«Highway to the Danger Zone», sang Kenny Loggins (74) diesen Frühling in «Top Gun: Maverick», salopp übersetzt: «Vollgas in die Gefahrenzone». Der Songtitel ist bezeichnend für die heimische Kinolandschaft: 32 Jahre nach dem Originalfilm strömten die Schweizerinnen und Schweizer zwar auch für die Fortsetzung in die Lichtspielhäuser. Knapp 600'000 waren es, Nummer 1 der Rangliste. Nur war dieser Film eines der raren Kassen-Highlights. Die Quintessenz, auch wenn das Feiertagsgeschäft noch aussteht: Nach Ende der Pandemie-Auflagen bleiben viele Leute aus.
Im Mainstream-Bereich resultiert im Vergleich zu 2019 mit 12,5 Millionen Eintritten Stand jetzt ein Umsatzrückgang von bis zu 35 Prozent, im Arthouse-Bereich sind es fast 40. Das bedeutet rund 2,6 Millionen Zuschauer oder bis zu 45 Millionen Franken Bruttoeinnahmen weniger, wie Kinoverbandspräsidentin Edna Epelbaum (48) den Rückgang beziffert. Hinzu kommen Ausfälle von Werbeeinnahmen und Mindereinnahmen im Kioskgeschäft. Spätestens diesen Winter zeige sich, welche Kinos den Härtetest überleben würden.
Das Kino hat immer gelitten, wenn Neuerungen die Sehgewohnheiten veränderten. In den 50er-Jahren kam das Fernsehen, die Videotheken in den 80ern, später Raubkopien. Doch so existenziell war die Krise nie. Der Erfolg von «Top Gun: Maverick» zeigt ein zusätzliches Problem. In den Top 25 figurieren grösstenteils Fortsetzungen und Remakes. Produktionen, die vielfach ein älteres Publikum anziehen. Jüngere Gäste fehlen und 2022er-Hoffnungsträger wie «Elvis» enttäuschten. Ein Blick auf Schweizer Produktionen stimmt nicht heiterer. Zwar sind einzelne Produktionen wie «Die goldenen Jahre» gerade gut angelaufen – 11'000 am Startwochenende – andere wie «Die schwarze Spinne» schafften total aber nicht einmal die 20'000er-Hürde. Und Kritikerlieblinge wie «Soul of a Beast» fielen vollends durch.
Zweckoptimismus versus schlechte Zahlen
Daran, dass ein Corona-Aufflackern wieder Einschränkungen zur Folge hat, wagt niemand zu denken. Noch konkreter ist die Energiekrise. «Wir analysieren zurzeit die Beleuchtungen, und auch Solarpanels sind im Gespräch», sagt Blue-Cinema-Sprecherin Olivia Willi. Sie vertritt eine der Multiplex-Branchengrössen. Aktuell sind noch rund 200 Kinos registriert, 2019 waren es über 240. Die Anzahl der Leinwände bleibt dank der Multiplex-Betriebe stabil. «Wir glauben fest an die Zukunft und hatten gerade erst letzte Woche in Chur eine Neueröffnung. Unsere Kinos sind Entertainment-Häuser, wir vereinen verschiedenste Angebote. Dazu zählen zusätzliche Gastro- und Unterhaltungsangebote wie Game-Zonen oder Sportsbars sowie Live-Übertragungen von Sportevents.»
Stephan Herzog von Pathé Suisse sagt: «Unser Glaube ans Kino ist unerschütterlich. Wir arbeiten schon länger daran, uns den Kundenbedürfnissen noch besser anzupassen. Premium-Angebote und Technologien wie unser VIP-Kinoerlebnis, Imax oder 4DX sind wichtige Elemente. Hinzu kommen Produkte wie das Personal Ciné, die Miete eines ganzen Saals für Gaming, Karaoke oder eigene Filme.»
Bei allem Optimismus lassen sich die schlechten Zahlen nicht wegreden. Und Streamingdienste boomen weiter. Während für die Kinos jeder einzelne Film erfolgreich sein sollte, zählen bei ihnen die Abozahlen. Ob einzelne Werke floppen, ist egal. Einer der Streaming-Erfolgsgründe: Zu Hause haben die Menschen seit der Pandemie enorm aufgerüstet, Homecinema als Kinokiller.
Kino nur noch als subventionierte Kunstform?
Die kommenden Abgaben bedeuten für die Streamingdienste einen Klacks. Das neue Filmgesetz verpflichtet sie, vier Prozent ihres hier erzielten Umsatzes abzuliefern. Der Bundesrat hat vergangenen Mittwoch die Vernehmlassung zu zwei Filmverordnungen eröffnet. Die Bestimmungen sollen 2024 in Kraft treten. Was sie für die Kinobranche bedeuten, steht in den Sternen.
Rabenschwarz sieht deren Zukunft einer, der ihr früher Rekordeinnahmen bescherte, Blockbuster-König Roland Emmerich (66). «Kino wird bloss als subventionierte Kunstform in den Grossstädten überleben», sagt er. Doch Geld vom Staat ist keines zu erwarten. Bundesrat Alain Berset (50) und Carine Bachmann (55), die neue Direktorin des Bundesamts für Kultur (BAK), stellten schon diesen Sommer in Locarno klar, dass der Bund «die Rechnung für die Erhaltung der heutigen Kinolandschaft nicht übernehmen will. Der Wandel bei Produktion und Konsumation, der sich beim Film am deutlichsten manifestiert, trifft letztlich die gesamte Kulturbranche», sagt Bachmann. Immerhin hat das BAK nun eine Studie in Auftrag gegeben, um «Finanzierungsperspektiven für die Zukunft zu identifizieren». Über die Lancierung der Studie wird an den Solothurner Filmtagen im Januar 2023 informiert. Die «Reise der Hoffnung» geht also weiter.
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