. Kleine Nebenbemerkung: Die Autoren scheinen ihrem eigenen Stoff nicht getraut zu haben. Anders ist die völlig unmotivierte und unnötige Sexszene zwischen Karow und Rubin nicht zu erklären.
Aber zurück zum Stoff: Der ist so weit, so deprimierend. Und hat eine seltsame Nebenwirkung: Es stellt sich bei mir als Befürworterin des gescheiterten Rahmenabkommens so etwas wie Erleichterung ein, dass Lohndumping bei uns (noch) etwas milder verläuft.
«Tatort»: «Die dritte Haut», SRF 1, 20.05 Uhr
Wertung: Dreieinhalb von fünf