Auf einen Blick
- Paul Hindemiths Oper sorgte schon 1922 für Kontroversen in Stuttgart
- Regisseurin Florentina Holzinger inszeniert das Stück neu
- 18 Menschen benötigten medizinische Betreuung während der Aufführungen
- Annina Machaz spielt eine umstrittene Rolle als Business-Jesus
- Kritik konzentriert sich auf Nacktszenen, nicht auf die Kunst
1922 sorgt der deutsche Komponist Paul Hindemith (1895–1963) für einen veritablen Skandal. Der Einakter «Sancta Susanna», der die Frömmigkeit einer Nonne mit der Ekstase der Leiblichkeit verbindet, darf in Stuttgart nicht uraufgeführt werden, zeitgenössische Kritiker sprechen von Gotteslästerung und Perversion. 102 Jahre später – die Moralvorstellungen haben sich mittlerweile geändert – hat sich die österreichische Regisseurin Florentina Holzinger (38) dem Stoff angenommen – und Hindemiths Vorlage mit «Sancta» notabene in Stuttgart neu inszeniert.
Obwohl die «Süddeutsche Zeitung» ursprünglich von «überbordender Freude» über das Stück schreibt, bestimmen andere Schlagzeilen die Medien: «Sex-Oper» heisst es oft – 18 Menschen hätten sich rund um die Aufführungen medizinisch betreuen lassen müssen, auch von Ketzerei ist die Rede. Die Zürcher Schauspielerin Annina Machaz, die von der «Bild» relativ kontextlos als «Nackt-Jesus» betitelt wurde, kann die mediale Empörung nicht verstehen, wie sie Blick exklusiv erzählt. «Wann immer Nacktheit gezeigt wird, geschieht das sehr überlegt.»
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«Priester war begeistert»
«Das Problem ist, dass sich Leute auf dieses Stück einschiessen, die es nicht einmal gesehen haben», so Machaz. Die dargestellten Szenen – allesamt im kirchlichen Umfeld angesiedelt – seien «ästhetisch, ja fast filmografisch. Nach der Vorführung ist ein Priester zu mir gekommen – er war begeistert und hat meinen Jesus sehr gelobt.»
Dass man ihre eigene Rolle auf einen kurzen Part, in dem sie nackt zu sehen ist, reduziert, habe mit der Realität wenig bis nichts zu tun: «Ich spiele eine Art Business-Jesus, der 24/7-Support anbietet. Ich bin für den lustigen Gegenpart dieses ernsten Stoffs zuständig.» Und fügt an: «Wenn man wirklich gläubig ist, dann liebt man diese Oper. Sie endet beispielsweise mit dem Satz ‹Don't dream it, be it› – und soll Mut machen!» Auch eine weitere Szene, in der Sankt Thomas nicht nur bildlich den Finger in eine Wunde hält, bewertet die Zürcherin positiv: «Das ist ja eigentlich etwas Gutes. Das ist der Moment, da er zeigt, welche Probleme es auf der Welt gibt.»
«Wird der Arbeit nicht gerecht»
Das sei aber eben auch ein Moment im Stück, «da Leute Kreislaufprobleme bekommen», weil man aus dem Zuschauerraum schlecht zwischen echtem und Kunstblut unterscheiden könne. Machaz relativiert: «Die Oper Stuttgart hat 1400 Plätze, die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer sind jetzt nicht mehr gerade 20. Das Stück dauert lange, die Leute trinken zu wenig – dann gibt es pro Vorstellung halt ein paar, die jeweils rausmüssen.» Dass man dafür einzelne Szenen in «Sancta» verantwortlich mache, «wird der Oper und der Arbeit, die ich in meine Rolle gesteckt habe, nicht gerecht. Und es verletzt mich, wenn man mich auf diesen Mini-Teil, in dem ich nackt bin, reduziert.» Einmal trage sie als erster Mensch Adam zwar tatsächlich keine Kutte – «das ist die bekannte Szene, in der der Gottesvater Adam mit dem Finger zum Leben erweckt. Natürlich muss ich da nackt sein, sonst versteht man es nicht.» Zur Erklärung: Das entsprechende weltbekannte Fresko ist in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan zu sehen.
Machaz ist klar, dass «Sancta» nicht jedem gefalle, «und das ist auch gut so. Kunst ist ja nie richtig oder falsch und auch immer Geschmackssache.» Ausserdem sei es ja die Handschrift von Regisseurin Holzinger, «dass die Darstellerinnen immer nackt sind. Wenn plötzlich nur noch das im Fokus steht, ist das schade.» Man vergesse dabei die stundenlangen Proben, und «dass wir uns echt etwas dabei überlegt haben». Annina Machaz' Botschaft ist klar: «Die Leute sollen sich das Stück doch erstmal anschauen, sich ihre eigene Meinung bilden, mit den Menschen reden.»