Sie gehört seit über 30 Jahren zu den erfolgreichsten Sängerinnen der Schweiz und denkt noch lange nicht ans Aufhören: Mundartstar Sina ist zurück! Nachdem es in den vergangenen beiden Jahren etwas ruhiger geworden ist um Ursula Bellwald (56), wie die Walliser Sängerin mit bürgerlichem Namen heisst, meldet sie sich nun umso lauter mit neuer Musik zurück: Am 23. September erscheint Sinas wohl bisher literarischstes Werk «Ziitsammläri», bei dem sie für ihre Texte von namhaften Schweizer Schriftstellerinnen und Schriftstellern unterstützt worden ist. Eine romantische und intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Thema Zeit, wie die Sängerin im Interview mit SonntagsBlick erklärt.
Sina, Ihr neues Album heisst «Ziitsammläri», Zeitsammlerin – was hat Sie zu diesem bedeutungsschwangeren Titel inspiriert?
Sina: Er entstand während der Pandemie, die mich anfangs völlig gelähmt hat. Als Sängerin hatte ich grosse Bedenken vor dieser Lungenkrankheit, gegen die es damals noch keinen Impfstoff gab. Die Zeit stand still, und gleichzeitig hatte man plötzlich alle Zeit der Welt. Da hat sich mir die Frage nach der verbleibenden Zeit quasi automatisch gestellt. Und ich fragte mich: Was ist mir wirklich wichtig und welche Erfahrungen, welche Geschichten möchte ich in der zweiten Hälfte meines Lebens noch sammeln?
Und welche Geschichten wollen Sie noch sammeln?
Geschichten, die mich mit Menschen verbinden. Denn die Zeit, die für mich heute die grösste Qualität hat, ist die, die ich mit Menschen verbringe, die mir nahe sind. Dabei setze ich mehr auf Qualität als auf Quantität. Ich erkenne unterdessen Zeitfresser besser als früher, sei das in Form von unnötigen Wiederholungen oder einseitigen Gesprächen. Heute überlege ich mir sehr genau, mit wem ich meine Zeit verbringe.
Besonders viel Zeit haben Sie in den letzten beiden Jahren mit Ihrem Mann Markus Kühne verbracht – nicht nur daheim, sondern auch im Studio. Wie hat das Ihre Beziehung geprägt?
Es hat uns sicher noch mehr zusammengeschweisst. Es war unglaublich schön, dass wir während der Pandemie wieder so viel gemeinsam Musik machen konnten, wie wir das früher taten. Was Songtexteschreiben anbelangt, passierte zwar nicht viel, aber musikalisch war ich sehr inspiriert. Das war die Bestätigung, dass die Musik immer noch mein Anker ist, der mich rettet.
Wie meinen Sie das?
Schon als Kind war die Musik eine sichere Insel, die mir auch in schwierigen Zeiten Halt gab. Und auf diese Insel habe ich mich während Corona zurückgezogen.
Im Song «Fär wer soll i singu?» erzählen Sie die besonders persönliche Geschichte eines Freundes, der seine Erinnerungen langsam verliert.
Ja. Er ist im Alter von etwa 40 Jahren an Frühdemenz erkrankt. Da seine Erinnerungen immer mehr zerfallen, bleibt nur noch die Musik, die zu ihm durchdringt. Sie schafft es, einen Funken Erinnerung aufflackern zu lassen, wo Worte nicht mehr ankommen. Ich habe mich lange gefragt, ob ich mich als Erstes mit diesem Song zeigen will, glücklicherweise habe ich es getan. Es ist eines der wichtigsten Lieder auf dem Album.
Für «Ziitsammläri» haben Sie zum ersten Mal mit verschiedenen namhaften Autorinnen und Autoren wie Sibylle Berg, Simone Meier oder Franz Hohler zusammengearbeitet – wie kam dieses Projekt zustande?
Als ich während Corona nicht schreiben konnte, dachte ich mir: Anstatt vor einem leeren Blatt zu sitzen, frage ich doch Autorinnen und Autoren an, die ich kenne und schätze. Und so haben wir uns gemeinsam mit dem Thema Zeit auseinandergesetzt. Denn das war gerade während der Pandemie das grosse Thema überhaupt und stand die ganze Zeit im Raum. Wie Sibylle Berg im Song «Probiärs nomal» schreibt: «Bald bisch tot und denn isch es verbi» – da hat sie wohl sehr recht.
Kultautorin Sibylle Berg war Anfang der 2000er-Jahre auch Ihre Mitbewohnerin. Macht dies das gemeinsame Texten einfacher oder schwieriger?
Es hilft, wenn man sich gut kennt. Sibylle sehe ich über Jahre nicht, und wenn ich sie dann treffe, ist es, als wäre keine Zeit vergangen. «Schwöru» stammt übrigens auch aus ihrer Feder. Ein Lied, das mich auch heute noch, zehn Jahre nach seiner Veröffentlichung, tief berührt und auf das ich immer noch oft angesprochen werde.
Sina wurde als Ursula Bellwald 1966 in Visp VS geboren. Die gelernte Bankkauffrau arbeitete von 1993 bis 1996 als Radiomoderatorin beim Schweizer Radio DRS. 1994 veröffentlichte sie ihr erstes Mundart-Album «Sina», das Platinstatus erreichte. 2019 wurde sie mit dem Swiss Music Award für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Sina lebt mit ihrem Mann, dem Musiker Markus Kühne, am Hallwilersee im Kanton Aargau.
Sina wurde als Ursula Bellwald 1966 in Visp VS geboren. Die gelernte Bankkauffrau arbeitete von 1993 bis 1996 als Radiomoderatorin beim Schweizer Radio DRS. 1994 veröffentlichte sie ihr erstes Mundart-Album «Sina», das Platinstatus erreichte. 2019 wurde sie mit dem Swiss Music Award für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Sina lebt mit ihrem Mann, dem Musiker Markus Kühne, am Hallwilersee im Kanton Aargau.
Im Song «T-Shirt» singen Sie von einem alten T-Shirt, das Sie nicht weggeben können. Sind Sie im Alter nostalgisch geworden?
Nein, absolut nicht. Ich hatte wilde und weniger wilde Zeiten. Dieses bunte T-Shirt aus Amsterdam mit einem Jesusbild drauf und vielen Strasssteinchen würde ich heute nicht mehr tragen, und doch ist es ein lieb gewonnenes Überbleibsel aus fernen Tagen. Ich werde es also auch bei der nächsten Züglete wieder einpacken (lacht). Trotzdem lebe ich nicht in der Vergangenheit. Was zählt, ist die Gegenwart, und ich freue mich auf alles, was mich erwartet – vor allem auch in nächster Zeit.
Das heisst, Ihre Agenda ist prall gefüllt?
Ja, es läuft einiges. In der Stille von Corona wurde mir plötzlich klar: Mein nächstes Album, und die damit verbundene Tournee, soll grösser, bunter und lauter sein (lacht). Nun sind wir in der Band sieben statt fünf Leute. Und neben den beiden Bläsern wird mich mein Produzent, der Mundartsänger Adrian Stern, ab Herbst regelmässig auf Tournee begleiten. Danach arbeite ich mit einem Symphonie-Orchester und bin an einem spannenden Buchprojekt beteiligt. Ich seh mich auch in Zukunft beim Sammeln von Geschichten und nah bei der Musik. Denn am Ende des Lebens, davon bin ich überzeugt, bleiben die Erinnerungen an Menschen und Musik.
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