Sue Schell über Höhen, Tiefen und das Alter
«Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod»

Nach Jahren der Selbstfindung und spirituellen Reisen veröffentlicht die weibliche Mitte des bekannten Trios Peter, Sue & Marc eine CD mit besinnlichen Liedern. Sie blickt zufrieden auf ihr Leben zurück und spricht über Höhen, Tiefen und das Alter.
Publiziert: 29.06.2024 um 08:59 Uhr
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Obwohl ihre Stimme nachgelassen hat, singt Sue Schell weiterhin …
Foto: Daniel Kellenberger
Irene Lustenberger, GlücksPost
Glückspost

Die Haustüre öffnet sich. Mischlingsrüde Mishko beschnuppert die Ankömmlinge neugierig. Sein Frauchen bittet die Besucher hinein und serviert Zitronenwasser. Sue Schell (74), die weibliche Stimme des legendären Trios Peter, Sue & Marc, ist freundlich, wirkt aber zurückhaltend. Sie steht nicht gerne in der Öffentlichkeit, tat sie eigentlich noch nie. Deshalb zog sie sich nach dem Ende des Trios und einer nicht ganz so erfolgreichen Solo-Karriere Ende der 80er-Jahre ziemlich konsequent zurück. «Ich musste zur Ruhe kommen und zu mir selbst finden», erklärt sie. «Und weil ich keine Familie habe, konnte ich einfach die Koffer packen und gehen.»

Schell reiste für ein halbes Jahr nach Sri Lanka in ein Meditationszentrum. «Dort wurde mir klar, dass ich nicht mehr in mein altes Leben zurückkann. Ich musste etwas finden, wo ich praktisch arbeiten und mindestens vier Stunden am Tag meditieren kann», erinnert sie sich. Dass ihr die Wohnung in Bern genau in dieser Zeit wegen Eigenbedarfs des Vermieters gekündigt wurde, war für sie «auch ein Zeichen von oben». Kurz darauf kam das Angebot, in einem buddhistischen Zentrum in Deutschland mitzuarbeiten. Nach gut einem Jahr erhielt sie dann eine Einladung nach Berlin, wo sie sieben Jahre in einer spirituellen WG lebte.

Neue CD veröffentlicht

In der deutschen Hauptstadt lernt Sue Schell die Leiterin eines Bildungshauses im Appenzellischen kennen und kehrt Ende der 90er-Jahre in die Schweiz zurück. «Durch diese Organisation engagierte ich mich in der Friedensarbeit und war unter anderem in Bosnien-Herzegowina, Serbien, Israel und im Kosovo tätig.» Sie findet zum Singen zurück und tritt in Kirchen, an Workshops, interreligiösen Tagungen und in Spitälern auf, meist zusammen mit Jutta Wurm, die sie mit Stimme und Gitarre begleitet. Ermuntert vom positiven Feedback entschliesst sich Sue Schell vor rund 20 Jahren, die CD «Breathe, You Are Alive» mit meditativ-besinnlichen Liedern zu veröffentlichen. «Im Laufe der Zeit haben wir weitere Lieder in diversen Studios aufgenommen, aber nie veröffentlicht. Diese Aufnahmen habe ich nun aus der Schublade geholt und bearbeitet sowie neue Lieder eingesungen», erzählt sie. Vor wenigen Wochen ist die CD «Songs for Coming Home» erschienen, mit 15 besinnlichen Liedern in englischer und deutscher Sprache.

«Mein Wunsch ist, dass diese Songs in die Welt hinaus klingen und so viele Herzen wie möglich erreichen. Sie laden ein, zu verweilen und zur Ruhe zu kommen.»

Zur Ruhe gekommen ist auch Sue Schell. Den alten Zeiten, in denen sie zusammen mit Peter Reber (75) und Marc Dietrich (76) viermal am Eurovision Song Contest teilnahm und mit «Io senza te», «Djambo Djambo» oder «Cindy» viele Hits landete, trauert sie nicht nach. «Es bleibt eine unvergessliche Zeit, aber ich sehne mich nicht zurück. Es ist schön, dass unsere Lieder auch heute noch gehört werden», sagt sie und spricht dabei das Musical «Io senza te» an, das vor ein paar Jahren in Zürich und auf der Thunersee-Bühne aufgeführt wurde. Wenn sie heute auf Youtube einen Auftritt des Trios anschaue, müsse sie immer lächeln und sei berührt von der herzigen jungen Frau, die sie damals war. «Diese Person bin ich nicht mehr. Aber ohne diese Erfahrung wäre ich nicht der Mensch, der ich heute bin.»

In New York geboren

Geboren ist die Sängerin in den USA. «Mein Vater, ein Amerikaner, absolvierte einen Teil seines medizinischen Studiums in Bern und lernte da meine Mutter kennen», erzählt sie. Nach der Heirat zog ihre Mutter nach New York, wo Susan das Licht der Welt erblickte und ihre ersten Schuljahre absolvierte. Der Vater zog in den Koreakrieg, nach dessen Rückkehr liessen sich die Eltern scheiden. Ihre Mutter ging mit der achtjährigen Susan und ihrem fünf Jahre jüngeren Bruder Peter zurück in die Schweiz. «Ich war viele Jahre lang Amerikanerin und hatte einen C-Ausweis.» Erst im Erwachsenenalter entschloss sie sich, Schweizerin zu werden und war längere Zeit Doppelbürgerin. Mittlerweile hat sie den amerikanischen Pass abgegeben.

Als Jugendliche präsentierte sie bei einer Gesangsdarbietung in der Schule ein Lied aus dem Musical «My Fair Lady». Mit 18 lernte sie an einem Fest Marc Dietrich kennen, sang zufälligerweise mit ihm zusammen. Kurze Zeit später stellte Dietrich ihr Peter Reber vor – und das Trio Peter, Sue & Marc war geboren.

Langweilig wird es ihr nicht

In Zukunft will Sue Schell nicht mehr öffentlich singen. «Meine Stimme hat nachgelassen, und ich bin gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe», sagt sie. Näher darauf eingehen möchte sie nicht. «Es geht mir so weit gut, es ist nichts Schlimmes.» Sie lebt alleine, Gesellschaft leistet ihr Mishko, den sie während Corona aus einem Tierheim geholt hat. Dreimal am Tag geht sie mit ihm laufen. Fit hält sie sich auch, indem sie einmal pro Woche einen Fitnesskurs besucht. Alle zwei Wochen trifft sie sich in der Impro-Theatergruppe 60+. «Wir sind eine richtig schräge Truppe! Wir lernen dort, uns mutig zu exponieren und gelassen zu scheitern.» Auch singt sie regelmässig mit den Senioren im Altersheim. Gelegentlich gibt sie Stimmcoaching. Wichtig ist für sie das Pflegen ihrer Freundschaften. «Ich lebe zwar alleine, aber ich bin nicht einsam», sagt sie.

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Und wie geht die 74-Jährige mit dem Älterwerden um? «Ich mache mir da schon Gedanken und übe, auf gute Art älter zu werden. Das betrifft Körper, Geist und Seele.» Wenn sie in den Spiegel schaue und ab und zu einen braunen Flecken mehr entdecke, helfe ihr auch ihr Humor. «Ich pflege jetzt vor allem die innere Schönheit, die Eitelkeit hat mich nicht mehr so im Griff», sagt sie und lacht. Die Arbeit im Hospiz habe ihr die Angst vor dem Tod genommen. Die Vorstellung, dass ihr jemand in ihren letzten Stunden die Hand hält, findet sie schön.

Glücklich über ihr Leben

Blickt Sue Schell auf ihr Leben zurück, ist sie vor allem stolz darauf, «dass ich mit Hilfe von oben gut durchgekommen, immer wieder aufgestanden und an den Schwierigkeiten gewachsen bin». Sie habe wunderschöne Zeiten gehabt, aber auch sehr schwierige. Als Beispiel für Letztere nennt sie ihre Hauptrolle im Musical «Der schwarze Hecht» im Bieler Stadttheater. «Meine Kollegen waren gestandene Operettensänger, zusätzlich gab es ein 25-köpfiges Orchester. Und ich musste ohne Mikrofon singen. Als Pop-Sängerin war ich mir das nicht gewohnt und vor der Premiere sehr nervös, auch wenn die Proben gut liefen», erinnert sie sich. «Und prompt wurde ich in einer grossen Zeitung zerrissen, in anderen kam ich gar nicht vor, obwohl ich die Hauptrolle spielte.» Nach ein paar Tagen, in denen es ihr schlecht ging und sie nur noch im Bett lag, kam sie an den Punkt, wo sie sich sagte: «Entweder mache ich jetzt einen Nervenzusammenbruch, oder ich stehe auf und gehe weiter. Ich habe die Rolle noch 30 Mal gespielt, und es wurde richtig gut.»

Und welche Träume hat Sue Schell noch? «Meine Lebensform zu ändern und mit anderen Leuten mehr den Alltag zu teilen. Eine Wohnform, wo man sich aber trotzdem zurückziehen kann. Und wo mein kleiner Flügel Platz hat.»

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