Es gibt Menschen, die hängen sich ein Kruzifix an die Wand. Andere pflastern ihr Zimmer mit Band-Postern zu. Und dann gibt es Christian Jungen (50), den künstlerischen Direktor des Zurich Film Festival (ZFF). Bei ihm prangt eine eingerahmte Boxerhose über dem Schreibtisch. Signiert hat sie Sylvester Stallone (77), der den Boxer Rocky Balboa zu einer Kultfigur des Kinos gemacht hatte. Jungens Liebe zum Kampfsport-Film und zu dessen Protagonisten zeigt sich nicht nur im eingefassten Kleidungsstück: Auf einem Filmplakat in seinem Büro hat er Stallones Kopf durch seinen eigenen ersetzt.
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Es gibt durchaus Parallelen zwischen dem Filmhelden und Jungen – ähnlich wie Rocky musste sich der Winterthurer seine Sporen erst abverdienen. Vom jungen Filmjournalisten mauserte er sich zum gefragten Experten und kämpfte sich hinauf bis zum Kulturchef der «NZZ am Sonntag». Er übernahm das ZFF 2020, als das Kino in einer wirtschaftlichen Krise steckte, und boxte es allen Widerständen zum Trotz durch die Corona-Pandemie.
2022 war das ZFF das das grösste Filmfestival der Schweiz und hat nicht zuletzt dank Jungen internationale Strahlkraft und Renommée. Dieses Jahr steht er wegen des Schauspieler-Streiks in Hollywood vor der nächsten Herausforderung. Wir sprechen mit ihm über die gegenwärtigen Probleme der Filmindustrie, die Liebe zum Kino und eine andere Herzensangelegenheit.
Was hat Christian Jungen, 1973 in Winterthur geboren, vergangenes Wochenende gemacht, als der FCW die Grasshoppers auf der Schützenwiese 3:1 schlug?
Christian Jungen: (Lacht) Heikles Thema! Ich hatte händeringend versucht, an Tickets zu gelangen. Aber es war nichts zu machen. Wir haben dann bei Freunden grilliert, und ich habe den Match via GC-Radio mitverfolgt. Wenn wir verlieren, kann mir das schon das Wochenende vermiesen.
Die Niederlage tut mir als FCZ-Fan natürlich nur bedingt leid. Und mir stellt sich die Frage: «Warum zum Teufel GC?»
Eigentlich läge der FC Winterthur näher, das stimmt. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie. Mein Vater hat seine Brötchen bei der Sulzer verdient, jeweils Freikarten für die Schützenwiese bekommen und mich mitgenommen. Als GC 1982 beim FCW zu Gast war und die Löwen 5:1 abfertigte, war es um mich geschehen. Da waren Stars wie die Hermann-Brüder ... (Jungen ahmt kurz GC-Legende Heinz Hermann nach) ... oder Goalie Roger Berbig, ein Arzt. Ich war richtig geschockt, als ich sah, dass er raucht.
Mit Ihnen kann man über Fussball sinnieren – und über Film. Woher rührt die Leidenschaft fürs Kino?
Mein erstes Kinoerlebnis war «E.T.», der 1982 erschien – und einen prägenden Eindruck auf meine Filmbildung hatte. Wir haben auf dem Pausenplatz wochenlang über nichts anderes gesprochen. Vor einem Kinobesuch war ich immer sehr aufgeregt. Das ist übrigens heute bei meiner neunjährigen Tochter auch so, wenn wir uns zusammen einen Film anschauen. Kino ist ein Erlebnis.
Mit 22 haben Sie sich entschieden, über Filme zu schreiben. Sie haben bei diversen Zeitungen als Kritiker gearbeitet. Was macht eine gute Filmkritik aus?
Eine gute Filmkritik muss für den Leser nachvollziehbar sein – der Kritiker muss wiederum ehrlich mit sich selbst sein. Es geht nicht um Objektivität. Das Kinoerlebnis ist höchst subjektiv. Allen gefallen zu wollen, ist keine gute Idee.
Der gebürtige Winterthurer Christian Jungen (47) studierte an der Uni Zürich Italienische Sprach- und Literaturwissenschaft, Geschichte und Filmwissenschaft. Er arbeitete zehn Jahre als Journalist bei der «NZZ am Sonntag», zuletzt als Kulturchef. Seit 2020 ist Jungen künstlerischer Direktor des Zurich Film Festival.
Der gebürtige Winterthurer Christian Jungen (47) studierte an der Uni Zürich Italienische Sprach- und Literaturwissenschaft, Geschichte und Filmwissenschaft. Er arbeitete zehn Jahre als Journalist bei der «NZZ am Sonntag», zuletzt als Kulturchef. Seit 2020 ist Jungen künstlerischer Direktor des Zurich Film Festival.
Ihr Film-Know-how hat auch eine akademische Grundlage: Sie haben zum Einfluss von Hollywood auf das Filmfestival in Cannes promoviert. Dieses Wissen kommt Ihnen jetzt wohl zugute.
Manchmal macht sich harte Arbeit erst später bezahlt – das ist hier der Fall. Ich musste beispielsweise feststellen, dass das ZFF ohne Hollywood total aufgeschmissen wäre. Die US-Filmindustrie ist ein immenser Teil unserer DNA. Deshalb ist mein Job mit sehr viel Druck verbunden. Jetzt – zwei Monate vor dem Festival – ist wieder die Zeit, in der alle wissen wollen, welche Stars denn nach Zürich kommen.
Und ausgerechnet jetzt streikt die Schauspielgarde.
Die Situation erinnert mich ein wenig an die Pandemie. Auch da mussten wir immer von Tag zu Tag planen – und hatten Glück, dass unser Festival zu einer Zeit über die Bühne ging, in der Lockerungen durchgesetzt wurden. Da das ZFF im Herbst stattfindet und für die Award-Saison Anfang nächstes Jahr wichtig ist, hoffen wir natürlich, dass wir auch in dieser Hinsicht die lachenden Dritten sein könnten und die Stars nach Zürich kommen, wenn der Streik beigelegt ist. Ich bleibe optimistisch. In diesen Tagen wird offenbar neu verhandelt.
Warum kommen denn die Stars überhaupt nach Zürich?
Der deutschsprachige Markt ist für Hollywood äusserst wichtig, das dürfen wir nicht vergessen. «Im Westen nichts Neues», der bei uns Europapremiere gefeiert hatte, hat später vier Oscars gewonnen. Und dann ist da dieses Flair des alten Europa: Was gibt es denn Schöneres, als wenn sich eine Sharon Stone vor dem wunderschönen Opernhaus ablichten lassen kann – statt in einem generischen Multiplex-Kino?
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