«Gerade war er noch hier. Ich habe nur ganz kurz meiner Frau eine Nachricht geschrieben. Und wie ich wieder vom Natel hochblicke, ist mein sechsjähriger Sohn Dominik verschwunden. Ich stehe auf der Australien-Anlage – umgeben von Emus und Kängurus. Doch Dominik kann ich nicht mehr sehen. Leichte Panik flammt in mir auf. Wo ist er nur? Hoffentlich ist ihm nichts passiert. Was tue ich nur?»
Diese Situation mag manchen Leserinnen und Lesern bekannt vorkommen. Wer Kinder hat, hat diese sicherlich auch schon einmal verloren. Diese Momente sind immer schwierig – für die (Gross-)Eltern, aber auch für die Orte, an denen es passiert. Bei uns im Zoo vermissen Eltern regelmässig Kinder. Wir führen zwar nicht Buch, aber an einem gut besuchten Wochenende geht wahrscheinlich mindestens ein Kind verloren – und wird aber auch wieder gefunden. Dafür sorgt unter anderem das gut funktionierende interne Notfallsystem des Zoos. So auch an diesem Ostermontag.
Dominiks Vater verlor seinen Sohn aus den Augen. Nachdem er ihn einige Minuten lang erfolglos gesucht hatte, tat er genau das Richtige. Er suchte sich Hilfe und sprach eine Zoo-Mitarbeiterin an einem unserer Take-away-Stände an. Die Mitarbeiterin nahm alle wichtigen Daten auf: Name, Alter, Frisur, Kleidung (weisse Turnschuhe, graue Jeans, Barcelona-Trikot mit Nr. 10 «Messi») sowie die Natelnummer des Vaters. Diese Daten reichte sie an den sogenannten Tageschef weiter. Das ist ein Kader- oder ein Geschäftsleitungsmitglied, das an diesem Tag Dienst hat. Am Ostermontag war ich das. Als Tageschef habe ich die Informationen sodann in ein System eingegeben, das automatisch eine Meldung auf die Telefone aller Mitarbeitenden weiterleitet. So wissen alle – Gärtner, Reinigungspersonal, Kellner oder Tierpflegerin –, nach welchem Kind sie Ausschau halten müssen. Gleichzeitig habe ich auch die Kasse informiert. Die Mitarbeitenden überwachen dann die Ausgänge, sodass das gesuchte Kind – in diesem Fall Dominik – nicht unbemerkt den Zoo verlassen kann.
Am Ostermontag ging alles sehr schnell, und nach wenigen Minuten kam der Anruf, dass Dominik gefunden war. Allerdings am anderen Ende des Zoos – vor dem Masoala-Regenwald. Ganz offensichtlich war Dominik gut zu Fuss und wollte sich auch den Rest des Zoos angucken.
Nicht immer geht das Wiederfinden so schnell. Einmal machte sich ein Mädchen einen Spass daraus, sich gezielt vor den suchenden Eltern und Zoo-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern zu verstecken. Es dauerte Stunden, bis wir sie schliesslich zufällig hinter einem Busch fanden – voller Stolz, wie lange sie das Versteckspiel durchgehalten hatte ...
Ob nach Minuten oder Stunden – am Ende zählt, was meine Grossmutter mir immer gesagt hat: «In einem guten Haushalt geht nichts verloren.» Und ganz besonders nicht im Zoo.