Rätselhafter Tod im Zoo Zürich
Am Tag, als Mawimbi starb

Warum erkrankte das achtjährige Gorillaweibchen Mawimbi plötzlich schwer und musste eingeschläfert werden? Dies versuchen derzeit Pathologen für den Zoo Zürich herauszufinden. Ein Besuch im Affenhaus.
Publiziert: 02.05.2021 um 20:02 Uhr
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Die Gorillas im Zürich Zoo. Mawimbi fehlt nun.
Foto: Alexandra Fitz
Alexandra Fitz

Sie balancieren auf dicken Seilen und ziehen an Ästen, die ihnen die Tierpfleger von oben ins Gehege reichen. Sie werfen sie zu Boden, dort sitzen ihre Freunde und zupfen die Blätter verschiedener Futteräste und stopfen sie in den Mund. Der Grösste der Gruppe sitzt abseits und beobachtet. Es ist der Anführer. N’Gola ist sein Name. Er ist 1977 geboren, im Zoo auf der britischen Insel Jersey. Seit 37 Jahren lebt er im Zoo Zürich. An diesem Dienstagvormittag dreht er den Besuchern den Rücken zu. Silberüberzogen ist er. Die Graufärbung erstreckt sich bis zu den Hüften und den Oberschenkeln. Das ist bei den westlichen Flachlandgorillas so üblich. Er wiegt über 150 Kilogramm. Nicht nur seine Masse, auch seine Bewegungen deuten darauf hin, dass er der Chef ist. Der Chef der fünfköpfigen Gorillagruppe im Zürcher Zoo.

Vor einer Woche war seine Gruppe noch grösser. Fünf Weibchen gehörten zu seinem Harem. Doch seine achtjährige Tochter Mawimbi ist unerwartet gestorben, wie der Zoo Zürich in einer Mitteilung schreibt. Auf der Tafel «Unsere Gorillas» ist das Bild von Mawimbi schon verschwunden. Auch sonst deutet nichts darauf hin, dass hier ein Menschenaffe gestorben ist. «Bewusst», erklärt Kurator Pascal Marty (38) im vollen Affenhaus. «Der Tod ist ein Teil des Lebens.» Ausserdem würden Tiere auch immer mal wieder in einen anderen Zoo abwandern – und so der Gruppe und den Besuchern fehlen.

Die Ursache für Mawimbis Tod wird in der Pathologie des Tierspitals abgeklärt. Gorillas können im Zoo ein Alter von bis zu 45 Jahren erreichen. N’Gola ist 44. Mawimbi wurde bloss acht Jahre alt.

«Wie weit gehen wir?»

Was ist passiert? Am Wochenende vor ihrem Tod hatte die Affendame weniger Appetit, war lustlos. Am Montag war Mawimbi noch schlapper. Man lockte den Affen für eine Untersuchung in einen nicht einsehbaren Bereich. Die Tierärzte des Tierspitals Zürich, mit denen der Zoo zusammenarbeitet, konnten nichts feststellen. Weder Blutbild noch Ultraschall waren auffällig.

Mittlerweile wurde ein zusätzlicher Experte herbeigezogen. Doch nichts nützte. Mawimbi erholte sich nicht. Das Team ging alle Möglichkeiten durch, stellte sich Fragen wie: Wie gross ist die Chance, dass Mawimbi wieder wird wie vorher? Und wie gross ist die Chance, dass sie mit einer Beeinträchtigung aufwacht und dann nicht mehr in der Gruppe akzeptiert wird? «Bei den Gorillas untereinander geht es viel um Aktion und Reaktion», sagt Marty, der zehn Jahre lang im Dschungel von Südostasien Affen studierte. Wenn sie nicht mehr artspezifisch reagieren kann, wird sie vielleicht ignoriert, oder die anderen Affen reagieren aggressiv. Hierarchien müssen eingehalten werden. Ein Gorilla mit einer Beeinträchtigung könnte in einer Gruppe nicht leben.

«Das war ein schwieriger Moment. Wir fragten uns: Wie weit gehen wir?» So eine Situation kann man nicht rein aus einer menschlichen Perspektive betrachten. Das Tier hätte für eine Behandlung längere Zeit von der Gruppe getrennt werden müssen. Wäre die Reintegration geglückt?

Früher interagierten Pfleger mehr mit Zootieren

Ein Affenweibchen liegt ganz nah an der Scheibe. Eine Hand hält sie ans Glas gedrückt. Eine Schar von Kindern und Erwachsenen steht auf der anderen Seite. Mit grossen Augen und Fotoapparat. Sie lachen, glucksen und klopfen an die Scheibe. Jetzt klopft auch Mary. Mary ist eine Handaufzucht, ihre Mutter hat sie verstossen, deswegen interagiert sie oft mit Menschen. Diese Affen, so Marty, müssen dann wieder lernen, Gorilla zu sein. Die Zoomitarbeiter greifen kaum mehr ein.

Im Gegensatz zu früher. Es gab Zeiten, da sassen Zoomitarbeiter in Käfigen, umarmten Affen und streichelten Tiger. Das ist vorbei, sagt Marty. Man geht davon weg, zieht sich als Mensch immer mehr zurück.

Bei Mawimbi bestand wenig Hoffnung, dass sie sich erholt. Sie wurde euthanasiert, wie das im Tierarztfachjargon heisst. Eingeschläfert mit einer Injektion. Die anderen Affen konnten sie meistens sehen, waren aber durch die Gitter getrennt. «Da müssen die Ärzte und Pfleger schützen. N’Gola verteidigt seine Weibchen.» Es sei wichtig, dass die Affen den Zustand ihres Gschpändli sehen, es einordnen können. An diesem Mittwoch gingen die Affen häufig hin und her. Zwischen der Besucher- und der Rückzugszone. Besucher fragten schon, wo denn das Männlein sei, N’Gola. Er sass immer wieder hinten bei Mawimbi. Marty: «Wir können natürlich nicht sagen, ob er sie nicht alleine lassen wollte oder ob er einfach da war, weil etwas los war.» Als Mawimbi starb, wimmerte der 150-Kilo-Koloss häufig. Dieses Wimmern sei spezifisch für N'Gola und könnte ein Zeichen für Trauer und Verlust sein.

Verabschiedung im Tierreich

In der Medienmitteilung heisst es: «Nach dem Tod Mawimbis erhielt die Gruppe Gelegenheit, sich von ihr zu verabschieden.» Marty sagt: «Verabschieden» sei vielleicht etwas vermenschlicht, aber es treffe es gut. Die Gruppe müsse verstehen, einordnen und akzeptieren. Verstehen will auch der Zoo. Mawimbi ist derzeit in der Pathologie des Tierspitals. Was war der Grund für ihr frühzeitiges Ableben? Fast ohne Vorzeichen, und so schnell. Corona fällt weg. «Wir haben sie gleich getestet», sagt Marty. Was passiert nachher mit dem Affen? Mawimbi wird entweder kremiert, für die Forschung verwendet oder kommt in ein Zoologisches Museum. Entschieden wird erst nach den Untersuchungen.

Ein Vater steht mit seiner Tochter vor dem Gorilla-Glas. «Ein Gorilla ist eben kürzlich gestorben», klärt der Vater sein Mädchen auf. «Was, wirklich? War er alt?», fragt die Kleine. «Nein. Man weiss nicht genau, woran.» Es gibt Leute, die kommen jeden Tag in den Zoo, kennen die Tiere. Kein Wunder, wenn etwa der Anführer schon 44 Jahre im Zoo lebt. Und die Gorillas, das fällt jedem Zoogänger auf, halten sich meistens drinnen auf. «Sie sind wirklich sehr gerne hier drin», sagt Marty, «obwohl sie natürlich rauskönnten.»

So schnell kein Gorilla-Baby

Die Gruppe wird erst mal zu fünft bleiben. Es ist nicht einfach, einen neuen Affen zu integrieren. «Gorillas leben in einem sehr speziellen Sozialsystem. Anders als Orang-Utans, die eher Einzelgänger sind», erklärt Marty. Es wird in nächster Zeit auch kein Gorilla-Baby geben. Um eine gesunde Population zu erhalten, wird die Zucht von Gorillas in einem europäischen Zuchtprogramm koordiniert. N’Gola hat schon sehr viele Nachkommen und seine Gene sind in den Zoos schon weit verbreitet. Weitere Jungtiere hätten es schwer einen geeigneten Platz zu finden.

Das Leben der fünf Affen ging nach dem Tod ihres Gschpändli schnell wie gewohnt weiter. In der Natur muss sich die Gruppe auch schnell wieder finden. Im Regenwald hat Marty viele ähnliche Situationen erlebt. «In unserer Gesellschaft sind wir oft weit weg vom Tod. Doch der Tod gehört zum Leben dazu. Auch im Zoo.»

Westliche Flachlandgorillas

In der Gattung der Gorillas unterscheidet man zwischen Östlichen und Westlichen Gorillas. Letztere sind etwas kleiner und schlanker, ihr Fell ist braun gefärbt. Eine der zwei Unterarten ist der Westliche Flachlandgorilla. Die Tiere leben in Haremsgruppen bestehend aus einem dominanten Silberrücken und mehreren Weibchen mit ihrem Nachwuchs. Ihr Verbreitungsgebiet: Gabun, Kamerun, Republik Kongo, Zentralafrikanische Republik und die angolische Exklave Cabinda. Westliche Gorillas stehen auf der Roten Liste und sind vom Aussterben bedroht. Die grösste Gefahr: Wilderei.

Enzo Franchini

In der Gattung der Gorillas unterscheidet man zwischen Östlichen und Westlichen Gorillas. Letztere sind etwas kleiner und schlanker, ihr Fell ist braun gefärbt. Eine der zwei Unterarten ist der Westliche Flachlandgorilla. Die Tiere leben in Haremsgruppen bestehend aus einem dominanten Silberrücken und mehreren Weibchen mit ihrem Nachwuchs. Ihr Verbreitungsgebiet: Gabun, Kamerun, Republik Kongo, Zentralafrikanische Republik und die angolische Exklave Cabinda. Westliche Gorillas stehen auf der Roten Liste und sind vom Aussterben bedroht. Die grösste Gefahr: Wilderei.


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