Gibt es eigentlich in diesen verrückten, unsicheren Zeiten einen positiven Aspekt für Sie als Künstler?
Nadeschkin: Ja. Humor ist derzeit sehr gefragt. Die Menschen wollen lachen.
Wie merken Sie das?
Nadeschkin: Es gibt Menschen, die bei unseren Auftritten weinen. Vor Freude. Mir ging es auch so, als ich nach dem Lockdown andere Aufführungen besucht habe. Erst da merkte ich, wie sehr mir das alles gefehlt hatte.
Ursus: Wenn wir im Knie am Anfang unserer Show sagen: «Danke für euren Applaus, das haben wir nun fünf Monate nicht mehr gehört» …
Nadeschkin: … dann hören die Leute nicht mehr auf zu klatschen.
Lange war unklar, ob diese Knie-Tour überhaupt stattfindet.
Nadeschkin: Ja, nun findet sie statt! Aber als mich die Post fragte, wie lange ich meine Briefe und Pakete umleiten wolle, sagte ich: «Fragen Sie den Bundesrat!»
Ursus: Ich sag meinen Freunden: «Kommt so bald wie möglich, niemand weiss, wie lange die Tour geht.» Hoffentlich lange! Aber ich will nicht wissen, was geschieht, wenn nur eine Person in diesem 250-Leute-Knie-Dorf krank wird!
Nadeschkin: Über solche Dinge redet man im Zirkus nicht.
Wieso nicht?
Nadeschkin: Im Zirkus redet man nicht über Dinge, die eventuell nicht klappen könnten. The show must go on. Meine Physiotherapeutin hat vorgestern einen Artisten behandelt und ihm gesagt: «Wären Sie Sportler, würden Sie jetzt zu Hause pausieren.» Der Artist aber steht Minuten später wieder in der Manege.
Ist es für Sie ein Glücksfall, dass Sie in diesem Corona-Jahr, in dem so viele Vorstellungen gestrichen werden mussten, mit dem Circus Knie auf Tour sind?
Ursus: Organisatorisch macht es natürlich vieles einfacher. Bei einer Tour im Duo hätten wir an mindestens 50 Orten absagen müssen.
Nadeschkin: Eine normale Tour mit eigenem Bühnenprogramm kann man verschieben. Unsere Nummern, die wir in diesem Jahr für den Circus Knie geschrieben haben, nicht.
Für viele Kulturschaffende geht es derzeit ums finanzielle Überleben …
Ursus: In der Kulturszene sagt man gern: Es geht allen gleich. Aber das stimmt eben nicht. Einigen geht es nicht gut, anderen schlecht, vielen sehr schlecht. Wieder andere waren vielleicht am Erarbeiten eines neuen Programms ohne gleichzeitige Auftritte, und für die war dann die Zeit im Lockdown gar nicht so anders als sonst.
Nadeschkin: Man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Ob Restaurationsbetriebe 50 Prozent Umsatzeinbussen haben oder eine Firma für Veranstaltungstechnik seit Monaten null Einkommen hat, macht einen grossen Unterschied!
Sie finden, die Kultur wird von der Politik schlechter behandelt als andere Branchen?
Ursus: Grundsätzlich funktioniert unser System in der Schweiz, und das ist ein grosses Privileg. Ich habe zum Beispiel Erwerbsersatz für Selbständigerwerbende bekommen. Da dachte ich: Aha, dafür habe ich also immer Steuern bezahlt. Das ist grossartig.
Nadeschkin: Andererseits sind die 280 Millionen Bundesgelder für Kulturschaffende noch immer erst zu einem Drittel bei den Künstlern angekommen. Jede mittelgrosse Firma hat nach zwei Monaten Liquiditätsprobleme. Es ist erstaunlich, wie lange Künstler auf Hilfe warten dürfen. Aber auch das passiert ja nicht willentlich. Momentan sind alle am Anschlag, nicht nur diejenigen, die nichts mehr haben, sondern auch die, die verteilen dürfen.
Zurück zum Zirkus. Sie treten mit einer Kuh auf. Wie ist das?
Nadeschkin: Gefährlich. Eine Kuh «stürchlet» oft. Ich trage jetzt Stiefel mit Stahlkappen, denn man weiss nie, wo sie hintritt. Aber es macht Spass. Kühe sind gescheit. Sie machen nichts, was sie nicht wollen.
Wieso eigentlich eine Kuh?
Nadeschkin: Wir wollten erst Papageien. Aber die hatten sie schon letztes Jahr.
Ursus: Die Auswahl an Tieren, mit denen man arbeiten darf, ist nicht mehr besonders gross.
Das ist ein frappanter Unterschied zu Ihrer letzten Tour mit Knie vor 18 Jahren. Es gibt bei Knie keine Elefanten und keine Raubtiere mehr.
Nadeschkin: Ja, ursprünglich wollte ich mit einem Ameisenbären aus Berlin, namens Elvis, in der Manege auftreten, das wäre wirklich sehr neu gewesen!
Sie machen Witze …
Nadeschkin: Nein, Elvis kann sehr viel, sogar auf den Hinterbeinen laufen und Basketball spielen! Aber wir wollten das Risiko nicht eingehen, weil sonst alle nur noch darüber geredet hätten, ob ein Ameisenbär tatsächlich Basketball spielen darf.
Finden Sie es denn falsch, dass keine exotischen Tiere mehr im Zirkus auftreten?
Ursus: Das ist der Lauf der Zeit. Die Knies machen das einzig Richtige.
Nadeschkin: Dass die Elefanten nicht mehr dabei sind, ist schade.
Ursus: Sie haben zu Knie gehört wie die Pferde. Den Tigern trauere ich allerdings nicht nach.
Sie haben bis zu elf Auftritte pro Woche. Wie geht das körperlich?
Ursus: Das sind wir gerade am Herausfinden.
Sie sind ja doch 18 Jahre älter als bei der letzten Tour.
Ursus: Ja. Wir tragen uns Sorge. Nadja hat zum Beispiel ihre Physiotherapeutin dabei, deren Sohn dadurch nun auch in der Manege auftreten kann.
Er spielt gemeinsam mit Nadeschkins Sohn Sid (10) die Mini-Version von Ihnen beiden. Wie ist es, mit Ihrem Sohn unterwegs zu sein?
Nadeschkin: Enorm lässig. Gestern wachte er auf und fragte: «Gell, wir haben keine Show heute? Schade.»
Wird er in Ihre Fussstapfen treten?
Nadeschkin: Puh, nein, das kann man noch überhaupt nicht sagen. Aber er merkt jetzt, dass das, was die Mama macht, tatsächlich ein Beruf ist. Das finde ich schön.
Wir leben in politisch aufgeheizten Zeiten. Ist sanfter Humor, wie Sie ihn pflegen, überhaupt noch zeitgemäss?
Ursus: Politik auf der Bühne zu verarbeiten, hat uns nie interessiert. Es macht mir keinen Spass, mich über Politiker lustig zu machen. Ich bin davon überzeugt, dass die da oben einen enorm schwierigen Job ausüben. Ich bin froh, dass die das tun und nicht ich. Von aussen zu stänkern, ist mir zu einfach.
Nadeschkin: Wir lieben komische Situationen und verkehrtes Denken. Wir mögen keine Schadenfreude und keinen Humor auf Kosten anderer.
Es gibt das Klischee, dass hinter jedem Clown ein trauriger Mensch steckt. Ist das so?
Ursus: Ich hoffe doch sehr, dass hinter jedem künstlerisch schaffenden Menschen eine nachdenkliche Person steckt. Unsere Arbeit ist für mich eine Möglichkeit, die Welt auf den Kopf zu stellen, die Perspektive zu wechseln.
Nadeschkin: Wir Künstler müssen häufig den Hintereingang nehmen und leben in einer Welt, in der oft «Zutritt verboten» steht. Wir dürfen über Verbote und Gesetzmässigkeiten immer neu nachdenken. Wenn jemand sagt: «Hier geht es nicht weiter», finden wir einen Weg wie es eben doch weitergeht.
Sie sind seit 33 Jahren gemeinsam auf der Bühne. Wie haben Sie es eigentlich so lange miteinander ausgehalten?
Ursus: Das finde ich auch immer wieder erstaunlich. Wir kennen kaum ein anderes Duo, das so lange zusammengearbeitet hat. Ausser Simon & Garfunkel. Bei uns geht das wahrscheinlich nur, weil wir nie daran glauben, dass es noch weitergeht. Wir sagen immer: Das machen wir jetzt noch, und dann schauen wir.
Nadeschkin: Was bei uns beiden nie funktioniert: gemeinsame Freizeit zu verbringen. Ideen halten sich nicht an Arbeits- oder Freizeiten, und das ist zu mühsam für unsere Partner.
Wie viel steckt von Ihren Bühnenfiguren in Ihnen?
Nadeschkin: Eine Clownfigur ist immer eine Steigerung deiner Selbst oder aber das pure Gegenteil. Nadeschkin hat extrem viel Mut und prescht mitten hinein. So bin ich selber eigentlich nicht.
Ist die Tatsache, dass Ihre Figuren so klar definiert sind, manchmal auch einengend?
Ursus: Nein, überhaupt nicht. Jedes neue Bühnenprogramm ist anders als das Vorangegangene. Wir wollen nicht in eine Schublade passen. Das Ziel ist, dass die Leute gespannt sein dürfen, wie wir sie dieses Mal zum Lachen bringen.
Sind Sie deshalb auch immer wieder im englischen Sprachraum unterwegs?
Nadeschkin: Das machen wir schon seit den 90er-Jahren. Sich laufend zu erneuern, ist etwas vom Schwierigsten in der Kunst. Also setzen wir uns ins «Neuland», da wo anders gesprochen wird. Du bist wieder bei null und musst neues Denken lernen.
Wie geht es nach Knie weiter?
Ursus: Im letzten halben Jahr konnte man nicht wirklich planen, alle Veranstalter waren paralysiert. Wir haben einen Terminplan für 2021, aber der ist bei weitem nicht so dicht wie normalerweise. Keiner weiss, wie es weitergeht ... aber das sind wir uns ja gewöhnt.
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