Besucherinnen und Besucher dürfen coronabedingt nicht ins Meret Oppenheim Hochhaus in Basel, Sitz der SRF-Kulturabteilung. Deshalb findet das Interview mit Chefin Susanne Wille (47) im Auditorium im Erdgeschoss statt, wo sie mit der Kultur noch dieses Jahr auch öffentliche Veranstaltungen lancieren will, wenn die Pandemiesituation dies zulässt. Publikumsnähe ist der früheren «10 vor 10»-Moderatorin immer noch wichtig.
Frau Wille, Sie waren jahrzehntelang am Bildschirm zu sehen, bevor Sie im Sommer 2020 Ihr neues Amt antraten. Hat der letzte Wahl-Sonntag keine Sehnsüchte geweckt?
Susanne Wille: Der letzte Sonntag war exemplarisch für mein neues Leben. Als Politjournalistin habe ich mich immer sehr für Kultur interessiert. Und als Kulturchefin interessiere ich mich jetzt immer noch für Politik. Ich war den Morgen über am Zurich Film Festival. Am Nachmittag und Vorabend verfolgten wir die Wahl- und Abstimmungssendungen. Und dann kamen die ersten beiden Folgen von «Neumatt», alles am selben Tag. Ich durfte früher alles moderieren, was spannend ist im Bereich Politik. Und jetzt habe ich eine neue verantwortungsvolle Aufgabe als Kulturchefin, die mich sehr erfüllt.
Wie reagiert das Publikum auf Ihre neue Rolle? Erhalten Sie noch Fanpost?
(Lacht.) Wenn man zur Primetime zu sehen ist, ist man den Leuten vertraut. Was mich nun freut, ist, dass viele Leute wissen, was ich heute mache, und mich vermehrt auf Kultur-Inhalte ansprechen, Rückmeldungen zu einem DOK-Film, einem «Kontext» auf Radio SRF 2 Kultur oder einer «Sternstunde» geben.
Die Aargauerin Susanne Wille (47) studierte Journalistik, Geschichte und Anglistik. Daneben arbeitete sie als Flugbegleiterin bei der Swissair, bevor sie 1999 Videojournalistin beim Aargauer Sender Tele M1 wurde. Von 2001 bis 2011 moderierte sie «10 vor 10». Danach wurde sie Bundeshaus-Korrespondentin, arbeitete für die «Rundschau». 2016 kehrte sie zu «10 vor 10» zurück. Im Frühling 2020 hörte sie dort auf, weil sie zur SRF-Kulturchefin befördert wurde. Sie ist mit «Tagesschau»-Moderator Franz Fischlin (57) verheiratet und hat mit ihm zwei Söhne und eine Tochter.
Die Aargauerin Susanne Wille (47) studierte Journalistik, Geschichte und Anglistik. Daneben arbeitete sie als Flugbegleiterin bei der Swissair, bevor sie 1999 Videojournalistin beim Aargauer Sender Tele M1 wurde. Von 2001 bis 2011 moderierte sie «10 vor 10». Danach wurde sie Bundeshaus-Korrespondentin, arbeitete für die «Rundschau». 2016 kehrte sie zu «10 vor 10» zurück. Im Frühling 2020 hörte sie dort auf, weil sie zur SRF-Kulturchefin befördert wurde. Sie ist mit «Tagesschau»-Moderator Franz Fischlin (57) verheiratet und hat mit ihm zwei Söhne und eine Tochter.
Was wünschen sich die Leute von Ihnen?
Ich bekomme wirklich viele Zuschriften und versuche, die meisten persönlich zu beantworten. Ich schätze den Dialog und den Austausch mit der Zuschauerin, dem Zuhörer. Was mir auffällt: Die Leute wünschen sich Einordnung, und da ist die Fachredaktion Wissenschaft in der Abteilung stark gefordert. Dieses Bedürfnis kompetent abzudecken und diese Einordnung leisten zu können, ist für uns eine Kernaufgabe.
Sie haben die neue SRF-Serie «Neumatt» bereits angesprochen. Am Donnerstag liefen die letzten zwei von acht Folgen. Zufrieden?
Wir sind weit mehr als zufrieden, wir sind begeistert. Zugegeben waren wir etwas nervös vor der Lancierung. Einerseits ist «Neumatt» kein einfacher Stoff und andererseits haben wir auf volles Risiko gespielt mit dem dichten Ausstrahlungsmodus. Nun wurden all unsere Erwartungen deutlich übertroffen. Beim Start am Sonntag hatten wir fast 40 Prozent Marktanteil, im Schnitt über alle acht Folgen waren es 33,2 Prozent. Davon hätten wir anfangs Woche nicht zu träumen gewagt.
Zeitpunkt und Art der Ausstrahlung innerhalb von vier Tagen waren ein Wagnis. Wäre bei anderer Programmierung noch mehr möglich gewesen?
Eine legitime Frage. Wir glauben, kaum. Die aktuellen Zahlen übertreffen unsere Erwartungen bei weitem. Wir haben gut und lange überlegt. Schliesslich haben wir uns dafür entschieden, dem Publikum die Möglichkeit zu geben, die Serie auch linear innerhalb weniger Tage mitverfolgen zu können. Wichtig scheint mir, etwas auszuprobieren, zu schauen, wie sich auch die Sehgewohnheiten des TV-Publikums verändert haben. Und wir wollten ein Zeichen setzen. Auf SRF 1 widmeten wir die ganze Woche «Neumatt». Die ersten Zahlen geben uns recht. Das Publikum ist über die ganze Woche an der Serie drangeblieben. Jetzt sind wir gespannt, wie sehr «Neumatt» auch noch online genutzt wird.
Der Drehbuchentwurf für «Neumatt» stammt von Petra Volpe, sie hat schon «Frieden» geschrieben und auch den Stoff zum Film «Die goldenen Jahre» geliefert. Auch andere Namen tauchen bei fiktionalen SRF-Projekten gehäuft auf. Manche Leute wittern da Vetternwirtschaft ...
Gerade das Beispiel von Petra Volpe zeigt, dass unsere Strategie aufgeht. Sie schrieb schon für uns, lange bevor sie mit «Die göttliche Ordnung» bekannt wurde. Wir begleiten Autorinnen und Autoren über einen längeren Zeitraum und streben eine kontinuierliche Zusammenarbeit an. Auch Simone Schmid ist ein Name. Sie schreibt an der neuen Basler Krimiserie von Michael Steiner, war aber auch schon für den «Bestatter» mit Mike Müller tätig. Auch bei der Serie «Tschugger», die im November anläuft, zeigt sich dieses Muster. Das Handwerk, eine Serie fürs Fernsehen zu schreiben, ist unheimlich komplex und anspruchsvoll – an einer längeren Zusammenarbeit interessiert zu sein, liegt auf der Hand und macht Sinn. Umso schöner, wenn es Früchte trägt wie bei «Neumatt». Wichtig ist, eine Breite zu haben, mit neuen Talenten und arrivierten Autorinnen und Autoren.
Was ist an den Gerüchten dran, die vierte Staffel des Quotenhits «Wilder», die diesen Winter erscheint, sei auch die letzte?
Die Ermittlerin Rosa Wilder kehrt in Staffel 4 im Januar 2022 nach Oberwies zurück, wo die Geschichte begann. Da schliesst sich ein Kreis. Was den Schluss nahelegt, dass die Serie hier zu einem Abschluss kommt.
Also tatsächlich das Ende?
Im Moment gehen wir davon aus, dass die Serie dort endet. Schon beim «Bestatter» lautete unsere Devise «Aufhören, wenn es am schönsten ist». Wir wollen auch immer wieder Platz für Neues schaffen. Und wie das aktuelle Beispiel «Neumatt» beweist, ist auch das Publikum neugierig auf neue Figuren und neue Geschichten. Aber auch das Krimipublikum wird bei uns weiterhin auf seine Kosten kommen. Für 2022 planen wir die neue Krimiserie aus Basel.
Beim Schweizer «Tatort» wurde beim Wechsel von Luzern nach Zürich aus Spargründen auf eine Folge pro Jahr reduziert. SRF-Chefin Nathalie Wappler hat aber eine Rückkehr zu zwei Fällen versprochen. Wie ist der Stand?
Ab 2022 werden wir wieder zwei Folgen jährlich zeigen. Aber bei der ARD gab es durch viele Corona-verzögerte Dreharbeiten einen Überhang an Filmen. In Absprache mit unseren ARD-Kollegen haben wir entschieden, unseren nächsten «Tatort» ins neue Jahr zu schieben. Folge 3 läuft im März 2022, Folge 4 im zweiten Halbjahr 2022. Dann sind wir wieder im Rhythmus.
Für Folge 2, «Schoggiläbe», mussten Sie viel Kritik einstecken. Ihre Reaktion?
Die Folge hat polarisiert. Es gab positive und kritische Reaktionen. Wir haben entschieden, noch mehr in die Drehbuchentwicklung zu investieren, noch genauer hinzuschauen. Wie können wir den Spannungsbogen einfacher machen? Was können wir an der Montage ändern? An der Tonalität? An der Art und Weise des Erzählens? Wir waren und sind sehr selbstkritisch – und freuen uns jetzt auf die Ausstrahlung der dritten Folge.
Sie haben kürzlich betont, dass bei den künftigen Folgen gleich viele Frauen wie Männer vor der Kamera stehen.
Mir sind Gleichstellung und Chancengleichheit sehr wichtig. Wir messen bei Drehbüchern oder in der Produktion den Geschlechteranteil und achten auch vor der Kamera auf die Vielfalt. Es kann und soll hier aber noch mehr gehen: Mit der Schweizer Filmbranche erarbeiten wir derzeit gerade eine Checkliste, die das Bewusstsein für das Thema Diversität schärfen soll. Davon versprechen wir uns viel.
Und wie sieht es diesbezüglich in Ihrer Abteilung aus?
Wir haben einen hohen Teilzeitanteil von 85 Prozent bei SRF Kultur. Nebst dem Frauen-Männer-Verhältnis eine wichtige Richtgrösse betreffend Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir haben aktuell 60 Prozent Frauen und 40 Prozent Männer, in den Kaderfunktionen ebenfalls. Als ich angetreten bin, war es im Leitungsteam bei den Kadern genau umgekehrt. Ich achte bei Stellenbesetzungen auf Chancengleichheit, bin oft mit Frauen im Gespräch und ermuntere sie, Verantwortung zu übernehmen, auch Projekte zu leiten und zu erleben, was es bedeutet, ein Team zu führen. Gleichstellung ist für mich im Unternehmen eine Herzenssache, aber auch im Programm. In Ihrem Unternehmen (Ringier) heisst diese Initiative «EqualVoice», bei uns «Chance 50:50». Damit wollen wir die Sicht- und Hörbarkeit von Expertinnen und Gesprächspartnerinnen im Programm steigern und messen dazu monatlich, wie viele Frauen in unseren Sendungen zu Wort kommen. Ich freue mich, dass die Zahlen laufend steigen.
Nach rund einem Jahr haben Sie nun eine gute Übersicht. Welches sind Ihre grössten Baustellen für die nahe Zukunft?
Dass das Tempo in der Medienbranche hoch ist, ist nichts Neues. Was meine Teams täglich für einen Output leisten, parallel zum Sparen und zum Stellenabbau, parallel zur Digitalisierung, zur Transformation und zum Entwickeln neuer Angebote, ist wirklich anspruchsvoll. Einerseits lancieren wir neue Angebote, wie beispielsweise diesen Sommer das neue digitale Nachhaltigkeits- und Klimaformat «SRF Co2ntrol» oder eine tägliche Kulturberichterstattung auf Instagram unter @srfkultur. Da gilt es jetzt, deren Resonanz zu prüfen und sie weiter voranzutreiben. Wir dürfen aber nebst dem Digitalen das Lineare nicht vergessen. Wie gestalten wir zum Beispiel die TV-Sendung «Kulturplatz» neu? Ich freue mich auf diese Reise. Wir müssen ausprobieren, wir müssen mutig sein. Wenn etwas nicht klappen sollte, stehe ich hier gern hin und übernehme die Verantwortung. Wenn es klappt, soll es das Verdienst des Teams sein.
Die Pandemie hat den TV-Konsum angekurbelt. Auch bei Ihnen zu Hause?
Nicht wirklich. Bei uns ist die Schwierigkeit respektive Herausforderung, bei der Auswahl die Interessen von drei Kindern im Alter von 10, 14 und 16 zu vereinen. Das dauert manchmal so lange wie der Film selber (lacht). Aber wir geniessen die gemeinsame Zeit und diskutieren das Gesehene. Wir unternehmen aber auch gern etwas zusammen. So waren wir letztes Wochenende gemeinsam an einer Kunstausstellung.
Welche Filme wollen die Kinder schauen?
Mit der Auswahl lernen sie ja quasi die demokratischen Grundprinzipien kennen (schmunzelt). Es ist fast wie eine Vernehmlassung: Einmal muss das älteste Kind nachgeben, weil der Actionfilm nicht die meisten Punkte hat, einmal das jüngste. Wir finden stets einen Kompromiss, ohne jedes Mal beim selben Genre zu landen.
Haben Sie sich bei Ihrem Amtsantritt eigentlich eine Frist gesetzt?
Das würde meinem Naturell widersprechen. Ich will etwas bewegen, etwas verändern. Ich sehe ja, was es bedeutet, in einer digitalen Transformation Verantwortung zu tragen. Das heisst: sich jeden Tag einzusetzen und bei Problemen hinzustehen. Klären, zuhören, verstehen und Entscheidungen treffen. Und obschon es einen breiten Rücken braucht, empfinde ich es als ein Privileg, in einer solchen Zeit etwas gestalten zu können. Wenn ich nun schon sagen würde, bis zu diesem Punkt und nicht weiter, wäre das die absolut falsche Denkart. Ich bin mit viel Kraft unterwegs und habe gemeinsam mit meinem Team noch viel vor.