Auf einen Blick
- 18 Zuschauer brachen bei Stuttgarter Oper «Sancta» zusammen
- Oper zeigt explizite Gewalt und sexuelle Handlungen
- 1928: Stinkbomben und Juckpulver bei «Die Verbrecher»
- 1947: Spielabbruch bei Dürrenmatts «Es steht geschrieben»
- 1994: Tumulte und fliegende Tomaten bei Verdis «Aida»
Die Warnhinweise auf der Webseite der Staatsoper von Stuttgart liessen erahnen, was für eine Aufführung die Oper «Sancta» von Choreografin Florentina Holzinger (38) ist. «Es werden explizite sexuelle Handlungen sowie Darstellungen und Beschreibungen von (sexueller) Gewalt gezeigt. Zudem sind echtes Blut sowie Kunstblut, Piercingvorgänge und das Zufügen einer Wunde zu sehen», ist zu lesen.
Trotzdem wagten sich viele Zuschauende in den Saal, einige davon sollten ihren Opernbesuch bereuen. Noch während das Stück lief, mussten Krankenwagen und Notarzt ausrücken, weil 18 Menschen über Übelkeit und weitere Beschwerden klagten, drei von ihnen mussten medizinisch betreut werden. Der Vorfall zog ein grosses mediales Echo nach sich und trotz viel Kritik am Stück, führt die Stuttgarter Staatsoper «Sancta» weiter auf. Nächster Spieltermin: 26. Oktober 2024.
Bühnenaufführungen leben ein Stück weit von der Provokation und dem Ausloten von Grenzen. Dass diese auch mal überschritten werden und beim Publikum für Aufregung sorgen, zeigt der Blick in die Geschichtsbücher.
1928: Zuschauer werfen Stinkbomben und Juckpulver
Das Bühnenstück «Die Verbrecher» von Ferdinand Bruckner (1891–1958), welches im Jahr 1928 am Hamburger Schauspielhaus aufgeführt wurde, handelt von der Diskriminierung von Homosexuellen. Das Thema war für die damalige Zeit sehr fortschrittlich und rief die Nationalsozialisten auf den Plan. Diese organisierten sich und gingen gegen das Publikum und die Schauspieler vor. Als Zuschauer getarnt störten sie die Vorführung, warfen Nies- und Juckpulver und zündeten Stinkbomben im Theatersaal. Zwar schritt die Polizei ein und verwies die Störefriede des Theaters, diese belästigten das Publikum aber auf der Strasse weiter. Das Stück wurde wegen des politischen Drucks nach kurzer Zeit abgesetzt und in München sogar mit einem Aufführungsverbot belegt.
1947: Spielabbruch wegen Zuschaueraufstand
Als am Zürcher Schauspielhaus im Jahr 1947 das Stück «Es steht geschrieben» von Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) uraufgeführt wurde, dauerte es nicht lange, und die Schauspieler wurden von der Bühne gebuht. Viele im Publikum empfanden die Handlung als blasphemisch und intervenierten so lautstark, dass die Aufführung unterbrochen werden musste. Daraufhin entbrannte in den Schweizer Medien eine hitzige Debatte und Dürrenmatts Werk wurde als «unzüchtig und nihilistisch» verunglimpft. Das Zürcher Schauspielhaus beugte sich dem öffentlichen Druck und führte viele Jahre keine Theater von Friedrich Dürrenmatt mehr auf.
1988: Ein Misthaufen vor dem Theater und Spielen unter Polizeischutz
Die Aufführung von «Heldenplatz» von Thomas Bernhard (1931–1989), die Regisseur Claus Peymann (87) im Jahr 1988 inszenierte, hätte eine freudige Sache werden sollen – immerhin wurde das Stück zum 100-Jahre-Jubiläum des Wiener Burgtheaters gespielt. Doch Stück sorgte für den grössten Theaterskandal der Nachkriegszeit. Bei der Premiere bedeckten Aktivisten den Vorplatz des Theaters mit Stallmist und weitere Aufführungen wurden so massiv gestört, dass sie nur unter Polizeischutz im Saal stattfinden konnten. Die Kontroversen gipfelten darin, dass der Wiener Bürgermeister die Absetzung des Stücks forderte. Schlussendlich schaltete sich der österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky (87) ein und sprach sich für die Weiterführung von «Heldenplatz» aus.
1994: Tumulte und fliegende Tomaten
Jahrelang wurde die Oper «Aida» von Verdi als pompöse Inszenierung aufgeführt. Regisseur Peter Konwitschny (79) entschied sich für seine Interpretation an der Grazer Oper aber für Minimalismus: Auf der Bühne stand lediglich ein Sofa, ein rotes Tuch und zwei Plüschelefanten. Das gefiel dem Premierenpublikum gar nicht und im Saal wurde so heftig protestiert, dass erst der Dirigent sein Notenbuch zuklappte und die Vorstellung dann unterbrochen werden musste. Kurioser Höhepunkt des Publikumsaufstandes war der Tomatenwurf einer österreichischen Politikerin. Der Verdi-Zyklus von Peter Konwitschny wurde 2021 zur «Oper des Jahres» gekürt.
1995: Suizid nach heftiger Kritik
Ein trauriger Höhepunkt in Sachen Bühnenskandale ereignete sich im Jahr 1995, als das Stück «Blasted» von Regisseurin und Dramatikerin Sarah Kane (1971–1999) in London am Royal Court Theatre Premiere feierte. «Zerbombt», wie das Theaterstück auf Deutsch heisst, war an Radikalität kaum zu überbieten und schockierte mit massiver Brutalität, extremer Gewalt, explizitem Sex und Vergewaltigungszenen. Besonders die britische Boulevardpresse stürzte sich auf Sarah Kane. «Daily Mail» schrieb, das Stück sei «ein widerliches Festmahl aus Dreck». Regisseurin Sarah Kane, die unter Depressionen litt, nahm sich drei Jahre später im Alter von 28 Jahren in einer psychiatrischen Klinik das Leben.