«Ich glaube nicht, dass es eine Generationenfrage ist»
1:16
Mohrenkopf oder Schokokuss?«Ich glaube nicht, dass es eine Generationenfrage ist»

Anna Rosenwasser und Vera Dillier im Blick-Streitgespräch
«Das ist klar rassistisch!» «Ich will nicht auf jedes Wort achten»

«Mohrenkopf» oder «Schokokuss»? Anna Rosenwasser und Vera Dillier streiten im Blick über politische Korrektheit. Die LGBTQ-Aktivistin und die konservative Unternehmerin zeigen, wie schwierig der Dialog sein kann.
Publiziert: 22.12.2024 um 00:37 Uhr
|
Aktualisiert: 22.12.2024 um 08:59 Uhr
1/6
Ein Dessert, zwei gegenteilige Meinungen, wie man es nennen soll: SP-Nationalrätin Anna Rosenwasser (l.) und Jetsetterin Vera Dillier.
Foto: Kim Niederhauser

Auf einen Blick

  • Streitgespräch: Was darf man heute noch sagen? Zwei Frauen, zwei Meinungen
  • Diskussion über Sprachgebrauch, Gendern und Umgang mit Kommentaren zu Aussehen
  • Anna Rosenwasser (34) und Vera Dillier diskutieren über gesellschaftliche Themen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
patricia_broder_blick.jpg
Patricia BroderRedaktorin People

Die beiden Frauen könnten unterschiedlicher nicht sein: Anna Rosenwasser, 34 Jahre alt, SP-Nationalrätin und langjährige LGBTQ-Aktivistin. Vera Dillier, Jetsetterin und Unternehmerin, liest ihr Alter nicht gerne in der Zeitung, bezeichnet sich selber als glamourös bodenständig. Wir laden die beiden zum Blick-Streitgespräch ein, um die Frage zu diskutieren, die an Weihnachten im Kreise der Familie oder Freunde wohl bei einigen für Gesprächsstoff sorgen wird: Was darf man heute eigentlich noch sagen? Zwei Frauen, zwei Meinungen – und was es für ein besseres Verständnis füreinander braucht.

Blick: Vera Dillier, Anna Rosenwasser, zur Gesprächseröffnung habe ich Ihnen ein süsses Gebäck mitgebracht. Wie nennen Sie das?
Vera Dillier: Mohrenkopf. Ich habe das mein Leben lang so genannt.

Anna Rosenwasser: Ich rede nicht oft über dieses Dessert, aber ich nenne es Schokokuss. Wenn man den historischen Kontext betrachtet, sieht man klar, dass der alte Begriff aus einer kolonialistischen Zeit kommt, in der man die Überlegenheit gegenüber Minderheiten auch in der Sprache verankern wollte. 

Dillier: Also bitte. Kolonial hatte ich als Kind nicht im Kopf. Ich habe auch meine Puppe als Kind immer Negi genannt und meinte das nie böse.

Rosenwasser: Vera, ob du diese Bezeichnung böse gemeint hast oder nicht, ist eigentlich egal, denn sie ist klar rassistisch. Schau, wir sind beides Autorinnen. Wir wissen, was Sprache bewirken kann. Ich gewöhne mich um, den neuen Begriff zu benutzen, weil ich dazulernen möchte, eine faire Welt mitgestalten will.

Dillier: Anna, ich sehe das anders. C’est le ton qui fait la musique. Man kann immer sehr korrekte Wörter verwenden und trotzdem rassistisch sein.

Rosenwasser: Mein Wunsch ist nicht, dass du den Schokokuss nicht mehr Mohrenkopf nennen darfst, mein Wunsch ist, dass du ihn nicht mehr so nennen willst, weil der Begriff für eine Zeit der Unterdrückung steht.

Dillier: Ich habe das Wort Mohrenkopf nie als diskriminierend empfunden.

Rosenwasser: Ich spüre, dass du dieses Wort nicht böse meinst. Dennoch ist die Wirkung leider dieselbe.

Warum ist es Ihnen so wichtig, am alten Begriff festzuhalten, Frau Dillier?
Dillier: Mir war Respekt immer wichtiger als die perfekten Begriffe. Ich habe von genau den Leuten, die die korrekten Wörter verwenden, den übelsten Rassismus erlebt. 

Rosenwasser: Man muss ja nicht alles fehlerfrei machen. Ich möchte, dass man es versucht. Aber Vera, ich höre es dich ja nicht mal versuchen. 

Dillier: Nein, weil bei den Versuchen so viel fehlgeht. 

Rosenwasser: Ich stimme dir zu, dass dieses Thema sehr aufgeblasen ist. Wenn wir nur noch über die Bezeichnung dieses Desserts reden, reden wir nicht mehr über die wichtigen Dinge wie Rassismus. Ich fordere, wir probieren beides.

Dillier: Das kannst du, aber die Welt funktioniert nicht nach deinen Forderungen. Man hat mir früher Zigeuner gesagt, und ich fand das super. Das alles sind Wörter, die früher nicht negativ waren. Und jetzt fängt man an zu suchen, welches Wort noch irgendjemand verletzen könnte. Diese übertriebene Korrektheit nervt mich. Auch, dass man heute immer von Gästen und Gästinnen redet.

Was uns zum Thema Gendern bringt. Warum ist Gendern so wichtig – oder ebenso unnötig?
Rosenwasser: Jede psycholinguistische Studie deutet darauf hin, dass Sprache unsere Sicht der Welt formt …

Dillier: Und genau da möchte ich als feminines Wesen betonen: Ich störe mich daran, dass man im Deutschen immer noch die weibliche Form nennen muss. Ich will nicht immer ein -in hintendran haben!

Warum nicht?
Dillier: Als ich Polo gespielt habe, war ich die einzige Frau gegen 50 Männer. Da war ich keine Polospielerin, sondern ein Polospieler. Alles, was ein Mann kann, kann ich auch. Noch besser! (Lacht.)

Rosenwasser: Vera, wir wollen beide mit den Männern auf Augenhöhe sein. Aber eine offene Person zu sein, heisst auch, dann dazuzulernen, wenn es unangenehm ist, und ja, es ist unangenehm, Rücksicht zu nehmen bei Menschen, bei denen man es sich bisher nicht gewohnt war, Rücksicht zu nehmen …

Dillier: Sorry, ich bin sehr gewohnt daran, Rücksicht zu nehmen. Meine Mutter hat mir beigebracht, jeden Menschen zu respektieren. Aber wenn ich mit jemandem zusammen bin, will ich nicht auf jedes Wort achten, das ich sage.

Thomas Gottschalk machte kürzlich Witze über Maite Kellys Gewicht, woraufhin sie sich wehrte. Wie gehen Sie mit Kommentaren zu Körper, Aussehen und Alter um?
Dillier: Alter, was ist das? Ich werde jedes Jahr 21. Für meinen eigenen Kopf ist es besser, mich jung zu fühlen, so mag auch mein Körper mithalten. Für mich ist Jungsein eine Frage des Lebensstils.

Rosenwasser: Gottschalk beschwert sich seit Jahren darüber, dass er nichts mehr sagen darf, aber bei ihm findet das Gegenteil von canceln statt: Er kriegt grosse Interviews. Er darf weiterhin seine herablassende Haltung gegenüber Frauen und ihren Körper breittreten. Das zeigt uns, als wie normal es immer noch gilt, dass Männer ungestraft weibliche Körper kommentieren dürfen.

Dillier: Jeder darf seine Meinung haben. Aber das Interessante ist ja: Macht man zu einem Gottschalk einen gleichen Spruch zurück, wird er plötzlich ganz klein und überlegt sich beim nächsten Mal zweimal, ob er wieder austeilt.

Rosenwasser: Ich möchte jemanden wie Gottschalk lieber für sein Handeln kritisieren. Ich finde, was einen wirklich alt macht, ist, so starr auf völlig vorgestrigen Haltungen zu beharren und nicht zuzuhören, wenn einem der Raum gegeben wird, um das eigene Handeln zu reflektieren.

Ist die Debatte um «Was darf man heute noch sagen?» ein Generationenproblem?
Dillier: Nein. Ich kenne 20-Jährige, die sind schlimmer als Gottschalk. Ich glaube, es gibt einfach Männer, die denken, sie sind Super-Machos, wenn sie sich so aufführen. Bei mir fällt da jeder durch. Fragt mich ein Mann, wie alt ich bin, frage ich ihn, wie gross sein Bankkonto ist. Dann ist meistens Ruhe (lacht).

Rosenwasser: An deiner Stelle hätte ich es schlicht satt, dass Schönheit und Weiblichkeit an einem Jahrgang gemessen werden. Vielmehr sollten doch der Mensch, seine Persönlichkeit und seine Ausstrahlung im Fokus stehen.

Was braucht es, damit wir bei diesem Thema über die Feiertage und generell im Umgang miteinander einen versöhnlichen Konsens finden?
Dillier: Gelassenheit. Einfach mal entspannen und nicht alles auf die Goldwaage legen. Rassisten bleiben Rassisten, und die Wörter auszutauschen, nützt nichts.

Rosenwasser: Wichtig ist, dass man einander zuhört, anstatt sofort in die Verteidigungshaltung zu gehen und stur auf seiner Meinung zu verharren. Ist Letzteres der Fall, darf man ruhig auch mal sagen: Ich möchte jetzt nicht darüber diskutieren. Lass uns stattdessen über etwas reden, was uns beiden Freude macht. So wie Vera und ich auch nicht nur streiten, sondern auch über ihre Hunde oder ihren Freund reden.

Dillier: Genau, da stimme ich Anna zu!

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?