Seit der Wiedereröffnung strömen die Besucher wieder in Massen in die zoologischen Gärten. Corona hat das Bedürfnis der Menschen, der Natur nahe zu sein, noch verstärkt. Im Blick-Interview zieht der neue Direktor vom Zoo Zürich, Severin Dressen (33), Bilanz über sein bewegtes erstes Amtsjahr.
Blick: Ende April mussten Sie das Gorilla-Weibchen Mawimbi einschläfern. Im Mai starb das Koala-Weibchen Pippa an Leukämie, und zuletzt mussten Sie sich altershalber auch vom Löwenmännchen Radja trennen. Wie nah gehen Ihnen solche Dramen?
Severin Dressen: Solche Ereignisse muss man immer in Relation sehen. Klar ist es nichts Schönes, nichts, worüber man sich freut. Im Umkehrschluss ist es erst einmal natürlich, dass Tiere krank werden, manchmal so krank, dass sie nicht mehr geheilt werden können. Der Fall Mawimbi ist nicht schön, aber er kommt vor. Es gibt nun mal nicht immer nur positive Neuigkeiten, wenn man mit Tieren arbeitet. Der Tod von Mawimbi ist aber nicht zu vergleichen mit dem hoch dramatischen Unfall vergangenen Sommer, wo ein Mensch durch einen Tigerangriff gestorben ist. Das war eine ganz andere Dimension. Was letzten Sommer passiert ist, war einfach nur schrecklich. Aber wir dürfen uns auch nicht der Illusion hingeben, dass es hundertprozentige Sicherheit geben kann. Wir müssen einfach alle Möglichkeiten ausschöpfen, um so etwas zu verhindern.
Der Tod von Mawimbi hat auch Ihr Publikum sehr berührt ...
Wenn ein Gorilla stirbt, ein grosses Tier, welches viele Gäste von ihren Besuchen her kennen, ruft das immer andere Emotionen hervor, als wenn es ein Volk von Blattschneiderameisen trifft. Auch wenn dort zahlreiche Tiere sterben. Die Wahrnehmung ist ganz unterschiedlich. Die Menschen können bei einem Gorilla grössere Nähe und Emotionen aufbauen, grundsätzlich bei Primaten, die ihnen verwandt sind. Das ist kein Vorwurf an die Menschen. Auch dies ist etwas höchst Natürliches.
Können und dürfen Sie als Direktor emotionale Beziehungen zu einzelnen Tieren aufbauen?
Eine gute Frage (denkt nach). Können sicherlich ... Ganz abgesehen vom Amt des Direktors darf man sich grundsätzlich nicht von einer emotionalen Bindung blenden lassen. Wenn ein Tier leidet, Schmerzen hat, muss man entscheiden, ob man es einschläfern lässt oder nicht. Da drängt sich bei mir der Vergleich zu Haustieren auf. Viele Leserinnen und Leser haben einen Hund und eine starke Beziehung zu ihm. Wenn er krank ist, ist es auch da nötig, dem Hund zuliebe eine Distanz zu ihm aufzubauen, die es ermöglicht, ihn einzuschläfern und sich nicht aus falsch verstandener Liebe an ihn zu klammern und ihn weiter leiden zu lassen. Das ist die Gefahr bei falsch verstandenen Emotionen.
Warum und wie wird man überhaupt Zoodirektor?
Tatsächlich war es bei mir so, dass ich schon als kleiner Junge beim Zoo arbeiten wollte. Später macht man in der Regel etwas «Vernünftiges», wird Banker oder Journalist (lacht). Ich habe mir diesen Traum bewahrt und schon während der Teenagerzeit gesehen, welch wichtige Funktionen ein Zoo auch punkto Arten- und Naturschutz wahrnimmt. Ich komme aus der Gegend von Köln, der dortige Zoo hat mich sehr inspiriert. Ich bin Biologe, andere kommen von der Veterinärseite, ein Dritter ist Betriebswirt. Ich hatte ganz viel Glück und das Privileg, meinen Kindheitstraum verwirklichen zu dürfen.
Wie fällt Ihre erste Bilanz nach der neuerlichen Öffnung aus?
Erst mal sind wir froh, wieder Publikum zu haben. Und die Leute wollen raus, wollen in den Zoo. Etwas schwierig ist für uns, dass die Leute nun weniger mit dem ÖV anreisen, sondern mit dem Auto kommen. Wir haben ja bekanntlich eine angespannte Parkplatzsituation und empfehlen auch aus ökologischen Überlegungen die Anreise mit dem ÖV. Beeindruckt bin ich von der Disziplin unserer Gäste beim Maskentragen, das macht uns das Leben viel einfacher.
Wie geht es dem Zoo Zürich finanziell? Wie gross sind die Corona-Schäden?
Wir haben Umsatzausfälle von bisher etwa 19 Millionen Franken. Und das Eventgeschäft liegt bis jetzt total brach, auch die Gastronomie ist eingeschränkt. Die Ausfälle häufen sich also weiter an.
Menschen suchen in diesen schwierigen Zeiten vermehrt die Nähe zur Natur und legen sich Katzen, Hunde usw. zu. Weshalb?
Bei aller Entfremdung sind wir extrem eng mit der Natur verbunden. Es gibt ein starkes Bedürfnis nach ihr. Das schliesst auch den Wunsch nach einem Tier als «Partner» ein. Was aber immer gut überlegt sein will, schliesslich geht man hier eine viele Jahre dauernde Verpflichtung ein. Ich selber habe keine Haustiere. Ich habe zwei kleine Kinder, das ist Zirkus genug (lacht).
Nicht alle erfreuen sich an Zoos, sondern kritisieren, solche Anlagen seien wider die Natur und diese Haltung Tierquälerei ...
Für mich gibt es hier zwei Ebenen: Erstens haben es die Tiere in einem gut geführten Zoo mindestens genauso gut wie in der Natur. Der Vorwurf der Tierquälerei in einem solchen Betrieb ist in keiner Weise belegbar. Das andere: Ich bin der tiefen Überzeugung – sonst hätte ich den falschen Beruf –, dass Zoos notwendiger sind denn je. Wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie sofort erfinden. Wir haben viele Aufgaben. Besonders wichtig ist unser Bildungsauftrag. Eben weil wir uns immer mehr von der Natur entfernen. Zentral sind auch der naturschützerische Aspekt, der Artenschutz und die Forschung. Die modernen Zoos sind mittlerweile der drittgrösste Geldgeber für Naturschutzarbeiten weltweit. Das können wir nur aufgrund des gesellschaftlichen Rückhalts so bewerkstelligen.
Wie stehen Sie zu Dressurnummern im Zirkus?
Ich denke, es ist gut, dass man die Wildtierhaltung in den Schweizer Zirkussen aufgegeben hat. Bei Haustieren verstehe ich die Vorwürfe weniger. Ob ein Pferd oder ein Hund in der Manege gestresst ist, kann ich aber zu wenig beurteilen.
Inwiefern trainieren Sie im Zoo Zürich Tiere?
Medical Training machen wir ganz intensiv, und es ist auch sehr wichtig für das Tierwohl. Das umfasst medizinische Untersuchungen, Ultraschall, Fiebermessen, Zähne kontrollieren etc. Alles auf freiwilliger Basis, und die Tiere kriegen jeweils Belohnungen dafür.
Ihr Publikum muss immer wieder auch mit Neuerungen gelockt werden. Was haben Sie diesbezüglich vor?
Ich glaube nicht, dass wir die Menschen «locken». Der Zoo Zürich hat einen enormen gesellschaftlichen Rückhalt. Die Menschen wollen die Entwicklung ihres Zoos begleiten. Unsere Neuerungen zielen ja immer darauf ab, neuste Erkenntnisse der Tierhaltung umzusetzen. Masoala, Lewa und der Elefantenpark sind dafür gute Beispiele. Die beiden nächsten grossen Projekte stehen bereits fest. Das Pantanal wird in eine grosse begehbare Volière umgebaut. Das zweite ist der Kongo-Bereich. Im weiteren sind wir gerade bei der Festlegung des Entwicklungsplans 2050. Mein Vorgänger Alex Rübel war sehr visionär – Stichwort Masoala-Regenwald, der in zwei Jahren 20-jährig wird. Ich hoffe, uns werden ähnlich nachhaltige Veränderungen gelingen.
Sie sind mit 33 Jahren noch sehr jung. Wie lange geben Sie sich Zeit? Haben Sie letzten Frühling eine Lebensstelle angetreten?
Wenn man mich lässt (lacht), kann ich es mir sehr gut vorstellen, den Entwicklungsplan bis 2050 zu Ende zu führen. Den Zoo Zürich leiten zu dürfen, ist jedenfalls ein Traumjob in einer fantastischen Stadt.
Besuchen Sie mit Ihrer Familie Zoos auch privat?
Natürlich, und sie sind immer auch eine Inspirationsquelle für mich. Empfehlen kann ich alle wissenschaftlich geleiteten Zoos.
Zoo Zürich
Severin Dressen ist in Köln geboren und in Aachen aufgewachsen. Er studierte Biologie an der Humboldt-Universität in Berlin und am Imperial College in London. Danach promovierte er in Zoologie an der Universität Oxford. Parallel zum Studium sammelte er praktische Erfahrungen als Kurator-Assistent in Deutschland und Spanien und war auch im argentinischen Nationalpark El Palmar tätig. Zurück in Deutschland, nahm Dressen im Zoo Wuppertal die Stelle als Kurator und später als stellvertretender Direktor und Zoologischer Leiter an. Am 1. Juli 2020 war sein offizieller Amtsantritt als Direktor des Zoos Zürich. Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Zürich.
Severin Dressen ist in Köln geboren und in Aachen aufgewachsen. Er studierte Biologie an der Humboldt-Universität in Berlin und am Imperial College in London. Danach promovierte er in Zoologie an der Universität Oxford. Parallel zum Studium sammelte er praktische Erfahrungen als Kurator-Assistent in Deutschland und Spanien und war auch im argentinischen Nationalpark El Palmar tätig. Zurück in Deutschland, nahm Dressen im Zoo Wuppertal die Stelle als Kurator und später als stellvertretender Direktor und Zoologischer Leiter an. Am 1. Juli 2020 war sein offizieller Amtsantritt als Direktor des Zoos Zürich. Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Zürich.