Die Einfahrt zur Villa am Zürichberg ist wohl die einzige an der ganzen Strasse, die nicht blitzblank gepützelt ist: Hier singt Dieter Meier (75), wenn er in Zürich ist. Die Treppe, die in den Garten hinunter führt, ist von Moos überwachsen, ein Rudergerät steht verloren da, voller Spinnweben, unter den terracottafarbenen Bögen der Terrasse fühlt man sich wie auf einer Hacienda. Im Keller steht seit Jahrzehnten die Zauberkammer von Yello, das Studio von Boris Blank (68), hier hat der Mastermind des Erfolgsduos den Sound fürs neuste Album «Point» ausgetüftelt. Die beiden Herren sind ebenso cool wie charmant. Auf ihren Wunsch haben wir sie getrennt voneinander interviewt – mit den gleichen Fragen.
Sie spielen über 40 Jahre zusammen, was ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?
Boris Blank: Humor und unsere Unterschiedlichkeit, ich bin ortsgebunden, Dieter reist viel. Ich freue mich, wenn er zurückkommt, und ich freue mich, wenn er wieder geht. Dann kann ich für mich arbeiten, es ist wichtig, dass wir nicht ständig zusammensitzen. Bei uns gibts keine Demokratie, sondern eine klare Struktur: Ich mache die Songs, dafür verbringe ich etwa 98 Prozent im Studio. Wenn es so weit ist, kommt Dieter und hechtet sich in diese Klangwelt. Darin findet er wie ein Schauspieler sehr schnell seine Rolle.
Dieter Meier: Das wir so unterschiedlich sind. Boris ist der konzentrierte Arbeiter, und ich bin jemand, der spontan etwas hineinwirft. Ich verbringe maximal fünf Prozent der Zeit im Studio. Wenn ich nach ein oder zwei Jahren komme und in seine Klangbilder eintauche, klingt das wie Filmmusik zu einem nicht existierenden Film. Da erfinde ich eine Geschichte, ein paar dadaistische Sätze wie bei «Waba Duba» und führe meinen Tanz auf. Texte fliegen mir schnell zu, entschwinden aber genauso rasch, und ich vergesse sie. Darum ist unsere Musik für mich immer wieder neu.
Gehen Sie sich auch mal auf die Nerven?
Blank: Nicht oft, dafür sind beide fröhlich genug. Und mittlerweile kennen wir uns auch viel zu gut dafür. Natürlich gibt es Diskussionen über unsere Musik, aber konstruktive.
Meier: Recht selten. Nur schon weil wir sehr gut befreundet sind. Und wir haben beide viel Selbstironie und Witz, wir sind eine perfekte Paarung. Im Privatleben sehen wir uns oft, in der Musik sind wir wie Fernschachspieler, er macht sein Ding und ich meine Züge, so spielen wir uns gegenseitig zu.
Was weiss man nicht über Sie?
Meier: Boris ist ein wunderbarer Geschichtenerzähler, obwohl er vor der Kamera manchmal fast schüchtern ist.
Blank: Dass wir die gleiche Schuhgrösse haben. Früher habe ich manchmal auch eins von Dieters Jacketts ausgetragen.
Haben Sie noch Geheimnisse voreinander?
Blank: Nein, wir sind gegenseitig sehr offen und sprechen durchaus über Dinge emotionaler Natur.
Meier: Wenn Boris Geheimnisse hätte, wie sollte ich das wissen? Aber bedeutsame bestimmt nicht, wir kennen uns besser als ein altes Ehepaar. Wir haben schon so vieles gemeinsam erlebt, die Welt bereist, die gemeinsame Tournee, da kommt man sich unglaublich nahe.
Wer von Ihnen ist eitler?
Blank: Das sind wir beide ein Stück weit.
Meier: Ich arbeite sehr daran, nicht eitel zu erscheinen, aber auch das ist eine Form der Eitelkeit.
Von Altersweisheit noch keine Spur?
Blank: Man wird schon milder, einsichtiger und ruhiger. Man ärgert sich nicht mehr so leicht und überlegt zweimal, bevor man etwas sagt. Und man versucht, die gemachten Erfahrungen der Jahre weiterzugeben, vielleicht kann man das als Weisheit bezeichnen.
Meier: Ich habe das Gefühl, ich bin noch immer der gleiche Kindskopf wie als 13-Jähriger, ich bin extrem verspielt. Dazu gibt es einen wunderbaren Satz in der Bibel: «Werdet wie die Kinder.» Das heisst nicht, dass man ein Kind bleiben soll, dann gibt es ja keine Fortschritte. Aber es geht darum, dass wir uns dem Kind, das uns innewohnt, mehr und mehr annähern.
Wie ernst nehmen Sie sich selber?
Blank: Ich nehme mich nicht ernst, ich glaube, Dieter tut das auch nicht. Dieses Ernstnehmen hat etwas Unheimliches, ja Unangenehmes für mich. Ich brauche diese kindliche Freude am Spiel, um etwas entstehen zu lassen, ohne dass mir jemand dreinredet. Dann bin ich unbefangen und frei von Strukturen wie Harmonielehren, auf diese Weise baue ich meine Klötze und Geräusche zusammen.
Meier: Nur wer über sich selber lachen kann, hat die Fähigkeit, sich zu beobachten. Jeder tut Dinge, die er bereut oder blöd waren. Das gehört zur dauerhaften Erforschung des eigenen Daseins.
Apropos blöde Dinge: Sie haben die 68er erlebt, den Beginn des Techno, wie schaut es mit Drogenerfahrungen aus?
Blank: Ich habe alle Farben gesehen im Sinne von psychedelischen Drogen wie LSD und was es zu der Zeit alles gab. Es war die Pionierzeit dafür, und man hat das probiert. Bereut habe ich das nie, aber es spielte keine Rolle für meine Musik oder Kreativität – das hätte nicht funktioniert.
Meier: Drogen haben mich nie interessiert. Ich habe eine Weile in New York gelebt, da wurde munter gekokst, da nimmt man auch mal eine Linie. Und es gab starken Haschisch, aber das Einzige, was das bei mir ausgelöst hat, war eine unbändige Lust auf Mayonnaise-Brot. Ich habe keine Sucht-Disposition, als junger Pokerspieler habe ich manchmal ein ganzes Päckli Zigaretten in einer Nacht geraucht, und dann drei Wochen nichts mehr. Süchtig bin ich auf gute Weine, wenn ich abends zum Essen eine Flasche aufmache, klingt das wie Gesang.
Viele Bands brauchen das Publikum, bei Ihnen ist es das Gegenteil, warum?
Blank: Hier drinnen im Studio brauche ich die Abgeschiedenheit wie ein Eremit in Klausur. Die Erfahrung mit dem Publikum auf Tournee war ein wunderbares Experiment – zu erleben, wie das Innere, das hier entsteht, nach aussen wirkt. Wenn fünf Bläser live «The Race» spielen, das war echt überwältigend.
Meier: Für Boris ist ein Live-Auftritt mit der ganzen Technik sehr komplex. Und ich muss mit dem Gesang sehr genau sein, und es bleibt kein Platz für Improvisation. Aber zu spüren, wenn das Publikum mit dir geht, das ist wie ein griechischer Chor, der dir antwortet, ein unvergleichliches Erlebnis.
Wie erleben Sie bislang die Corona-Zeit?
Blank: Für mich war das eigentlich keine aussergewöhnliche Zeit, weil ich sowieso ein Eigenbrötler bin. Das Einzige, was mich gestört hat, ist, dass plötzlich so viel Leute im Wald sind, wenn ich mit meinem Hund spazieren gehe. Diese Ruhe während dem Lockdown habe ich sogar genossen, keine Flugzeuge am Himmel, kaum Autos auf der Strasse, die ganze Hektik und der Konsumzwang waren weg, es fühlte sich an wie ein Schleier über der ganzen Stadt.
Meier: Man ist viel weniger in Restaurants gegangen, mir hat es Freude gemacht, öfter zu Kochen. Da bin ich sehr unsystematisch, bei mir schmeckt nichts zwei Mal gleich. Wichtig ist mir, das Beste aus einer Kartoffel, einem Rüebli und einem Stück Fleisch zu holen. Wir essen nur ein- oder zweimal pro Woche Fleisch, es kommt von unserer Farm, wo die Rinder draussen auf der Weide sind. Sonst finde ich die Haltung von Tieren problematisch, insbesondere von Schweinen, es ist unglaublich, was denen angetan wird.
«Point» ist euer 14. Album, wann erscheint das letzte?
Blank: Das ist, als ob man mich fragt, wann ich sterbe. Ich werde, wie Dieter jeweils sagt, noch aus dem Klang der Sargnägel etwas sampeln und einen Song machen. Musik ist alles für mich, etwas anderes kann ich nicht.
Meier: Das hängt davon ab, wie lange wir leben. Für Boris ist Musik keine Frage von Auftritt und Verdienst, er lebt in seiner Musik, es ist wie ein Sauerstoffzelt, in dem er atmet und sich finden und erfinden kann. Das war schon so, als er noch als Lastwagenchauffeur gearbeitet hat. Um Musik machen zu können, machte er morgens Frühschicht und ging nachmittags um drei in sein Studio und tüftelte bis Mitternacht. Das wird nie aufhören. Undenkbar, dass Boris, solange er lebt, keine Musik mehr machen wird.
Der eine ist das extrovertierte Multitalent, der andere der stille Tüftler: Dieter Meier ist der Sohn eines Bankdirektors, brach sein Jus-Studium ab, um sich dem Pokerspiel und der Kunst zu widmen. Boris Blanks Vater war Fabrikarbeiter, Blank arbeitete als Lastwagenfahrer, um seine Kunst zu finanzieren. Das ungleiche Duo lernte sich in einer Wohngemeinschaft kennen und harmonierte sofort. Die Single «Bostich» wurde 1981 in New Yorker Clubs zum Hit, den grossen Durchbruch schaffte das Erfolgsduo 1985 mit dem Album «Stella», auf MTV wurden ihre Videoclips zu «The Race» oder «Oh Yeah» rauf und runter gespielt. Yello gelten als Wegbereiter der elektronischen Musik, ihr 14. Album «Point» erscheint am 28. August.
Der eine ist das extrovertierte Multitalent, der andere der stille Tüftler: Dieter Meier ist der Sohn eines Bankdirektors, brach sein Jus-Studium ab, um sich dem Pokerspiel und der Kunst zu widmen. Boris Blanks Vater war Fabrikarbeiter, Blank arbeitete als Lastwagenfahrer, um seine Kunst zu finanzieren. Das ungleiche Duo lernte sich in einer Wohngemeinschaft kennen und harmonierte sofort. Die Single «Bostich» wurde 1981 in New Yorker Clubs zum Hit, den grossen Durchbruch schaffte das Erfolgsduo 1985 mit dem Album «Stella», auf MTV wurden ihre Videoclips zu «The Race» oder «Oh Yeah» rauf und runter gespielt. Yello gelten als Wegbereiter der elektronischen Musik, ihr 14. Album «Point» erscheint am 28. August.