Mit ihrer eindringlichen Darstellung prägt Sarah Hostettler (39) den neuen Zürcher «Tatort: Schattenkinder» auf unvergessliche Weise. Die in Berlin lebende Schweizerin gibt der mysteriösen Künstlerin Kyomi ein einprägsames Gesicht und erzeugt mit ihrem Schauspiel eine beunruhigende Atmosphäre, der sich die Zuschauer kaum entziehen können. Hostettler ist sich dieser Sogwirkung bewusst. «Kyomi packt mich mit der Radikalität, mit der sie ihre Ziele verfolgt. Sie ist die kompromissloseste Figur, die ich bisher im Fernsehen spielen durfte», sagt sie zu Blick. Ähnlichkeiten mit der bekannten Performance-Künstlerin Marina Abramovic (75) sind dabei nicht von der Hand zu weisen.
Mit ihrer charismatischen und manipulativen Art gelingt es Kyomi, sinnsuchende junge Menschen in einer Art Kommune um sich zu versammeln und sie als lebende «Objekte» für ihre Installationen einzusetzen. Womit sich auch die Frage stellt, wie weit Kunst gehen darf und wo die Tabugrenzen liegen. Hostettler sieht es so: «Wenn Kunst die Würde eines Menschen angreift und dessen Freiheit einschränkt, hat sie meiner Meinung nach ihre Grenzen weit überschritten. Aber das gilt natürlich für jegliches Handeln.»
Das Ungeheuer in der eigenen Stadt
Für ihre Rolle hat sich die gebürtige Solothurnerin akribisch vorbereitet. «Ich habe mich mit der Kunst des Tätowierens beschäftigt, habe zu Kunst und Spiritualität recherchiert und mich damit auseinandergesetzt, welche Verletzungen zu solcher Radikalität führen können.»
Hostettler, ausgebildet an der Hochschule der Künste Bern, war in der näheren Vergangenheit bereits mehrfach in Kriminalstoffen zu sehen, darunter auch deutschen «Tatort»-Folgen. «Ich scheine ein dramatisches Gesicht zu haben und passe da einfach gut rein», scherzt sie. «Nein, im Ernst: Krimis sind ein Dauerbrenner, das Publikum in der heimeligen Stube scheint nach Spannung zu lechzen. Und am spannendsten wirds doch, wenn das Ungeheuer in der eigenen Stadt umhergeht, nicht wahr?»
Die neue Spooky Woman
Mit ihrer latent bedrohlichen Art interpretiert Hostettler ihre Figur als jüngstes Beispiel in der englischen Tradition der «Spooky Women». Das allererste Muster dafür lieferte Alfred Hitchcock (1899–1980) mit der unheimlichen Mrs. Danvers im Schwarz-Weiss-Klassiker «Rebecca» 1940. Judith Anderson (1897–1992) wurde dafür mit einer Oscarnomination bedacht.
Die Haushälterin steht dort immer schon in der Szene drin, wenn die Hauptfigur auftritt, und dominiert so die Handlung. Ähnlich wie nun im «Tatort» mit Künstlerin Kyomi und den beiden Kommissarinnen Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher, 43) und Tessa Ott (Carol Schuler, 35).