Jetzt steht Emmy Hennings (1885–1948) im Mittelpunkt: «Emmy holte tief Luft und betrat die Bühne», steht im eben erschienenen biografischen Roman «Was schön war und gut» (Münster-Verlag) der US-Autorin Jill Blocker (36). «Dann, auf Hugos Zeichen hin, begann sie den ziemlich gewagten Text eines bekannten französischen Chansons zu singen.»
Das war Samstag, der 5. Februar 1916, in einem proppenvollen Saal an der schmalen Zürcher Spiegelgasse. Emmy Hennings und ihr späterer Ehemann Hugo Ball (1886–1927) gründeten hier das Cabaret Voltaire, die Geburtsstätte des Dadaismus. Und an diesem Ort las Blocker gestern erstmals öffentlich aus ihrem neuen Buch.
«Jahrhundertfrau der Avantgarde»
«Dieses Buch ist eine leidenschaftliche Hommage an das bemerkenswerte Leben von Emmy Hennings», schreibt Blocker in der Danksagung am Buchende. Die Autorin gibt der Dadaismus-Mitbegründerin eine Stimme, indem sie ausgiebig aus Tagebüchern, Erinnerungsnotizen und Büchern der «Jahrhundertfrau der Avantgarde» (FAZ) zitiert.
Am 17. Januar 1885 kommt Emmy im norddeutschen Flensburg zur Welt. Nach der Volksschule arbeitet sie als Dienstmädchen und heiratet mit 18 Jahren einen Laienschauspieler – schon bald sind sie Eltern einer Tochter. 1904 geschieden, tingelt Hennings als Vortragskünstlerin allein durch Deutschland. In Berlin trifft sie Ball, 1915 emigrieren die beiden in die Schweiz.
Hennings, die Femme fatale, das Anhängsel von Hugo Ball: Selbst Dada-Spezialisten benennen sie bloss intim Emmy oder dann Emmy Ball-Hennings. Als eine der wenigen Frauen in der Dada-Bewegung neben der Schweizerin Sophie Taeuber-Arp (1889–1943) hatte sie nie den Stellenwert ihrer männlichen Kollegen.
Neid bei Möwenfütterung am Zürichsee
Die beschrieben sie als «erotisches Genie» (Erich Mühsam) oder «blonden Fetzen» (Johannes R. Becher). Doch Hennings war weit mehr: Sie war eine eigenständige Frau, eine Kämpferin gegen Ungleichheiten der Geschlechter, gegen soziale Ungerechtigkeiten. Sie lebte selber in Armut, litt immer wieder Hunger: Neidvoll betrachtete sie die Fütterung der Möwen am Zürichsee.
Mit Ball zieht sie sich ins Tessin zurück, heiratet ihn 1920. Die beiden wenden sich vom Dadaismus ab und dem Katholizismus zu. Mit dem ebenfalls im Tessin lebenden Hermann Hesse (1877–1962) pflegt Emmy Ball-Hennings eine enge, bis zu ihrem Tod andauernde Freundschaft.
«Das Leben, überlegte Emmy, ist immer ein schmaler Grat», schreibt Blocker in «Was schön war und gut». «Dunkelheit auf der einen Seite, Licht und Liebe auf der anderen.» 75 Jahre nach ihrem Tod steht Emmy Ball-Hennings endlich auf der anderen Seite.
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