Seit er denken kann, wünscht sich Olivier Borer, 41, eine eigene Familie. Als er mit 15 Jahren seine Homosexualität entdeckt, fürchtet er, dieser Traum werde sich nie erfüllen. Und nun steht er in der Küche und backt den ersten Geburtstagskuchen für seinen Sohn. Naël Yunus kam am 11. November 2022 zur Welt – mithilfe einer Eizellenspenderin und einer Leihmutter aus den USA. Nun feiert er seinen ersten Geburtstag. «Dann darf er auch zum ersten Mal Kuchen essen», sagt sein Papi. Doch der Kleine ist schneller und steckt sich noch während des Satzes den Schwingbesen mit flüssiger Schoggi dran in den Mund.
Olivier Borer, der erste Geburtstag ist ein Meilenstein. Welche Gefühle löst er in Ihnen aus?
Stolz, Ergriffenheit, Dankbarkeit, Demut. Und auch ein bisschen Erstaunen. Das erste Jahr unseres Sohnes ist soooo schnell verflogen.
Wie werden Sie Naëls Geburtstag feiern?
Wir organisieren ein kleines, feines Fest bei uns zu Hause mit der Familie und mit Naëls Gotti und Götti und deren Familien. Und Naël darf erstmals Kuchen essen – zumindest in gebackener Form (lacht). Auch wenn er das alles nicht so richtig registriert, bin ich sicher, dass er sich von der schönen Stimmung anstecken lässt und seinen Tag geniessen wird.
Gibt es Geburtstagstraditionen aus Ihrer eigenen Kindheit, die Sie für ihn aufleben lassen möchten?
Ich bin kein grosser Fan von durchorchestrierten Kindergeburtstagen. Wir haben unsere eigenen Geburtstage immer im kleinen Rahmen gefeiert. Das sind schöne Erinnerungen, die bis heute bleiben. Zwei spezielle Geburtstage kommen mir spontan in den Sinn: Einmal durfte ich ein paar wenige Freunde in den Zirkus einladen, das war wohl im grossen Kindergarten. Und die grösste Feier gab es zu meinem zehnten Geburtstag. Ein wunderschöner Spätsommertag mit Freundinnen und Freunden im Garten, vielen lustigen Spielen und Kulinarischem.
Was sind in Ihren Augen sinnvolle Geschenke für einen Einjährigen?
Am sinnvollsten sind immaterielle Geschenke, Zeit, Zuneigung, gemeinsames Spielen, kleine Ausflüge, gemeinsames Staunen.
Sind auch die beiden Mamas von Naël – die Frau, die ihn zur Welt brachte, und die Eizellenspenderin – an den Feierlichkeiten beteiligt?
Um direkt dabei zu sein, sind die beiden geografisch zu weit weg. Wir wünschen uns aber, dass wir zumindest mit dem Bauchmami kurz per Videotelefon reden können, trotz Zeitdifferenz.
Sie haben sich bewusst entschieden, das Thema Leihmutterschaft mit der Veröffentlichung Ihrer Geschichte zu enttabuisieren – haben Sie das in den vergangenen Monaten manchmal bereut?
Nein, bereut habe ich den Schritt nicht, keine Sekunde. Ich bin, und das gebe ich offen zu, ab und an erschrocken aufgrund der harschen, teils beleidigenden und diffamierenden Kommentaren. Aber wir gehen als Familie unseren Weg, haben ganz viel Unterstützung und lassen uns unser Glück nicht vermiesen. Ich glaube sogar, dass ich durch die Erfahrung des letzten Jahres stärker geworden bin und akzeptieren kann, dass ich andere Menschen nicht ändern kann.
Apropos: Der Vorname Naël bedeutet: Sohn des Löwen. Welche Eigenschaften eines «Löwenvaters» haben sich bei Ihnen im vergangenen Jahr gezeigt?
Naël hat einen enormen Beschützerinstinkt ausgelöst in mir. Und einen unermesslichen Stolz. Ich glaube, ich stolziere etwa ähnlich stolz umher wie der Löwe, König der Wildnis, durch die Savanne. Ich halt einfach ohne Mähne.
Was gibt Ihnen die Kraft, mit negativen Reaktionen umzugehen?
Meine kleine Familie, mein Mann, meine Eltern, Geschwister, meine Freund:innen. Und ganz viele, schöne Reaktionen auf den Strassen, an Orten, wo ich für SRF Sport im Einsatz bin, wie gerade eben an den Swiss Indoors. So viele Menschen bekunden echtes Interesse an Naëls Entwicklung, fragen, wie wir es als Eltern meistern und wollen teilhaben an unserem Glück, gönnen uns dieses auch. Und das spendet alles unheimlich viel Kraft.
Kürzlich schrieben Sie auf Instagram, Sie seien «angekommen». Was trägt zu diesem Gefühl bei?
Seit ich selber noch ein Kind war, habe ich von einer eigenen Familie geträumt. Dieser Traum schien aufgrund meiner Homosexualität nicht in Erfüllung zu gehen, was mich in eine Krise gestürzt hat und den Prozess des Mich-selbst-akzeptieren verlängert und recht schwer gemacht hat. Mein Mann und ich kennen uns seit über 20 Jahren und wir wären auch ohne Familie glücklich geblieben, da bin ich sicher. Aber Naël komplettiert unser Glück, komplettiert uns. Naël ist unser grösstes Glück und unser grösster Traum, der sich erfüllt hat.
Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
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Was lief im ersten Jahr als Papa völlig anders, als Sie es erwartet hatten?
Eigentlich gar nicht mal so viel. Wir haben uns intensiv mit dem Elternwerden auseinandergesetzt, und doch kann man sich das Elternsein ja nicht hundertprozentig ausmalen. Wir haben Glück, Naël ist ein richtiges Einsteigerbaby, immer noch. Klar, es gibt Tage und Nächte, da stellt er unsere Nerven auf die Probe. Aber diese sind zum Glück selten. Eine grosse Belastung war, als Naël noch vor Vollendung seines zweiten Lebensmonats aufgrund einer Nierenbeckenentzündung drei Nächte ins Kispi musste. Diese Erfahrung hätten wir gern ausgelassen.
Wann hat Naël Sie zuletzt so richtig überrascht?
Erst vor wenigen Tagen hat Naël seinen ersten Schritt allein gemacht, zu Hause in der Stube beim Spielen. Das hat uns extrem berührt. Es ist unfassbar und schön, zu sehen, was Naël innert einem Jahr alles gelernt hat. Und wie stolz ihn das auch selber macht.
Wie möchten Sie und Ihr Partner von ihm genannt werden?
Mein Mann ist Baba, ich bin Papi. Baba sagt Naël schon häufig, mit Papi hapert es leider noch ein bisschen.
Als Eltern lernen sich Paare noch einmal neu kennen: Wie hat das Ihre Beziehung im vergangenen Jahr verändert?
Ich spüre, dass uns Naël noch näher zusammengebracht hat. Natürlich reiben wir uns auch mehr als früher. Es gibt Themen, über die wir früher nicht gesprochen haben oder nicht sprechen mussten. Wir müssen unseren Alltag viel besser strukturieren und organisieren, da wir beide arbeitstägig sind. Uns steht definitiv weniger gemeinsame Zeit zu zweit zur Verfügung, das ist eine grosse Umstellung. Ich glaube aber auch, dass unsere Beziehung ein sehr stabiles Fundament hat und sollte es mal rütteln und schütteln, ihr das nicht schaden wird.
Was haben Sie neu an Ihrem Partner entdeckt?
Dieses Leuchten in seinen Augen, wenn Naël ihn anstrahlt. Einzigartig. Und: Mein Mann ist ein Meister im gleichzeitigen Erledigen vieler Aufgaben, das zeigt sich jetzt so richtig ausgeprägt und kommt uns als Eltern sicher entgegen.
Und ein Blick in die Zukunft zum Schluss: Sind weitere Kinder ein Thema?
Es gibt ein Sprichwort, das mich seit ein paar Jahren begleitet: «If your dreams don’t scare you, they’re not big enough». Sprich: Wenn dich deine Träume nicht fürchten, träumst du nicht gross genug. Wer weiss…