«Heimlich esse ich gerne Kuchen»
0:52
Blick bringt Ostertag Kuchen:«Heimlich esse ich ihn gerne»

«Übers Ziel hinausgeschossen»
Ernst Ostertag wird 95 und rechnet mit Woke-Bewegung ab

Der Schwulenrechte-Vorkämpfer Ernst Ostertag wurde mit seiner Liebesgeschichte im Film «Der Kreis» international bekannt. Zum 95. Geburtstag schaut er besorgt auf die aktuellsten Ereignisse. Und kritisiert die Woke-Bewegung.
Publiziert: 12:32 Uhr
1/12
Ernst Ostertag feiert am 21. Januar seinen 95. Geburtstag. Blick überraschte den Schwulenrechte-Vorkämpfer mit einer Regenbogentorte.
Foto: Philippe Rossier

Auf einen Blick

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.

«Ein Paar seit 43 Jahren, rechtlos»: Mit einem Transparent mit dieser Aufschrift besuchten Ernst Ostertag (94) und sein Partner Röbi Rapp (1930–2018) im Jahr 1999 eine Demo für mehr Rechte für Homosexuelle. Vier Jahre später liessen die beiden als erstes Paar im Kanton Zürich ihre Partnerschaft eintragen. 2014 wurde ihre Liebesgeschichte mit dem Film «Der Kreis» international bekannt. 

Am Dienstag wird Ernst Ostertag 95 Jahre alt. Blick überrascht den Schwulenrechtevorkämpfer mit einer Regenbogentorte. «Oha! So was habe ich noch nie gesehen, vielen Dank», sagt er strahlend. Im Gespräch über die Rechtsrutsche im Ausland und die Zukunft wird er aber ernst. 

Blick: Sie werden am Dienstag 95 Jahre alt. Ein schönes Alter! Wie gehts Ihnen aktuell?
Ernst Ostertag:
Mir geht es sehr gut. Ich bin manchmal selbst erstaunt. Natürlich habe ich immer wieder Schmerzen, aber das kann man ignorieren, solange der Kopf gut ist. 

Was ist Ihr Geheimnis für so ein langes Leben?
Das gibt es nicht. Das Einzige, was man sagen könnte, sind die Gene. Schon meine Grosseltern wurden sehr alt, und meine Mutter war 99, als sie starb. Aber fix ist das auch nicht. Vielleicht spielt auch die Einstellung zu Leben und Tod eine Rolle.

Wie meinen Sie das?
Der Tod gehört zum Leben, das ist die Kehrseite der Medaille. Wenn man sich früh damit befasst, geht man befreiter durchs Leben.

Ihr Partner Röbi Rapp starb vor sechseinhalb Jahren. Wie gehen Sie heute mit seinem Tod um?
Es ist nicht mehr so, dass mir gleich die Tränen ins Gesicht steigen. Man gewöhnt sich an die Situation. Aber ich fühle mich noch immer irgendwie hälftig. Erinnerungen an die gemeinsame Zeit haben einen bitteren Beigeschmack bekommen, weil ich weiss: Damals waren wir noch zu zweit. Aber für mich ist es ein unglaubliches Geschenk, das ich heute mit Giovanni Liebe erfahren darf. Mit ihm führten Röbi und ich 15 Jahre eine Partnerschaft zu dritt, seit seinem Tod sind wir zu zweit.

Sie sind christlich aufgewachsen, wandten sich aber dem Buddhismus zu. Wie kam das?
Ich merkte schon als kleiner Junge, dass ich die christlichen Geschichten nicht glauben kann. Ich fand sie zwar wunderschön, aber sie waren für mich wie Märchen. 1942 las ich in der Zeitung einen Bericht über den Hungerstreik von Mahatma Gandhi, der sich gegen die Briten auflehnte. Erst war ich sauer, dass sich einer gegen die Briten, die gegen die Nazis im Krieg waren, auflehnte. Danach wurde mir bewusst, dass er ohne Waffen kämpfte. Wie kann er das? Ich las Bücher über Gandhi, kam so als Zwölfjähriger erst zum Hinduismus und später zum Buddhismus. 

Das heisst, Sie meditieren regelmässig?
Ja, es gehört zu meinem «Morgenritual», obwohl ich das eigentlich gar nicht mehr tun müsste. Ich habe 60 Jahre lang intensiv meditiert und habe Erfahrungen gemacht, die das ganze Sein veränderten und innere Freiheit entstehen liessen. Meditatives Bewusstsein ist jetzt dauernd da und wirkt lockernd. Ich bin frei von Angst, auch vor dem Tod.

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Es ist mir eigentlich egal, was nachher kommt. Bislang kam noch niemand zurück und konnte etwas darüber sagen. Mir ist einfach wichtig, dass ich ohne schlechtes Gewissen sterbe. 

Kommen wir zur Politik: Aktuell gibt es einen Rechts-Trend in vielen Ländern. Wie beobachten Sie das?
Die Geschichte geht immer in Wellen. Und das Pendel ist in den letzten Jahren stark auf die Seite für die Gleichstellung für Homosexuelle ausgeschlagen, jetzt schlägt es auf die andere. Und dann wechselt es wieder. Das sieht man aktuell in Polen. Und das zeigt mir: Wenn eine Demokratie diese andersdenkenden Menschen mal an die Macht lässt, erlebt das Volk, dass auch sie letztlich mit demselben Wasser kochen, dass auch ihre Lösungen sich abnützen und Fehler haben. Sie verbreiten oft die Illusion, früher sei alles besser gewesen. Früher war es kein bisschen besser.

Persönlich: Ernst Ostertag

Ernst Ostertag kam 1930 in Zürich zur Welt und wuchs in Höngg auf. Mit seinem Partner Röbi Rapp hat er sich als Teil der Schwulenorganisation «Der Kreis» und mit seiner Arbeit für mehr Gleichstellung für Homosexuelle schweizweit einen Namen gemacht. Die Liebesgeschichte wurde im 2014 erschienenen Film «Der Kreis» verfilmt. Ostertag arbeitete 40 Jahre im Schuldienst mit lernbehinderten Kindern im Alter von 9 bis 13 Jahren und ist heute als Autor der Website Schwulengeschichte.ch noch immer aktiv.

Ernst Ostertag ist noch heute als Autor für die Website Schwulengeschichte.ch aktiv.
Philippe Rossier

Ernst Ostertag kam 1930 in Zürich zur Welt und wuchs in Höngg auf. Mit seinem Partner Röbi Rapp hat er sich als Teil der Schwulenorganisation «Der Kreis» und mit seiner Arbeit für mehr Gleichstellung für Homosexuelle schweizweit einen Namen gemacht. Die Liebesgeschichte wurde im 2014 erschienenen Film «Der Kreis» verfilmt. Ostertag arbeitete 40 Jahre im Schuldienst mit lernbehinderten Kindern im Alter von 9 bis 13 Jahren und ist heute als Autor der Website Schwulengeschichte.ch noch immer aktiv.

Wie besorgt sind Sie, dass die erreichten Rechte der LGBTQ-Gemeinde wieder beschnitten werden?
Dass es einen Rückschlag gibt, war mit der Woke-Bewegung abzusehen. Diese ist total übers Ziel hinausgeschossen mit ihren Forderungen, wie man neu zu sprechen habe, und mit der arroganten Haltung, dass jeder, der das nicht mache, gecancelt werde. Dagegen habe ich mich immer gewehrt, denn es ist unmenschlich. Jetzt passiert beispielsweise in Amerika das, was wir nicht wollten: In Firmen wird nicht «nur» das Gendern, sondern gleich die ganze Diversity-Strategie gestrichen und damit auch Programme für Mitarbeiter, die gleichgeschlechtlich lieben.

Wie soll man mit non-binären Menschen umgehen?
Klar gibt es diese Menschen, sie sind Teil der Natur, die man nur anerkennen kann. Aber mit ihnen Druck-Politik zu machen, schadet dieser Minderheit und am Schluss uns allen.

Wie soll die non-binäre und trans Gemeinde für Ihre Rechte kämpfen? Die Sprache ist Ihnen ja sehr wichtig.
Wichtig ist, dass Menschen mitgemeint sind. Eine Anrede wie «Liebe Damen und Herren und alle dazwischen und daneben» finde ich beispielsweise schön. Andere Lösungen beim Gendern finde ich oft zu kompliziert. Man muss immer an die Macht der einfachen Gemüter denken. Die ist nämlich gross. Auch wenn die Natur sehr komplex ist und wir sie nie restlos verstehen werden.

Welchen Tipp haben Sie für heutige Aktivisten?
Man muss immer den Finger auf Ungerechtigkeiten halten und den Menschen diese so erklären, dass sie es verstehen. Wir als LGBTQ-Gemeinde werden immer eine Minderheit sein, deshalb müssen wir stets auf die Mehrheit eingehen und ihr bewusst machen, welche Punkte zu ändern sind. Je offener eine Gesellschaft wird, desto besser für alle.

Das beliebteste Quiz der Schweiz ist zurück.
Jetzt im Blick Live Quiz abräumen

Beim Blick Live Quiz spielst du dienstags und donnerstags (ab 19.30 Uhr) um bis zu 1'000 Franken aus dem Jackpot. Mitmachen ist ganz einfach. Du brauchst dazu lediglich ein iPhone oder ein Android-Handy. 

  • Suche im App-Store (für iOS) oder im Google Play Store (für Android) nach «Blick Live Quiz».
  • Lade die «Blick Live Quiz»-App kostenlos runter und registriere dich.
  • Wichtig: Aktiviere die Pushnachrichten, sodass du keine Sendung verpasst.
  • Jetzt kannst du dein Wissen mit anderen Usern und Userinnen messen.
Das beliebteste Quiz der Schweiz ist zurück.

Beim Blick Live Quiz spielst du dienstags und donnerstags (ab 19.30 Uhr) um bis zu 1'000 Franken aus dem Jackpot. Mitmachen ist ganz einfach. Du brauchst dazu lediglich ein iPhone oder ein Android-Handy. 

  • Suche im App-Store (für iOS) oder im Google Play Store (für Android) nach «Blick Live Quiz».
  • Lade die «Blick Live Quiz»-App kostenlos runter und registriere dich.
  • Wichtig: Aktiviere die Pushnachrichten, sodass du keine Sendung verpasst.
  • Jetzt kannst du dein Wissen mit anderen Usern und Userinnen messen.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?