Lukas Hartmann und seine Bücher
Der Mann, der aus Geschichte Geschichten macht

Bundesrätin Simonetta Sommaruga tritt für ihren Mann Lukas Hartmann zurück, der einen Schlaganfall erlitt. Wer ist dieser Autor und was hat er geschrieben? Eine Annäherung in zehn Zitaten aus seinem umfangreichen Werk.
Publiziert: 06.11.2022 um 14:34 Uhr
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Aktualisiert: 08.11.2022 um 14:15 Uhr
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Das Ehepaar Sommaruga/Hartmann 2011 bei einem Staatsbankett in Bern zu Ehren des spanischen Königspaars.
Foto: Keystone
Daniel Arnet

Der Gedanke an den Tod war ihm selbstverständlich, ja tröstlich, obgleich im Untergrund etwas anderes, kaum Bezähmbares mitschwang, Rebellion vielleicht oder Grauen. («Pestalozzis Berg», 1978)

«Ausbruch» (1970) ist sein erstes Buch, doch der Durchbruch gelingt mit dem Roman «Pestalozzis Berg» (1978): Der Berner Schriftsteller Lukas Hartmann (78) beschreibt darin eine Lebenskrise des Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1826), die ihn 1799 zu einem Kuraufenthalt in Gurnigelbad BE zwingt. Mit Gian Maria Volonté (1933–1994) kommt der Stoff später in die Kinos und nimmt 1989 am Filmwettbewerb um den Goldenen Bären in Berlin teil.

«Aber ich bin auch du», sagte die andere Anna. «Und du bist ich. Das heisst: Wir sind beide ich. Oder ich bin wir.» Sie stockte. «Kann ich zu dir eigentlich du sagen, wenn du doch ich bist?» («Anna annA», 1984)

Lukas Hartmann ist ein Künstlername. Eigentlich heisst er Hans-Rudolf Lehmann und kommt 1944 in Bern zur Welt. Jürg Lehmann (73), der frühere Blick-Chefredaktor, ist sein jüngerer Bruder. Hartmann wollte schon als Kind unbedingt Künstler werden. Da es aber mit Musik und Malerei nicht reichte, verlegte er sich aufs Schreiben – ganz gegen den Willen des Vaters, der wollte, dass sein Sohn einen bürgerlichen Beruf ergreift.

«Ich könnte tot sein, Maria. Stell dir vor: aA mit Bauchschuss auf römischem Pflaster (Via Aurora) verblutend, seine letzten Gedanken bei dir. Wärst du dann traurig? («Aus dem Innern des Mediums», 1985)

Bevor Hartmann ab Mitte der 1980er-Jahre freier Schriftsteller ist, geht er ans Lehrerseminar und lässt sich für die Sekundarstufe ausbilden. Später arbeitet er fürs Schweizer Radio und schreibt Hörspiele sowie Sozialreportagen. Hartmann ist auch Drehbuchautor und schreibt sieben Folgen für die erfolgreiche TV-Serie «Motel» (1984). Über seine Erfahrungen bei Radio und Fernsehen veröffentlichte Hartmann den Roman «Aus dem Innern des Mediums».

«Ich bin krank, sagte sie, die Hand auf der Brust, aber wen kümmert das schon? Meine Lungen sind seit langem angegriffen. («Die Frau im Pelz», 1999)

Frauen machte Hartmann in vielen seiner 45 Bücher zu Hauptfiguren. Doch zur Hauptperson seines Lebens erwählt er Simonetta Sommaruga (62): 1996 heiratet er die damalige Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz und heutige Bundesrätin. «Wir diskutieren sehr intensiv», sagte mir Hartmann 2015 in einem Gespräch mit dieser Zeitung. Als Erstleserin seiner Romane sei sie streng, «das hat sich bewährt».

Aber die Nachwirkungen dieser Krankheit habe ihm auf die Gallenblase geschlagen, und sie sei wohl an seinem jetzigen Zustand mitbeteiligt. («Bis ans Ende der Meere», 2009)

«Bis ans Ende der Meere» schildert die letzte Expedition des britischen Seefahrers James Cook (1728–1779) aus der Perspektive des Schiffsmalers John Webber (1751–1793). Webber ist schweizerischer Herkunft und heisst Johann Wäber. Hartmann greift immer wieder solche Schweizer Historien auf und verarbeitet sie zu Romanen. «Für mich ist es spannend herauszufinden, was uns historische Ereignisse heute noch sagen können», sagte Hartmann dazu.

Da ich nicht wusste, ob ich die Nacht im Krankenhaus verbringen würde, packte ich das Nötigste in meine Reisetasche, ein Sommerpyjama, Toilettenartikel, ein paar Brettspiele. («Finsteres Glück», 2010)

Während seine Methode der Kritik zuweilen missfällt, gefällt sie dem Lesepublikum umso mehr: Hartmann stürmt mit seinen historischen Romanen regelmässig die Schweizer Büchercharts – über ein Dutzend Titel erreichen die Top Ten, ein halbes Dutzend ist zeitweise sogar an der Spitze der Verkaufshitparade. Zusammengezählt ist Hartmann mit seinen Büchern über drei Jahre in den Charts – ein wahrer Schweizer Bestsellerautor.

Zum Abschied drückte mir Doktor Letrou lange die Hand. Das war seltsam, ich hatte das Gefühl, dass von ihm her irgendwie Wärme in mich floss. («Die magische Zahnspange», 2018)

Der Vater von drei Kindern aus erster Ehe und Grossvater ist aber nicht nur erfolgreich mit seinen Erwachsenenromanen, sondern auch mit den zahlreichen Kinderbüchern – angefangen bei «Anna annA» (1984) über «Die wilde Sophie» (1990) bis hin zu «Die magische Zahnspange» (2018). Hier zahlt sich aus, dass Hartmann eine Ausbildung zum Lehrer absolvierte und eine Zeit lang eine Jugendberatungsstelle leitete.

Wie oft hatte er sein Publikum zu Tränen gerührt und wie oft hatte er es ausgekostet, mit seiner Stimme so viele Menschen zu bannen. («Der Sänger», 2019)

Der liebe Geschichtenonkel: Müsste man ihn zeichnen, er sähe aus wie Lukas Hartmann. Mit seinen vollen Lippen und dem fröhlichen Blick verströmt er eine sanftmütige Stimmung, die das Gegenüber sofort beglückt. Und wenn er dann noch mit seiner ruhigen, berndeutschen Stimme ansetzt, dann zieht er bei Lesungen landauf, landab das Publikum in Bann. Leider mussten nun alle Termine bis auf weiteres abgesagt werden.

Ich bemühte mich um ein aufmunterndes Lächeln. «Zeigst du mir etwas von dem, was du geschaffen hast?» («Schattentanz», 2021)

Wie sehr Hartmann seine Fans begeistert, zeigte sich bei einem Treffen in der Louis-Soutter-Ausstellung im Aargauer Kunstmuseum in Aarau vor einem Jahr: Unvermittelt tritt eine Besucherin auf Hartmann zu und zeigt sich begeistert, den Schriftsteller hier zu treffen. Sie zückt ein Buch, ein Stift muss aufgetrieben werden, und Hartmann signiert mit einem Lächeln der Genugtuung.

«Wie geht es Ihnen denn?», fragte er übergangslos. (…) «Mal gut, mal schlecht. Aber eigentlich weiss ich es nicht. Wissen Sie es von sich?» («Ins Unbekannte», 2022)

Vor etwas mehr als einem Monat ist der letzte Roman von Hartmann erschienen, mit dem er die Trilogie vom im Jahre 1942 gestorbenen Schweizer Persönlichkeiten abschliessen konnte. Bezeichnenderweise heisst er «Ins Unbekannte». Gerne hätten wir die Gewissheit, dass es ihm besser geht und er wieder seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen kann. «Es ist für mich wie ein Lebenszentrum, wenn ich mich einem Stoff widmen kann», sagte er mir damals.

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