Auf einen Blick
- Anna Pieri Zuercher spielt Kommissarin Isabelle Grandjean im Zürcher «Tatort»
- Neue Folge «Fährmann» zeigt Grandjean verletzlich und fehlerhaft
- Pieri Zuercher dreht mit ihrem Mann einen Kurzfilm über Schutzengel
Seit 2020 verkörpert Anna Pieri Zuercher (45) die Kommissarin Isabelle Grandjean in den Zürcher «Tatort»-Folgen. Blick trifft die Schauspielerin an einem Dezember-Nachmittag im Volkshaus zum Gespräch über die Episode «Fährmann» (heute, 22. Dezember, SRF 1, 20.05 Uhr).
«Passen Sie kurz auf meine Sachen auf?», fragt sie und drückt dem Journalisten ihr Telefon in die Hand. Mantel und die Mütze lässt sie liegen und eilt zum Fotografen, der draussen wartet, wo das Licht besser ist. «Das bin ich mich vom Drehen gewohnt. Erst wenn ich den Mund vor Kälte nicht mehr bewegen kann, wird es schwierig. Jedenfalls, wenn ich Dialog habe», meint sie lachend.
Die Verhältnisse geraten ins Wanken
Als Grandjean war Pieri Zuercher bisher die Strahlende und Unnahbare, während Carol Schuler (37) als Tessa Ott von einem Malheur ins nächste stolperte. In «Fährmann» ist alles anders. «Grandjean ist labil und unsicher. Sie macht in dieser Folge alles falsch, was eine Kommissarin falsch machen kann», sagt Pieri Zuercher. «Doch das lässt sie auch menschlich erscheinen. Früher war sie derart perfekt, dass kaum einer an sie herankam. Nun möchte man sie am liebsten umarmen.»
Das ist keine Floskel. Pieri Zuercher liebt all ihre Figuren, seit sie vor zwanzig Jahren bei Alain Tanner (1929–2022) in «Paul s'en va» auf der Leinwand debütierte. Und sie leidet auch mit ihnen, in diesem «Tatort» besonders. «Fährmann» ist aussergewöhnlich. «Das Publikum weiss früh, wer der Täter ist, nur Isabelle nicht. Ich bin gespannt, wie das ankommt.»
Die Folge beginnt auf dem «Wienachtsdorf» auf dem Sechseläutenplatz. «Ich bin kein Kind mehr», sagt Grandjean dort auf die Frage, ob sie sich auf die Feiertage freue. «Das Gegenteil von dem, was ich selber antworten würde. Für meinen Sohn, der mittlerweile 13 ist, bastle ich immer noch einen Adventskalender. Jedes Jahr frage ich ihn, ob er nun nicht zu alt dafür sei. Doch er verneint stets.»
Angst vor dem Jobverlust
Pieri Zuercher ist sich bewusst, in einer privilegierten Lage zu sein. «Wenn man Familie, Arbeit und ein Dach über dem Kopf hat, kann man sich schon freuen. Wer arm und obdachlos ist, sieht es sehr anders.» Die Angst vor dem Jobverlust ist ein tragendes Thema in «Fährmann». Für die Schauspielerin ein bekanntes Gebiet. «Ich habe selber einen Beruf, in dem es nie Konstanz gibt. Durch den ‹Tatort› bin ich zurzeit zwar etwas abgesichert, aber ich werde ja wohl nicht ewig ermitteln. Vor und nach jedem Engagement sind wir immer arbeitslos. Das ist unsere Realität. Viele von uns müssen kämpfen, um am Ende des Monats über die Runden zu kommen.»
Für Isabelle Grandjean bedeutet «Fährmann» auch eine bedrohliche Reise in die Vergangenheit. In einer Schlüsselszene kämpft die Kommissarin gar um ihr Leben. «Das war anspruchsvoll. Das drohende Sterben glaubwürdig darzustellen, ist immer extrem schwierig. Auch weil niemand von uns viele Vergleichswerte hat. Zum Glück nicht», sagt Pieri Zuercher.
Zur Quintessenz dieser «Tatort»-Episode meint sie: «Es klingt banal, aber das Leben ist endlich. Jeder Mensch macht Fehler, auch solche mit grosser Tragweite. Deshalb sollten wir den Mut haben, zu verzeihen und nicht immer gleich ein finales Urteil fällen.»
Die Erzählstruktur von «Fährmann» wirkt märchenhaft, angelehnt an die griechische Mythologie. Marek Kowalski, gespielt von Lucas Gregorowicz (48), Wirtschaftsberater und Gegenspieler der Ermittlerinnen, ist sehr real und gleichzeitig eine Art Engel. «Ein Engel mit Gott-Komplex», sagt Pieri Zuercher.
Pieri Zuercher als Regisseurin
Der Kampf zwischen Gut und Böse beschäftigt sie seit längerem. Mit ihrem Mann Pietro Zuercher (48) führt sie in diesen Wochen erstmals selber Regie. Der englischsprachige Kurzfilm «Cherubs» entsteht in Zürich. «Es ist eine Geschichte über zwei aus dem Himmel verbannte Schutzengel, die den Auftrag haben, den Tod von Selbstmördern für die Ewigkeit zu dokumentieren», sagt Pieri Zuercher.
«Seit einigen Jahren schreibe ich über den Tod. Und nächstes Jahr werden wir auch einen Spielfilm drehen, eine Dark Comedy, in der der Tod das zentrale Thema sein wird. Ich denke, dass ich durch diese Geschichten versuche, über den Verlust meines Vaters hinwegzukommen, der jetzt acht Jahre zurückliegt.»
In ihren Gedanken ist er immer noch sehr präsent, gerade in diesen Tagen. «Meine Schwester und ich gingen jeweils vor Heiligabend mit ihm in den Wald und suchten nach der schäbigsten Tanne, von der wir glaubten, sie würde kein langes Leben haben. Das wurde unser Weihnachtsbaum, immerhin König für eine Nacht. Die Idee dazu kam von meinem Vater. Eine edle, barmherzige Idee, mein Vater war sehr poetisch», sagt sie, während draussen die Lichter angehen.