Sängerin Sina zieht Corona-Bilanz
«Das gute Leben kann schnell kippen»

Die erfolgreiche Schweizer Mundartsängerin Sina erzählt von ihrem Lockdown und verrät, wie die Zeit der Stille sie inspiriert hat und welche Unterstützung die Kulturszene jetzt braucht.
Publiziert: 27.06.2020 um 23:49 Uhr
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Aktualisiert: 17.04.2021 um 17:00 Uhr
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Die Walliser Sängerin Sina erzählt, wie sie den Lockdown erlebt hat.
Foto: Pat Wettstein
Interview: Patricia Broder

Schweizer Kulturschaffende können aufatmen: Der kulturelle Stillstand hat ein Ende, die «gespenstigen Zeiten», wie Sängerin Sina (54) den Lockdown nennt, sind vorläufig vorbei. Auch wenn die wirtschaftliche Situation für Künstlerinnen und Künstler immer noch schwierig ist, Konzerte und Theaterauftritte sind wieder möglich. Für die Walliser Mundartsängerin ein Grund zur Freude, aber auch ein Anstoss innezuhalten.

SonntagsBlick: Die Freude, dass Sie als Sängerin bald wieder auftreten können, sieht man Ihnen an. Sie wirken aufgestellt und voller Tatendrang.
Sina: Danke. Ja, es geht mir gut. Und ich freue mich auf die kleinen Konzerte, die bald wieder stattfinden. Im Moment arbeite ich stoisch an einem neuen Programm und hoffe fest darauf, dass ich mit meinem Trio damit auf Herbsttour gehen kann.

Wie blicken Sie auf die letzten Monate der Krise zurück?
Anfangs war es ein Mix aus Ungläubigkeit und Erschrecken. Einen Tag vor unserem Konzert im Casinotheater Winterthur wurden alle weiteren Veranstaltungen abgesagt. Keiner wusste genau, was da gerade passierte. Mit mehr Wissen, wie das Virus funktioniert, kam dann etwas Ruhe zurück. Aber diese Ungewissheit und die ständig neuen Fakten über Monate hinweg haben schon Energie gekostet.

Wie hat dieser plötzliche Stillstand Sie persönlich beeinflusst?
Wir alle haben einmal mehr gemerkt, wie schnell sich etwas ändern kann – was unvorstellbar war. Der Ratschlag meiner Grossmutter in schwierigen Zeiten war: «Näh wiäs chunnt» und das Beste daraus machen. Für mich war es auch die Zeit eines persönlichen Resets: Was ist mir wichtig geworden? Wovon trenne ich mich? Welche Menschen möchte ich öfter neben mir haben, welche weniger?

Inwiefern hat Ihnen die Musik in dieser schwierigen Zeit geholfen?
Dolly Parton hat gesagt: «Wer einen Regenbogen haben will, muss den Regen akzeptieren.» Die Musik erdet mich, und zwar in allen Facetten. Und dass sie nicht nur für mich ein wichtiger Anker ist, sehe ich auch an den Reaktionen der Leute: «Wann spielt ihr wieder?» «Wann gibt es neue Lieder?» In der Krise braucht der Mensch Kultur. Die Gefragtesten, um in Krisenzeiten Mut und Zuversicht zu verbreiten, waren schon immer die Künstler.

Sie leben mit Ihrem Mann im Kanton Aargau, Ihre Schwester und Ihr Patenkind im Wallis. Wie sind Sie in Kontakt geblieben?
Über alle möglichen Kanäle. Als das Homeschooling begann, habe ich mit meinem Patenkind Elina das Gotti TV gestartet. Jeden Abend 30 Minuten live mit Basteln, Witze erzählen und gemeinsam Lieder erfinden.

Umso schöner muss das Wiedersehen mit Ihren Liebsten gewesen sein.
Ja, sehr. Ich habe meine Familie vor einer Woche zum ersten Mal seit Weihnachten wiedergesehen. Meine Schwester hat mit ihrer Familie bei uns Geburtstag gefeiert. Ich musste sie einfach umarmen. Auch wenn wir beide dabei spontan die Luft angehalten haben (lacht). Die Zeit hat einen anderen Stellenwert bekommen. Ich spreche seltener auf Telefonbeantworter – die Gespräche sind persönlicher und länger geworden. Trotz der räumlichen Distanz ist die emotionale Nähe gewachsen.

Wie sieht Ihr Alltag ohne Auftritte und Konzerte aus?
Ziemlich strukturiert. Morgens Büro, nachmittags Studio, dazwischen in die Natur. Dann habe ich ein Filmschnittprogramm ausgecheckt und bin am Malen. Und das Schwimmen im Hallwilersee wurde mir noch wichtiger. Bei 18 Grad aus dem See steigen fühlt sich an wie neu geboren werden. Das habe ich in den vergangenen Monaten und Wochen noch mehr geschätzt als sonst. Und keine Flieger am Himmel.

Sie haben auch mit Gärtnern angefangen.
Ja. Meine Tanten hatten zwei Gärten, aus denen sie jeweils mit leuchtenden Augen heimkamen. Ich habe es mir nicht träumen lassen, aber seit kurzem kenne ich das Gefühl ebenfalls, wenn ich mir die Hände in meinem Balkongarten schmutzig mache. Und dann habe ich die Gitarre, die ich zu meinem 15. Geburtstag bekam, neu besaitet und spiele wieder. Schön tönt das noch nicht, aber das Klimpern macht Spass.

Was war das Erste, das Sie nach den Lockerungen wieder gemacht haben?
Als die Restaurants wieder öffneten, habe ich sofort in unserer Lieblingspizzeria da Luigi reserviert. Um gemeinsam auf das schnelle Ende der Krise anzustossen.

Was nehmen Sie persönlich aus dieser Krise mit?
Wenn wir müssen, ist plötzlich vieles möglich. Homeoffice und weniger reisen gehen doch. Mir ist auch wieder bewusst geworden, wie schnell das gute Leben kippen kann.

Die Kunstszene ist von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie besonders stark betroffen. Wo sehen Sie Lösungen?
Wichtig ist sicher, dass die ganze Branche rund um Kulturleben, Kulturschaffende, Booking-Agenturen, PA-Firmen, Lichttechniker und Veranstalter nicht im Stich gelassen wird. Es geht ja nicht um eine Sonderbehandlung gegenüber anderen Branchen, sondern darum zu verstehen, dass wir ein Sonderfall sind.

Was heisst das?
Die vielen Absagen, die Unsicherheit, wie man mit den Schutzkonzepten rentabel veranstalten kann, alle Verschiebungen und deren Auswirkungen darauf, wann man wieder regulär gebucht wird. Für uns wird es noch lange dauern, bis wieder Normalbetrieb herrscht.

Wie stark sind Sie selbst von den finanziellen Ausfällen betroffen?
Seit März sind sämtliche Einnahmen aus Konzerten, Merchandising-Verkäufen und Urheberrechtsentschädigungen weggebrochen. Natürlich schmerzt mich auch, dass ich seit sechs Monaten nicht arbeiten kann. Ich bin im Gegensatz zu vielen anderen in der Musikbranche aber nicht existenziell gefährdet. Einige meiner Bekannten haben es durch die gestoppte Unterstützung und Streichung der Kurzarbeitsentschädigung im Moment schwer. Hier hoffe ich wirklich, dass der Bundesrat sein Wort hält und die Kultur nicht im Stich lässt.

Was müssen wir als Gesellschaft aus der Krise lernen?
Die Krise hat Lücken unseres Sozialsystems aufgezeigt, die nicht nur mit der ungewohnten Situation zu tun haben. Uns Kulturschaffenden ist sehr bewusst geworden, wie schwer es den Behörden immer noch fällt, unsere Berufe zu verstehen. Wir sind ein Haufen Kleinstunternehmer und -unternehmerinnen, die nicht primär auf Wachstum und Profit fokussiert sind. Unser Einkommen kommt oft aus vielen verschiedenen Quellen – teils angestellt, teils selbständig. Wir müssen überlegen, wie wir uns zukünftig besser absichern. Und wir sollten nicht mehr als eine Erde verbrauchen, wenn wir wollen, dass sie nicht untergeht.

Was steht bei Sina musikalisch und künstlerisch an?
Ich habe mit verschiedenen Musikern und Musikerinnen einen Song produziert, bei dem jeder seinen Part bei sich zu Hause eingespielt hat. Die Cellistin Isabel Gehweiler werde ich in ein paar Wochen endlich richtig kennenlernen. Zudem freue mich auf die Balkonkonzerte Hothouse Music Project» in Wilderswil Ende August und den Start der Triotour im Oktober. Ich hoffe, die Leute kommen und können unbeschwert wieder Kultur geniessen.

Von der Moderatorin zur Sängerin

Sina wurde als Ursula Bellwald am 28. Mai 1966 in Visp VS geboren. Die gelernte Bankkauffrau arbeitete von 1993 bis 1996 als Radiomoderatorin beim Schweizer Radio DRS. 1994 veröffentlichte sie ihr erstes Mundart-Album «Sina», das Platinstatus erreichte. 2019 wurde sie mit dem Swiss Music Award für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Sina lebt mit ihrem Mann, dem Musiker Markus Kühne, am Hallwilersee im Kanton Aargau.

Sina wurde als Ursula Bellwald am 28. Mai 1966 in Visp VS geboren. Die gelernte Bankkauffrau arbeitete von 1993 bis 1996 als Radiomoderatorin beim Schweizer Radio DRS. 1994 veröffentlichte sie ihr erstes Mundart-Album «Sina», das Platinstatus erreichte. 2019 wurde sie mit dem Swiss Music Award für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Sina lebt mit ihrem Mann, dem Musiker Markus Kühne, am Hallwilersee im Kanton Aargau.


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