Es schneit, wir befinden uns in einem Industrieviertel in der Nähe des Flughafens Zürich. Hier wohnt seit sechs Jahren der Schweizer Bluesmusiker Philipp Fankhauser (58) in einem Loft in einem umgebauten Fabrikgebäude. «Ich habe jahrelang gesucht, bis ich dieses Bijou gefunden habe», sagt er, während er in einem Sessel auf den verschneiten Friedhof gegenüber schaut. «Und hier möchte ich auch nicht mehr weg.» Soeben ist sein neues Album «Heebie Jeebies – The Early Songs of Johnny Copeland» erschienen.
Blick: Früher gaben Sie Memphis und New Orleans als Ihr Zuhause an. Noch immer?
Philipp Fankhauser: Das war, bis ich diese Wohnung gefunden habe. Im Inserat waren verhältnismässig hässliche Bilder von der Wohnung, aber heute gefällt mir total, dass man von aussen nicht denkt, dass hier jemand wohnt. Das ist der Ort, an dem ich alt werden möchte.
Gegenüber ist ein Friedhof. Macht Ihnen das nicht Angst?
Überhaupt nicht. Für meinen Hund Trevor ist das ein Traum. Er macht selbständige Spaziergänge zum Friedhof und kommt nach zwanzig Minuten wieder nach Hause.
Sieht man Sie hier im Dorf?
Ja, ich gehe ganz normal einkaufen. Ich bin glücklicherweise kein Superstar, der nicht mehr aus dem Haus kann. Das muss verrückt sein, früher als Michael Jackson oder heute für Helene Fischer.
Helene Fischer?
Ich habe sie kürzlich in einem Fernsehinterview gesehen. Ich bewundere sie. Sie ist eine gute, gescheite und geerdete Frau. Ein Megastar. Und sie hat ihr Privatleben für die Karriere komplett aufgegeben, weil sie in Deutschland, wo die Menschen aufdringlicher sind als hier, nicht mehr einfach raus in den Laden gehen kann.
Philipp Fankhauser, geboren 1964 in Thun BE, begann mit elf Jahren Gitarre zu spielen. 1987 gründete er die Checkerboard Blues Band und tourte mit dieser bis 2000 durch die Schweiz. 1989 veröffentlichte er mit der US-Sängerin Margie Evans (1939–2021) sein erstes Album «Blues for the Lady». 2013 und 2014 war er Teil der Jury der SRF-Castingshow «The Voice of Switzerland».
Philipp Fankhauser, geboren 1964 in Thun BE, begann mit elf Jahren Gitarre zu spielen. 1987 gründete er die Checkerboard Blues Band und tourte mit dieser bis 2000 durch die Schweiz. 1989 veröffentlichte er mit der US-Sängerin Margie Evans (1939–2021) sein erstes Album «Blues for the Lady». 2013 und 2014 war er Teil der Jury der SRF-Castingshow «The Voice of Switzerland».
Sie haben keine Nachbarn. Herrscht jeden Abend Rambazamba?
Ich mache viel zu wenig Party hier. Nicht einmal eine Einweihungsfeier hatte ich gemacht, obwohl ich schon über sechs Jahre hier lebe. Ich geniesse es, die Tür hinter mir zuzuschliessen und abzuschalten. Mit 25 hätte ich wohl hier mehrmals wöchentlich gefeiert. Aber das bin ich zum Glück nicht mehr.
Zum Glück?
Ich befinde mich aktuell mit meiner Karriere in einer komfortablen Lage. Die Vorstellung, mich noch einmal hierhin kämpfen zu müssen, gefällt mir überhaupt nicht. Vor allem nicht in der heutigen Zeit.
Wieso?
Ich gehöre wohl noch zur letzten Generation, die sich in Bern zu einer gewissen Uhrzeit an der Loeb-Ecke getroffen hat und sich nicht mit dem Mobiltelefon zusammenschreiben konnte. So viele Vorteile ich zwar in der heutigen Kommunikation sehe, so grässlich ist die Konsequenz deswegen. Meiner Meinung nach läuft alles etwas aus dem Ruder. Ich bin froh, keine Kinder zu haben.
Wie kommen Sie zu dieser Meinung?
Wir haben vor unserer Haustür in der Ukraine einen grauenhaften Krieg. Immer wieder eskaliert die Lage im Nahen Osten. Dann gibts Donald Trump, der allen Ernstes glaubt, wieder Präsident werden zu können. Bei uns würde er nicht einmal einen Job bekommen. Aber Dank der Digitalisierung bekommen wir das auch alles mit. Ich bin jemand, der das alles konsumieren will.
Dann sollte die Zeit von sozialen Medien Ihnen zusagen?
Nein, ich finde die Entwicklung der heutigen Zeit bedauerlich und absurd. Mich interessiert nicht, dass irgendein Influencer mit aufgespritzten Lippen in Dubai Champagner trinkt. Das hat für mich keinen Mehrwert. Und ich glaube, dass die sozialen Medien einen riesigen Druck für die Jugend sind. Der Schönheitswahn wird immer grösser.
Sie äussern sich immer wieder politisch. Zuletzt lehnten Sie einen Auftritt an der WM in Katar ab. Wieso?
So explizit äussere ich mich nicht sehr oft zu politischen Themen. Allerdings weiss ich, wann ich nicht für eine gewisse Sache hinstehen möchte. Wieso ich nicht als homosexueller Halbjude nach Katar reisen will, muss ich keinem erklären. Ich bekam auch schon viel Geld geboten, um für Glencore zu spielen. Das käme mir nicht in die Tüte. Aber am Ende ändert diese Entscheidung nicht viel.
Das klingt pessimistisch?
Es macht vielleicht viel aus, wenn ein Rod Stewart einen Auftritt für eine Million in Katar ablehnt und darüber gesprochen wird. Bei mir hat mein Boykott nicht so viel Strahlkraft. Aber mir ist einfach wichtig, Haltung zu zeigen.
Sie setzten sich für die eingetragene Partnerschaft ein, lebten selbst von 2008 bis 2013 in einer. Heute gibt es die Ehe für alle. Können Sie sich vorstellen, zu heiraten?
Wahrscheinlich eher nicht. Es ist zumindest nichts, was ich unbedingt erreichen möchte, und es sieht auch nicht danach aus, dass es demnächst so weit ist.
Wie sieht es bei Ihnen in der Liebe aus?
Mein Liebesleben ist aktuell auf die Musik reduziert. Ich hatte in der Vergangenheit verschiedene Partnerschaften, die am Ende daran scheiterten, dass mein Fokus gefühlt 25 Stunden am Tag auf der Musik und allem damit Verbundenen liegt. Ich verstehe völlig, wenn jemand nicht damit umgehen kann, wenn ich zu jeder Tages- und Nachtzeit am Arbeiten bin und mir keine klassische Freizeit nehme. Mein Job ist meine Berufung. Da bleibt die Liebe manchmal auf der Strecke. Trevor ist heute mein Lebenspartner.
Sie klingen sehr bedrückt, wenn es um die aktuelle Zeit geht. Wie schalten Sie ab?
Das ist schwierig. Irgendwie sollte man das Ganze ja einordnen können, wie ein Arzt, der jeden Tag mit Schicksalen konfrontiert ist. Ich kann nicht wirklich abschalten, ich fühle mich immer ein bisschen verantwortlich, weil wir hier in Saus und Braus leben, während es anderen Menschen auf der Erde nicht gut geht.
Woher kommt diese nachdenkliche Seite?
Ich wäre gerne mehr Judihui. Früher sagte ich immer, dass jeder seines Glückes Schmied ist. Aber heute weiss ich, dass da viel mehr Faktoren mitspielen. Von der DNA bis zu den Erlebnissen in der Kindheit. Ich wurde beispielsweise als Kind nie geliebt. Aber ich habe mich rückblickend gesehen nie unterkriegen lassen.
Schlägt sich Ihre nachdenkliche Seite auch in Ihrer Musik nieder?
Es ist kein Zufall, dass ich Bluesmusiker bin, ich könnte kein Popsternchen sein. Ich bewundere zwar Popstars wie Helene Fischer, aber meine Musik ist das nicht. Die Musik und die Bühne sind für mich ein Ventil für meine nachdenkliche Seite. Hätte ich die Bühne nicht, wäre ich wahrscheinlich 250 Kilogramm schwer.
Philipp Fankhausers neues Album «Heebie Jeebies – The Early Songs of Johnny Copeland» ist im Handel erhältlich. Seine Tour macht ab Mittwoch für drei Konzerte in Grosshöchstetten BE halt.