Ursus & Nadeschkin ganz persönlich
«Trennung ist bei uns jedes Jahr im Raum»

Auf der Bühne wirkt alles federleicht, was sie in perfekter Synchronität und dadaistischer Wortakrobatik zeigen. Hinter der Maskerade stehen zwei höchst sensible und reflektierte Menschen.
Publiziert: 09.01.2020 um 15:38 Uhr
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Aktualisiert: 22.10.2020 um 15:30 Uhr
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Ursus & Nadeschkin mit schottischen Hochlandrindern in Edinburgh.
Foto: Urs Wehrli
Flavia Schlittler

Nadeschkin hat ihre typisch blonde Dreadlockperücke abgelegt, Ursus seinen royalblauen Anzug gegen Blue Jeans und ein T-Shirt getauscht. Ungeschminkt und persönlich zeigen sich die Schweizer Stars der Clownerie und lassen hinter ihre Maske blicken. Gemeinsam gehen Nadja Sieger (51) und Urs Wehrli (50), wie das Bühnenpaar bürgerlich heisst, ins gemeinsame 33. Jahr. Mit ihrer unverkennbaren Art – mal in dadaistischer Sprache, mal mit klaren Worten – haben sie sich eine preisgekrönte Einmaligkeit erschaffen, die die Zuschauer zum Staunen und Lachen bringt.

Wenn Nadja zu Nadeschkin wird, lässt sie ihre privates Ich in der Garderobe. Selbst wünscht sie sich, «mehr von Nadeschkin zu haben. Dieses Unreflektierte, immer fröhliche und komplett Angstfreie, davon hätte ich manchmal auch gerne mehr», sagt sie. Nicht immer sei es für sie einfach gewesen. Betreut von einer Tagesmutter, ohne Umarmungen ihrer Mama, die mit 48 Jahren an Frühalzheimer erkrankte. Ein Kind, das immer sein wollte wie die anderen und es doch nie war. «Früher hätte ich sicher Ritalin bekommen und wäre bestimmt kein Clown geworden», erzählt sie in der Dokumentation «Aufhören wäre einfacher» von Regisseur Stefan Jäger (49, «Der Grosse Sommer»), der das Duo bis letzten Oktober während eineinhalb Jahren mit der Filmkamera begleitete.

Er nennt sie singender Nudelauflauf

Ursus & Nadeschkin leben in verschiedenen Kosmen, die sie humorvoll miteinander verweben und ergänzen. Sie, die er liebevoll «singender Nudelauflauf nennt», er, der Sinnsuchende. Und immer begleiten sie die gleichen Fragen des Publikums. Sind sie auch privat ein Paar? Und sind Nadeschkins Haare echt?

Das waren sie bis 2006. «Ich brauchte sie für meine Rolle. Es war ein Statement, da im Fernsehen alle so herausgepützelt sind», sagt sie, er kommentiert dazu: «Und dann kommt sie mit dem Meersäuli auf dem Kopf.» Sie entschied dann zum radikalen Schnitt. «Als ich in den Spiegel schaute, bin ich erschrocken, ich sah aus wie meine kranke Mutter.» Ihre Haare sind heute dunkler und länger als nach dem Schnitt, den sie für sich brauchte.

Bis August 2018 nahm sich das Clown-Paar eine zweijährige Bühnenauszeit. Ursus ging mit Gattin Brigitta Schrepfer (51) und Sohn Jodok (14) auf Weltreise, Nadeschkin hatte zu kämpfen. «Ich hatte eine Lebenskrise. Konnte nicht mehr schlafen, habe abgenommen, und meine Blutwerte waren schlecht.» Man habe sie in die Burnout-Ecke gestellt, was aber nicht zugetroffen habe. «Ich war voller Adrenalin und dies ging einfach nicht runter.» Ihre beste Therapie sei gewesen, wieder auf der Bühne zu stehen.

Das Bühnenoutfit muss Nadeschkin mit dem Föhn trocknen

Während eines Monats trat das Clown-Duo am Fringe Festival im schottischen Edinburgh auf. Vorwiegend vor einem Publikum, das von ihnen noch nie etwas gehört hatte. So hiess es während Tagen, Flyers zu verteilen und abends auch schon mal vor sieben Leuten zu spielen, die nicht einmal applaudierten. «Auf der Toilette hats mehr Leute», sagt sie im Dokfilm ironisch.

In kargen Garderoben ziehen sie sich um, und in den Backstagebereich regnets rein, so dass Nadeschkin ihr Bühnenoutfit mit dem Föhn trocknen muss. Doch spielten sie auch in vollen Sälen mit 350 Leuten. Diese Ungewissheit sei es, die es spannend macht, aber auch an den Nerven zerrt. «Es muss Reibung geben und schwierig werden, wir müssen an die Grenzen gehen», sagt er.

Auch bei neuen Nummern, die sie seit Anbeginn mit Co-Autor Tom Ryser (51) erarbeiten, ist Reibung ein wichtiger Begleiter im kreativen Prozess. Zu dritt wurden sie 2008 mit dem Hans Reinhart-Ring ausgezeichnet. «Urs und ich haben immer davon gelebt, sehr unterschiedlich zu sein, sagt sie, er ergänzt: «Den ersten Konflikt haben wir nach zwei Stunden. Trennung ist bei uns jedes Jahr im Raum.» Doch – und das ist beiden wichtig – «wir schliessen jeden Abend Frieden, egal, was ist», so die Mutter des achtjährigen Sid.

Er sorgte mit eigenen Projekten für Aufsehen

Ursus, den Nadeschkin als «Meister des Schlussmachens bezeichnet», der es dann doch nicht macht, hat sich im Glarnerland eine Oase geschaffen, in der er eigene Projekte entwickelt. Wie «Kunst aufräumen», womit er 2002 für Aufsehen sorgte. Reproduktionen bekannter Bilder zerschnitt er und ordnete sie geometrisch zu zusammen. Die drei Bücher dazu haben sich mittlerweile mehr als eine Million Mal verkauft.

Und um die immer wieder gestellte Frage zu beantworten, ob Ursus & Nadeschkin auch privat ein Paar sind: Sie sind es nur auf der Bühne.

Der Dok «Ursus & Nadeschkin – Aufhören wäre einfach» läuft in der SRF-Mediathek. Ab dem 19. März 2020 touren sie zum zweiten Mal nach 2002 mit dem National-Circus Knie.

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